Gleich
drei verschiedene Vertonungen des Requiem-Textes standen in diesem Jahr
auf dem Programm der Salzburger Festspiele. Den Anfang machten am 28.
und 30. Juli (die von mir besuchte Aufführung war die zweite) die WIENER
PHILHARMONIKER unter Riccardo MUTI mit der opernhaftesten Variante, dem
Verdi-Requiem. Muti faßt das Stück, ganz der italienischen Tradition folgend,
als musikalisches Drama der großen Gefühle auf, verliert sich dabei jedoch
nie in Sentimentalität oder pauschal dröhnendem Pathos. Natürlich schmettern
die im gesamten großen Festspielhaus verteilten Blechbläser gewaltig beim
"Tuba mirum", natürlich ist das "Dies irae" von umwerfender Kraft, aber
es wird immer kontrolliert und ungeheuer differenziert musiziert; von
den wie aus dem Nichts aufsteigenden Celli des Anfangs über das wahrhaft
erschreckende "Rex tremaende" bis zum verhauchenden "Libera me" am Ende.
Die Philharmoniker und die KONZERTVEREINIGUNG WIENER STAATSOPERNCHOR (Rupert
A. HUBER) leisteten Großes unter Mutis diktatorischer Stabführung, die
höchste Präzision mit der Kunst des Ausschwingenlassens verband.
Dazu
kam ein in seiner Homogenität und Musikalität vorbildliches Solistenquartett,
das sich in keinem Moment als Ansammlung einzelner Stars verstand: Miriam
GAUCIs kantabler, bis in die Höhen hinein weich klingender - und zu einem
Piano-B am Ende ihres "Libera-me"-Solos fähiger - Sopran verband sich
hervorragend mit dem relativ hellen, sehr beweglichen und keinerlei Schwierigkeiten
in der weitgespannten Tessitura aufweisenden Mezzo von Daniela BARCELLONA.
Der im Verhältnis dazu etwas harte, technisch allerdings absolut sichere
Tenor von Giuseppe SABBATTINI fügte sich mittels intelligenter Phrasierung
ebenso nahtlos ein wie - und das war für mich die größte Überraschung
- der für den absagenden Samuel Ramey eingesprungene Paata BURCHULADZE,
der nicht nur die nötigen Orgeltöne hatte, sondern sich auch, von Muti
kräftig animiert, an schwierigste Pianissimi wagte. Im "Hostias" übertraf
er sogar noch den Tenor.
Von
ganz anderem Zuschnitt ist das Requiem von Gabriel Fauré (1845-1924),
das dieser ohne besonderen Anlaß (Verdis Werk entstand bekanntlich nach
dem Tod des italienischen Dichters Alessandro Manzoni) 1888 schrieb. Die
erste Fassung enthielt nur "Introit et Kyrie", "Sanctus", "Pie Jesu",
"Agnus Dei" und "In paradisum" (letzteres gehört nicht in den eigentlichen
Requiem-Text). Für zwei weitere Versionen 1890 und 1893 wurden noch "Offertoire"
und "Libera me" hinzugefügt. Das "Dies irae" blieb ausgeklammert, was
dem stillen Charakter des Werks entspricht, das alles laute Pathos meidet;
eine ganz nach innen gekehrte, ruhige Erwartung des Todes, die freilich
im "Sanctus" mit Violinsolo, Harfe, Orgel und säuselndem Chor auch ihre
peinlich kitschigen Seiten hat. Gespielt wurde nicht die gängige Fassung
für großes Orchesters von Faurés Schüler Jean-Roger Ducasse, sondern Faurés
eigene Version von 1893, die in ihrer Beschränkung auf Bratschen, Celli,
Kontrabässe, Blechbläser, Harfe und Orgel (plus die erwähnte Solovioline
beim "Sanctus") mit aparten Klangwirkungen aufwartet.
Marc
MINKOWSKI dirigierte das gut disponierte MOZARTEUM ORCHESTER und den von
Alois GLASSNER einstudierten SALZBURGER BACHCHOR mit der stilkundigen
Hand des gebürtigen Franzosen, der die leichte Parfümierung dieser Musik
so selbstverständlich werden läßt, das Sentimentalität nur an den unvermeidbaren
Stellen aufkommt. Magdalena KOŽENÁ sang ihren Solopart mit viel Innigkeit,
während Simon KEENLYSIDE trotz schöner Stimme und guter Technik nur Noten
ablieferte.
