Nach
"Jenúfa" und "Makropulos" eine lustigere und leichtere Oper Janáceks.
Interessant bei Janácek ist der rasche Wechsel in seinen Libretti. Obwohl
der fast Siebzigjährige im "Schlauen Füchslein" seine Lebensphilosophie
eines naturalistischen Pantheismus' darstellt, nimmt Janácek ohne Schwierigkeiten
sozialkritische, phantastische, ländliche Vorlagen auf, selbst als letzte
Oper das sibirische Straflager Dostoijewskis. Hauptsächlich in Hukvaldy
komponiert, Janáceks Geburtsort im mährischen Schlesien, wo er 1921 seinem
Bruder ein Haus abgekauft hatte, fühlt man die ländliche Gegend, die Janácek
umgab, und der er immer treu geblieben war, trotz seines internationalen,
allerdings späten, Ruhms.
Das
Libretto hatte Janácek durch seine Haushälterin entdeckt, die jeden Tag
laut lachte, wenn sie den Fortsetzungsroman der "Liška Bystrouška" von
Rudolf Tesnohlídek in der Zeitung las, den Stanislav Lolek bebildert hatte,
eine Art "Cartoon". Das Libretto der Geschichte ist ein Tiermärchen und
eine Mahnung zur Achtung der Natur, das der Komponist aus dem Fortsetzungsroman
herausgeschält hatte. Wie bei allen wirklich "großen" Komponisten, erkennt
man Janáceks Pranke nach zwei oder drei Takten. Besonders in den Vor-
und Zwischenspielen läßt er einen träumerischen und breiten Orchesterklang
schwelgen, in der er die Natur besingt. Nur Richard Strauss hat das gekonnt,
so viel aus dem Orchester heraus zu holen. Die Leitmotive der Hauptpersonen
erscheinen immer wieder, und die ostinaten Passagen werden immer häufiger.
Die
Erstaufführung von Leben und Tod der Bystrouška, der kleinen Füchsin kam
2008 an der Bastille Oper heraus und war ein Bombenerfolg, sicher der
größte der Ära Gérard Mortier. Es war auch die erste Direktübertragung
auf dem französischen Fernsehen (es gibt auch eine DVD davon). Man kann
die entzückende Produktion allen empfehlen, und zukünftige Wiederaufnahmen
sind sicher. Die Inszenierung von André Engel ist ausgesprochen gelungen
und spielt nicht vor und im Försterhaus, sondern in dem eines Bahnwächters,
und das Haus geht in ein großes Silo über. Aber die meisten Szenen spielen
auf dem Gleise, das vor dem Bahnwächterhaus in einem Prellbock endet,
und vor einem die ganze Szene beherrschende Feld von Sonnenblumen. Aus
diesem Feld kommen die Tiere hervor, die Insekten springen darin herum,
selbst König Hirsch präsentiert sich.
Die
farbenfrohen Bühnenbilder stammen von Nicky RIETI, Engels langjähriger
Kumpan, der hier wunderbare poetische Bilder erstellt hat. Auch die Begegnung
mit dem Wilderer Harašta findet auf dem Bahngleis statt, aber diesmal
ist es Winter, und alles ist verschneit. Die entzückenden Kostüme der
ganzen Tierwelt sind - wie immer - von Elizabeth NEUMULLER, die ganz unglaubliche
Dinge aus Stoff, Papier und verschiedenen Materialien produziert hat.
Im Vergleich zu der farbenfrohen Tierwelt sind die Menschen banal und
primitiv. André DIOT beleuchtete mit viel Geschmack und Sinn für Details
die intime Atmosphäre. In völliger Einstimmung mit dem Regie-Konzept hatte
Françoise GRÈS die Choreographie gemacht, vor allem der Hühner und der
kleinen Füchslein.
