Als
Natalie Dessay vor 18 Jahren in "Les Contes d'Hoffmann" als Olympia in
der Bastille einsprang, wurde sie über Nacht bekannt. Diesmal sagte sie
aber ab, nachdem sie in der Vorstellung vom 18. Februar nach dem 1. Akt
das Handtuch werfen mußte. Für die letzten zwei Vorstellungen überließ
sie die Rolle einer weniger renommierten Kollegin, Iride MARTINEZ aus
Costa-Rica, die einsprang und sich hervorragend bewährte. Die junge Koloratur-Sopranistin
hatte bereits in kleinen Rollen bei Uraufführungen in der Bastille Oper
mitgewirkt, aber erst diesmal eine Rolle des Repertoires gesungen. Die
zarte kleine Sängerin, die zwar seit einigen Jahren auf deutschen Bühnen,
in Köln, Berlin, Dresden und München singt, besitzt einen vollklingenden,
eher lyrischen Sopran, der ihr bereits einen Ruf als Konstanze nach Salzburg
brachte. Daß sie um einen Kopf kleiner ist als ihr nicht gerade hünenhafter
Partner, ist für die Fragilität der traumwandelnden Amina sogar passend.
Bereits in der 1. Largo Arie "Compagne teneri amici..." konnte Martinez
ihre Ausdrucksfähigkeit unter Beweis stellen. Ihr perfekt geführter, glockenreiner
lyrischer Sopran ist für diese elegische Rolle ideal. Was sie nicht hinderte,
danach sofort die fulminanten Koloraturen perfekt zu meistern. In den
beiden Schlafwandler-Szenen sang sie die bellinischen Koloraturen und
Kantilenen großartig. Das Rondo am Schluß trug sie in feuerrotem Ballkleid
vor dem Vorhang mir unglaublichem Temperament vor.
Als
Elvino war der junge Mexikaner Javier CAMARENA zu hören. Nicht sehr groß,
spielte er die komplexe Facetten des wohlhabenden Landbesitzers und dessen
dumme Eifersucht ausgezeichnet. Die Gesamtleistung war perfekt, dank seines
prächtigen, gut tragenden tenore di grazia. Zumal er auch die lyrischen
Stellen sehr ausdrucksvoll singt, wie in der Ringübergabe "Prendo l'anel
di dono" mit wunderbaren piani. Nach seinem ersten Eifersuchtsanfall "Son
geloso..." dreht Elvino im 2. Akt völlig durch und Camarena zeigt die
brutale Macho-Seite ebenso treffend, vor allem in der Stretta-Kavatine
"Ah! perché non posso odiarti".
Als
dritter im Bunde ergänzte Michele PERTUSI perfekt als Conte Rodolfo, da
er schon durch seine Größe die Sänger dominierte, aber auch dank seiner
vollendeten Kenntnis des Belcanto ihnen ein Vorbild war. Ein perfekter
Grand-Seigneur ist er einem Abenteuer mit der rachsüchtigen Hotelbesitzerin
Lisa nicht abgeneigt. Er ist aber der Schlafwandlerin gegenüber der perfekte
Gentleman. Lisa wurde von der attraktiven Marie-Adeline HENRY sehr treffend
dargestellt, und sie ließ bereits bei ihrem Auftritt in der 1. Szene aufhorchen.
Die junge Französin, die schon in kleineren Rollen zu hören war, spielte
die perfekte Intrigantin und sang ausgezeichnet, denn die Rolle bietet
einiges an Koloraturen.
Nahuel
di PIERRO war Lisas hoffnungsloser Verehrer Alessio und spielte die etwas
dämliche Rolle gut. Die junge, perfekt geschminkte Cornelia ONCIOIU war
sehr rührend als Ziehmutter Teresa, wenn sie die intrigante Lisa bloßstellt.
Sie wurde zu Recht mit Szenenapplaus bedacht. Als Notar fungierte Jian-Hong
ZHANG passend.
Die
Aufführung lag in den bewährten Händen von Evelino PIDÒ, der immer besonders
um das musikalische Gleichgewicht zwischen Graben und Bühne bemüht ist.
Das ist ihm auch diesmal vorzüglich gelungen, und ORCHESTER und CHOR DER
OPÉRA NATIONAL DE PARIS folgten ihm mit hörbarer Begeisterung. Vor allem
die Hornisten hatten einen Festtag! Er widmete sich ganz besonders der
debütierenden Iride Martinez. Ganz groß! Der Chor war von Patrick Marie
AUBERT hervorragend einstudiert worden.
Die
aus Wien importierte Inszenierung wurde zwar von der Pariser Kritik nicht
sehr gut aufgekommen, ist aber charakteristisch für den Stil von Marco
Arturo MARELLI, der wie immer auch für Bühnenbild und Beleuchtung zeichnete.
Die passenden und kleidsamen Kostüme (Abendkleid und Smoking für die Festgäste,
Trachten für das Hotelpersonal) wurden von Dagmar NIEFIND entworfen.
Die
Versetzung der Handlung ins beginnende 20. Jahrhundert ist gut gelöst.
Die Handlung spielt in einem runden Festsaal - mit großem Steinway - eines
Hotels der Schweizer Alpen, mit matterhornähnlichem Gebirge hinter großen
Fenstern und den Hotelzimmern im 1. Stock. Lisa flüchtet nach ihrer Arie
"Tutto è gioia, tutto è festa..." an die Bar und ertränkt ihren Gram in
Whisky. Es gibt sogar einen Schneesturm, der die Fenster aufreißt und
den Schnee herein fegt, so daß der Flügel geborgen werden muß. Amina nachtwandelt
so vor einem der Fenster im Schnee und kann dann über die schnee-bedeckten
Bänke stolpern. Das ist nicht schlecht, aber etwas zu viel.
Eine
ausgezeichnete Aufführung. Am Ende der Aufführung wurden Martinez, Camarena,
Pertusi und Pidò stürmisch gefeiert. wig.
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