Begonnen
hatte der Vormittag (3. August im großen Saal des Mozarteums) mit Mozarts
Musik zu "Thamos, König von Ägypten", einem Schauspiel des österreichischen
Staatsrates und dichtenden "Dilettanten" (was damals durchaus kein Schimpfwort
war, sondern nur besagte, daß der Betreffende Kunst zum Vergnügen und
nicht als Broterwerb betrieb) Tobias Philipp Freiherr von Gebler. Mozart
hat den trocken pathetischen Text ("Höchste Gottheit, milde Sonne, Hör
Ägyptens frommes Flehn: Schütz des Königs neue Krone, laß sie immer aufrecht
stehn!") 1773 mit der Vertonung zweier Chöre mit Soli kräftig aufgewertet,
außerdem entstanden später noch vier Zwischenaktmusiken und ein weiterer
Chor. Die Zusammenfassung der über einen Theaterabend verteilt gedachten
Stücke ergibt logischerweise kein in sich geschlossenes Ganzes, aber die
mit starken Anklängen an den "Idomeneo" versehene Musik ist von einer
dramatischen Dichte, die angesichts der papierenen Vorlage nur Staunen
macht.
Minkowski
spielte hier mit dynamisch starken Kontrasten und scharfen Akzentuierungen
seine ganze Originalklang-Erfahrung aus und erreichte so eine ungemein
spannende Wiedergabe, an der beide Kollektive gleichermaßen positiv beteiligt
waren. Das Solistenquartett bestand aus der in den Höhen etwas dünnstimmig-scharfen
Martina JANKOVÁ (Sopran I), dem sich mit einem profunden Solo besonders
profilierenden Anton SCHARINGER (Baß) sowie Magdalena Kozená (Sopran II)
und Dietmar KERSCHBAUM (Tenor).
Drittes
Requiem war das von Mozart, das Kent NAGANO am Vormittag des 10. August
in der Felsenreitschule mit dem DEUTSCHEN SYMPHONIEORCHESTER BERLIN und
der KONZERTVERINIGUNG WIENER STAATSOPERNCHOR in der Fragment-Fassung zu
Gehör brachte (d. h., es wurden nur die wirklich von Mozart selbst stammenden
Teile bis einschließlich der ersten acht Takte des "Lacrymosa" gespielt).
Die Aufführung geriet zwiespältig, was zum einen am unbefriedigenden Solistenquartett
lag. Laura AIKIN, Katharina KAMMERLOHER und Georg ZEPPENFELD kamen über
unauffällige Solidität nicht hinaus und Torsten KERL erwies sich mit engem,
in den Höhen gequetschtem Tenor und mangelhafter Intonation geradezu als
Störfaktor. Zum anderen brachte die extrem trockene, das Stück irgendwo
zwischen Bach und Schönberg ansiedelnde Interpretation Naganos zwar einige
Einsichten in strukturelle Gegebenheiten, sie ließ aber kaum etwas von
der geistlichen und, vor allem, geistigen Dimension erahnen; Mozart aus
rein analytischer Sicht ist im Konzert eben nur das halbe Stück.
Der
nach der Pause folgenden "Jakobsleiter" von Arnold Schönberg tat diese
Sichtweise naturgemäß besser. Der weitgehend in freier Atonalität gehaltene,
riesenhafte Torso (Schönberg schrieb bis 1917 zunächst das Libretto und
vollendete bis 1922 den etwa vierzig Minuten langen ersten Teil im Particell,
den Winfried Zillig posthum orchestrierte; der zweite gedieh über Skizzen
nicht hinaus) benötigt die kühl ordnende Hand, um nicht endgültig im nebulösen
Ungefähr zu versinken. Irgendwie hat man den Eindruck, als sei Schönberg
bei seiner Gottsuche musikalisch nicht nur an der Vollendung, sondern
auch prinzipiell gescheitert; der stark philosophische, ohnehin schwer
verständliche Text wird in der Umsetzung nicht klarer, die verschiedenen
Figuren (mit Ausnahme Gabriels und der Seele) heben sich kaum voneinander
ab. Selbst beim vierten Hören steht man vor einem Rätsel, das auch in
einer derart klar artikulierenden Aufführung nicht gelöst wird.
Dietrich
HENSCHEL sang den Erzengel Gabriel, der den sich auf verschiedenen geistigen
Stufen Befindlichen ihren Platz zuweist, mit zwar relativ kleinem, aber
sehr tragfähigem, ausdrucksstarkem und tonschönem Bariton. Und Laura AIKIN
entledigte sich der aufgrund der weit auseinanderliegenden Tessitura (einmal
tiefe Sprechstimme, einmal hoher Sopran mit etlichen Piano-Cs) äußerst
schwierigen Aufgabe mit Bravour, sowohl die Sterbende als auch die Seele
zu gestalten. Ohne Fehl waren auch alle anderen: Hubert DELAMBOYE (Ein
Berufener), Robert GAMBILL (Ein Aufrührerischer), Michael VOLLE (Ein Ringender),
James JOHNSON (Der Auserwählte) und Kurt AZESBERGER (Der Mönch). Der Chor
konnte hier seine ganze Vielseitigkeit vom machtvollen Forte bis zum flüsternden
Sprechen beweisen, und auch das Orchester befand sich jederzeit auf der
Höhe der technisch immens schwierigen Aufgabe. Hartmut Kühnel
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