Die
Musik Janáceks scheint dem ORCHESTER DER OPÉRA NATIONAL DE PARIS sehr
zu liegen, denn es spielte prächtigst, obwohl Dirigent Michael SCHØNWANDT
bisweilen etwas laut war und Tendenz hatte, die Sänger zuzudecken. CHOR
und KINDERCHOR der OPÉRA NATIONAL DE PARIS hatte Alessandro DI STEFANO
mit großer Sorgfalt einstudiert. Die Probenarbeit war offensichtlich,
und die Präzision - vor allem der Kinder - war bemerkenswert. Die große
Nachkommenschaft Bystrouškas und ihres Gatten, vor deren Zahl beide keine
Ahnung haben, war "zum Fressen süß".
Die
junge Slowakin Adriana KUCEROVA hatte die Titelrolle inne, schlank, bildhübsch
und mit einer ausgeprägten, vollen Stimme, die es auch mit dem Orchester
aufnehmen kann. Sie ist außerdem eine flotte Turnerin, denn sie entflieht
mit Schwung über die 2 m hohe Mauer. Ihr Gemahl, der Fuchs Goldfell, unternimmt
diese Klettereien fast dauernd, schon um seine Schöne zu beeindrucken.
Die große schlanke Tschechin Hannah Esther MINUTILLO, die hier schon oft
zu hören war, spielte den schönen Fuchs, der sich u. a. auf dem Prellbock
räkelt, mit Eleganz und prachtvoller Stimme, an der Grenze des Mezzosoprans.
Ein ideales Paar!
Unter
den vielen kleinen Rollen der Menschen gab es das Wiedersehen mit einigen
alten Bekannten, durchwegs Überbesetzungen. Jean-Philippe LAFONT, großer
Falstaff, Telramund und kürzlich noch Scarpia, war als Förster stimmlich
und darstellerisch überragend, dem der Tod der kleinen Füchsin wirklich
zu Herzen geht. Michèle LAGRANGE war die passend schimpfende Förstersgattin,
die ständig um ihr Hühnervolk bangt, besonders seit Bystrouška da ist.
Der Lehrer von Luca LOMBARDO war passend gehemmt und trübsinnig. Auch
der Pfarrer von Gregory REINHART lebte in ständiger Melancholie. Paul
GAY gab dem Wilderer Harašta die passende Stimme, aber auch die entsprechende
Frechheit, ein Kabinettstück für diese kleine Rolle. Der Wirt des Dorfes,
Nicolas MARIE, konnte dem Förster das letzte Glas auf dem Heimweg nicht
versagen und Anne-Sophie DUCRET als seine Frau keppelte recht fest.
In
der Tierwelt ging es ebenso fidel zu: als sentimentaler Dackel war Letitia
SINGLETON sehr passend; sie sang nicht nur gut die kleine Rolle, sie wackelte
auch passend mit den Ohren. Slawomir SZYCHOWIAK war der Dachs, der aus
seinem "Bau" in einem Betonrohr auf einem Draisinen-Wägelchen verjagt
wird, ein wirklicher Gentleman in dunklem Pelzmantel. Als stolzer Hahn
thronte Elisa CENNI über der Hühnerschar. Sie sang auch den Häher passend.
Natacha CONSTANTIN war eine überhebliche Schopfhenne. Die Grünspechte
wurden von Ghislaine ROUX angeführt. Eine der beiden Gelsen, Paul CRÉMAZY,
zapfte mit einer großen Spritze dem schlafenden Förster Blut ab. Michèle
Lagrange war auch eine passend keppelnde Eule, die an Bystrouškas Lebenswandel
Anstoß nahm. Es gab noch zahlreiches anderes, nicht genanntes Getier,
wie den Hirsch, mit Gattin und Tochter, einen Igel, Libellen, Hasen, eine
Raupe, die Drachen steigen läßt, es krabbelte nur so im Frühjahr im Sonnenblumenfeld.
Entzückend!
Große
Freude des vollen Hauses mit vielen Kindern und Jugendlichen. Ganz großer
Applaus, besonders für das Füchse-Paar. Ein sehr erfreulicher Abend! wig.
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