"Alpen"-
bzw, "Gebirgs-Opern" waren im 19. Jahrhundert sehr beliebt. Für einen
durchschnittlichen Italiener waren die Alpen eher exotische Gegenden.
In den historischen Opern, die in den Bergen spielen ("Guillaume Tell",
"La Donna del Lago", später "La Wally") geht das ja durchaus. Bei anderen
Werken jedoch weit weniger. Weshalb Salvatore Camarano, der jung verstorbene
Librettist zahlreicher Melodramen für Donizetti, Mercadante, Pacini, Verdi
und andere, Schillers "Kabale und Liebe" ausgerechnet nach Tirol versetzt
hat, ist unverständlich. Schiller hatte sich wohl gehütet, sein "bürgerliches
Trauerspiel" in ein bestimmtes Land zu setzen, denn er war 1782 gerade
vor Herzog Carl Eugen aus Stuttgart geflohen und hatte kaum Interesse,
sich mit einem der deutschen Potentaten zu verfeinden.
In
seinem revolutionären Trauerspiel prangert Schiller die üblen Sitten der
deutschen Höfe an, von Intrigen geplagter Absolutismus, Mätressenwesen,
Verschwendungssucht und Verkauf von Soldaten. Davon blieb in Camaranos
Libretto so gut wie nichts übrig, außer die vom dem Intriganten Wurm zerstörte
Liebesgeschichte zwischen Luisa und Rudolf. Also, ein historisch und politisch
verpatztes und schließlich banales Libretto. Denn gerade in Tirol, wo
Verdis Oper spielt, gab es bereits seit dem Mittelalter den Landtag, in
dem nicht nur Adel und Klerus, sondern auch Bürger und Bauern vertreten
waren und wo es nie Leibeigenschaft gegeben hatte. Verdi schrieb trotzdem
eine sehr packende Partitur auf diese verkorkste Geschichte und übte die
Stretta ausgiebig. Daß
Wurm sichtlich ein Vorgänger Jagos ist, sei nebenbei bemerkt.
Die
Inszenierung von Gilbert DEFLO, von dem man schon bessere Produktionen
gesehen hat, ist kein Ruhmesblatt in den Annalen der Bastille Oper. Deflo
hat für die Bühnenbilder und Kostüme, die zwischen Lächerlichkeit und
Kitsch pendeln, seinen langjährigen Mitarbeiter William ORLANDI geholt.
Solche Bauernhäuser gibt es vielleicht im Baskenland, aber in den Tiroler
Alpen wohl kaum. Die pseudo-gotische Halle des Schloßes des Grafen Walther
ist läppisch. In Tirol werden eher Dirndl-Kleider, als die himmelblauen
oder rosaroten langen Roben getragen. Ein Besuch im Ziller- oder Stubaital
ist Herrn Orlandi anzuraten. Daß die Herzgin von Ostheim nur in schneeweißem
Hochzeitskleid aufritt, um zu zeigen, daß sie auf den Grafen Rodolfo steht,
ist auch von zweifelhaftem Geschmack. Von Personenführung war wenig zu
sehen. Die CHÖRE schienen aus Ausschneidebögen entstiegen und standen
festgenagelt herum, sangen aber dafür sehr gut (Leitung Alessandro di
Stefano). Der ganze Kitsch wurde von Joël Hourbeigt entsprechend düster
beleuchtet.
Die
musikalische Seite war dafür erheblich erfreulicher, zumal mit Daniel
Orenein Dirigent ersten Ranges am Pult des ORCHESTRE DE L'OPÉRA NATIONAL
DE PARIS stand. Die Italianità überwog erheblich die Tiroler Folklore.
Das war gut so, denn die Sänger profitierten von der umsichtigen Leitung
des Maestros.
Die
Sänger waren durchwegs erstklassig, vor allem Krassimira STOYANOVA in
der Titelrolle, die hier ein triumphales Pariser Debüt feierte. Die zwiespältige
Rolle schwankt ständig zwischen Gehorsam dem Vater und der Obrigkeit gegenüber
(Die Briefszene "Tu puniscimi, o Signore" mit Wurm war erschütternd) und
der innigen Liebe, die sie für Rodolfo ausdrückt. Sie entledigte sich
dieser Aufgabe - trotz der lahmen Regie - sehr gut, vor allem in den innigen
Arien, die Stoyanova mit großem Ausdruck sang. Ihr zur Seite war einer
der besten spinto-Tenöre unserer Zeit als Rodolfo zu hören, Marcelo ALVAREZ.
Er hat das jugendliche Feuer des Hitzkopfs, der hier dem Schiller'schen
Original am nächsten kam, und spielte diese revolutionäre Rolle mit außergewöhnlicher
Bravour (nach "Quando le sere al placido" und der folgenden Stretta im
2. Akt gab es lang anhaltenden Szenenapplaus).
Als
sein Vater, Conte di Walter, war Orlin ANASTASSOV dank seines dunklen
gut geführten Basses sehr richtig am Platz ("O mio sangue" im 1. Akt).
Man fühlte, daß er irgend etwas auf dem Gewissen haben muß. Den bösen
Geist der Geschichte, den Sekretär Wurm, sang und spielte Arutjun KOTCHINIAN
mit grosser schwarzer Stimme, wie es der Regisseur wollte, doch die Outierung
des Bösewichts war eher peinlich und trübte die Glaubhaftigkeit. Als Federica,
Herzogin von Ostheim, eine schwach gezeichnete Rolle, war Maria José MONTIEL
eine Überbesetzung. Die junge Spanierin ist hörbar am Aufstieg ihrer Karriere.
Eine
schwere Enttäuschung war dafür der Vater Miller von Franck FERRARI. Diesen
großartigen dramatischen Bariton haben wir schon in vielen großen Rollen
erlebt. Er war entweder indisponiert - und hätte das ansagen lassen sollen
- oder er geht durch eine Stimmkrise, und das wäre wirklich schade für
diesen eindrucksvollen Sänger. Elisa CENNI gab der kleinen Rolle der Laura
ein wenig Profil.
Ganz
großer und verdienter Beifall für Stoyanova, Alvarez und Oren. wig.
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