Das
1819 am Teatro San Carlo in Neapel uraufgeführte zweiaktige Melodrama
weist bereits in die Romantik, obwohl Rossini musikalisch nie wirklich
in diese Richtung gegangen ist, das hat erst Donizetti entwickelt. "La
Donna del Lago" bleibt jedoch einer der Höhepunkte des neapolitanischen
Belcantos. Wie "Otello" oder "Ermione" ist es schwierig, diese Opern auf
die Bühne zu bringen, denn die Ansprüche an Besetzung sind ungewöhnlich:
mindestens zwei erstklassige Tenöre, ebenso viele hervorragende Mezzosoprane.
In anderen Worten, ohne Starbesetzung geht es nicht. Solche Star-Besetzungen
kann man aber nur alle paar Jahre zusammen trommeln. Vor fünfundzwanzig
Jahren hörte ich glücklicherweise einmal eine konzertante Aufführung von
"La Donna del Lago" im Châtelet mit Cuberli, Valentini-Terrani, Blake
und Merritt. Damals wurde das Tenor-Duett des 2. Akts wiederholt! Zu Rosssinis
200. Geburtstag 1992 wurde "La Donna del Lago" mit ähnlicher Besetzung
unter Riccardo Mutis Leitung an der Scala gespielt.
Walter
Scott und die etwas ungewohnten Sitten der alten Schotten wurden ja mehrmals
für Opernlibretti strapaziert. Das für "La Donna del Lago" von Andrea
Leone Tottola nach dem Epos von Walter Scott "The Lady of the Lake" ist
sehr im "Naturgefühl" der damaligen frühen Romantik Italiens und Frankreichs.
Es
gab wieder einmal einen Streik in Paris, daher wurde die Vorstellung -
eine Gala-Vorstellung für die AROP, den Sponsoren-Klub der Pariser Oper
- in halb-szenischer Form gespielt. Die Solisten traten alle in ihren
(fabelhaften) Bühnenkostümen (Franca SQUARCIAPINO auf und spielten so
gut wie möglich, aber von der Regie von Lluís PASQUAL und der Ausstattung
von Ezio FRIGERIO sah man nichts, ebenso wenig wie von der Beleuchtung
von Vinicio CHELI. Eine bühnenweite sepiafarbige wilde Bergansicht mit
Wasserfall und Spiegel-See im Hintergrund war alles, vor dem die Sänger
agierten. Der CHOR kam in langem Abendkleid und Smoking an den passenden
Stellen herein spaziert und sang bestens (Chorleitung Alessandro DI STEFANO).
Da die Produktion mit der Scala und Covent Garden koproduziert wurde,
wird das Spektakel auch in Mailand und London gegeben.
Roberto
ABBADO stand am Pult des ORCHESTERS DER OPERA NATIONAL DE PARIS, was für
sehr viel Schwung und fabelhafte Accellerandi garantierte, die Rossini
ja hier bereits voll ausnützte, wie in dem genannten Duett "Vendetta!"
in der 2. Szene des 2. Akts , wo sich die beiden Tenöre vor Elena mit
hohen "Cs" und "Ds" beschimpfen.
Die
Pariser Oper hat es sich etwas kosten lassen für die nun fünfte Erstaufführung
in dieser Saison. Als Uberto di Snowdon, den an den Lochs der schottischen
Highlands herumstreifenden König James V., war kein geringerer als Juan
Diego FLOREZ verpflichtet worden. Der Peruaner ist am Höhepunkt seiner
Karriere. Man kann nur hoffen, daß er weiterhin klug mit seinem Stimmaterial
umgeht, damit er sicher noch lange zu hören sein wird. Absolut hinreißend,
wie er die Kantilene meistert (obwohl er sich als heiser ansagen ließ)
und die Höhen mit Kraft absolut sicher in den Saal schleudert. Phänomenal!
Elena,
die er bei seinen Streifzügen kennen lernt, und die ihn etwas naiv in
ihr Haus aufnimmt, war bei Joyce DIDONATO in besten Händen. Die attraktive
Amerikanerin, die absolut perfekt spielt, ist ebenfalls am Zenit des Belcanto
angekommen und sang die für die Colbran - die spätere Signora Rossini
- geschriebene Rolle mit stupender Leichtigkeit und unglaublichem Einsatz.
Eine ideale Partnerin. Bereits ihre erste Arie "Oh mattutini albori!"
war absolut fabelhaft. Das darauf folgende Duett mit Uberto "Cielo! Qual
estasi rapir mi sento..." war der erste mehrerer Höhepunkte.
Die
wilden Highlander waren auch nicht übel. Als Elenas Vater Douglas d'Angus
war Simon ORFILA zu hören. Der Baßbariton aus Katalonien sang und spielte
den sturen Haustyrannen - in Walter Scotts Geschichten ja üblich (wie
in "Lucia di Lammermoor", wo es der Bruder ist) - mit Brutalität und stimmlicher
Kraft. Er will Elena an den genau so wilden und brutalen Rodrigo di Dhu
verkuppeln, den 2. Tenor, den Colin LEE hervorragend darstellte. Doch
Elena liebt einen anderen, und das beruht auf Gegenseitigkeit: Malcolm
Groeme. Dieser Hosenrolle gab Daniela BARCELLONA ungewöhnliches Format,
sehr glaubhaft, da sie besonders groß ist. "Oh fiamma suave!" gleich zu
Beginn des 2. Akts war ein Triumph.
In
den kleinen Rollen war Diana AXENTII als Albina, Elenas Vertraute, sehr
vorteilhaft eingesetzt, und als der 3. Tenor (Serano) war Jason BRIDGES
passend. Der junge und stattliche Amerikaner, der hier schon seit einiger
Zeit kleine Rollen singt, konnte hier zeigen, daß er einen schönen und
gut geführten Tenor besitzt und sehr gut spielt. Die winzige Rolle des
Bertram sang Philippe TALBOT.
Nach
einem etwas flauen Beginn begann das Haus wie selten zu toben. Gesetzte
Damen in Abendkleid und Herren in Smoking schrieen laut "Bravo"! Ein außergewöhnlicher
Abend! wig.
|