Erstaufführung
an der Pariser Oper
Korngolds
"Die Tote Stadt" gehört den schwierigsten Werke der Opernliteratur überhaupt.
An dieser Oper ist weniger die Musik schwierig, denn daß Korngold einer
der großen Meister der Spätromantik ist, steht außer Frage. Es ist aber
schwer zu verstehen, wieso ein junger, lebensfroher, höchst erfolgreicher
Komponist, gefeiert in der ganzen Welt, mit kaum zwanzig Jahren sich für
ein derartig morbides, symbolistisches Werk wie Rodenbachs "Bruges-la-Morte"
erwärmen konnte, ja sich so begeisterte, daß er darauf eine Oper komponierte!
Vater
Julius Korngold, Nachfolger Hanslicks bei der Wiener "Neuen Freien Presse",
hatte sehr wohl gewußt, was er tat, als er seinen neunjährigen Sohn, das
Wunderkind Erich Wolfgang Korngold (1897-1957), Gustav Mahler vorstellte.
Denn Mahler war von dessen Kantate "Gold" so begeistert, daß er ihn an
Zemlinsky verwies, der nach zwei Jahren das Handtuch warf und Hermann
Grädener, seinen Nachfolger gemein fragte: "Was hat er dir diese Woche
beigebracht?" Korngolds Ballett "Der Schneemann" wurde 1910 an der Wiener
Hofoper uraufgeführt - er war 13! 1915 dirigierte Richard Strauss die
Uraufführung der Sinfonietta des Achtzehnjährigen mit den Berliner Philharmonikern!
Arthur Schnabel spielte seine Klaviersonate in ganz Europa. 1916 brachte
München seine einaktige Oper "Violanta" mit Maria Jeritza mit großem Erfolg.
Puccini war bei der Premiere und zeigte sich sehr beeindruckt.
Am
4. Dezember 1920 wurde "Die Tote Stadt" in Hamburg und Köln gleichzeitig
uraufgeführt, gefolgt von Wien (unter Schalks Leitung, mit Jeritza und
Oestvig!), Berlin, Leipzig, München und New York. 1926 wurde Korngold
von Richard Strauss als Dirigent an die Wiener Oper engagiert. Er bewunderte
Strawinsky und die Neue Musik, schätzte aber gar nicht die Dodekaphonie.
Einen großen Fehler machte jedoch Vater Julius als er Kreneks Oper "Jonny
spielt auf", die ein Welterfolg werden sollte, total verriß und sich mit
der ganzen Schar der modernen Komponisten zerstritt. Für Korngolds Oper
"Das Wunder der Heliane" war das 1926 allerdings nicht behilflich.
1934
folgte Korngold Max Reinhardt nach Hollywood, um Mendelssohns Musik für
dessen Film "A Midsummer Night's Dream" zu adaptieren. Mit Reinhardt hatte
Korngold schon mehrere Wiener Operetten arrangiert (seine Bearbeitung
von "Eine Nacht in Venedig" wurde in den fünfziger Jahren in der Wiener
Volksoper gespielt). In Kalifornien wurde Korngold mit Filmmusik berühmt
und steinreich: er wurde Chef-Komponist von Warner Brothers und erhielt
mit seiner Musik für "Robin Hood" seinen 1. Oscar, der nicht sein letzter
sein sollte. Sein sehnsüchtiger Wunsch, nach dem Krieg wieder nach Wien
zurückzukehren, wurde nicht erfüllt. Zwei Versuche verliefen glücklos,
obwohl Furtwängler seine "Symphonische Serenade" B-Dur, op. 39 mit den
Wiener Philharmonikern 1950 in Korngolds Anwesenheit uraufführte. Seine
Opern wurden auch nicht mehr gespielt. Erst in den letzten 25 Jahren haben
einige Theater "Die Tote Stadt" wieder ausgegraben, vor allem Wien in
einer Inszenierung von Götz Friedrich, gefolgt u. a. von Strasburg (2001
im Châtelet wiederholt), der NY City Opera und 2004 wieder Wien. Es wäre
in hohem Masse wünschenswert, daß man sich dem Werk Korngolds etwas mehr
widmete und seine anderen Opern auch spielte.
Der
Name des Librettisten Paul Schott ist ein Pseudonym aus dem Vornamen der
Hauptfigur und dem Familiennamen des Verlegers: Korngold und sein Vater
Julius zusammen hatten das Textbuch des bei Schott in Mainz erschienene
Werks nach dem Theaterstück "Le Mirage" des belgischen Symbolisten Georges
Rodenbach verfaßt (der seinen Roman "Bruges-la-Morte" selbst für die Bühne
adaptiert hatte). Paul betrauert seine tote Frau Marie und ist von der
Ähnlichkeit mit der Tänzerin Marietta betroffen und besonders ihren Haaren,
die er in einem gläsernen Schrein aufbewahrt (Haarfetischismus ist ja
typisch symbolistisch, siehe "Pelléas et Melisande"). Das Werk verschwimmt
zwischen Traum, Spuk und Realität, was zu großartigen orchestralen Ensembles
Anlaß gibt. Es taucht den Zuschauer in diese morbid-fetischistische Atmosphäre
Pauls. Man fragt sich, was wohl Freud von diesem Werk gehalten hat, der
Korngold ja sicher gekannt hatte.
Korngold
hat alle musikalischen Einflüsse Wiens der Jahrhundertwende aufgesogen
wie ein Schwamm, aber seinen eigenen Stil geschaffen, ja oft vorausgesehen
und ist ein unglaublicher Meister. Wie viele seiner Zeitgenossen (Busoni,
Zandonai, Pizzetti, Schrecker, Wolf-Ferrari) war Korngold sowohl von der
deutschen Spätromantik als auch vom italienischen Verismus beeinflußt,
aber auch von Debussy, J. Strauß, Lehár und Leo Fall. Epigone oder Vorläufer?
Öfters ertappt man sich: "Das hast du doch schon einmal so ähnlich gehört?".
Wenn man aber erkennt, daß das einfache Marietta-Lied ("Glück das mir
verblieb") an das Laurettas in "Gianni Schicchi", das große Duett des
2. Aktes an das zwischen Turandot und Kalaf, oder die stimmliche Behandlung
der Rolle des Paul oft an den Apollo in "Daphne" erinnert, bemerkt man
erst, daß diese Werke erst einige Jahre, ja Jahrzehnte später geschrieben
worden sind.
Es
ist der Verdienst der Direktion von Nicolas Joel nicht nur die "Die Tote
Stadt" an der Paris Oper als zweite Erstaufführung in dieser Saison zu
bringen, sondern in einem Rahmenprogramm die gesamte Kammermusik des Wiener
Komponisten aufgeführt zu haben. Weiters war im Foyer der Bastille-Oper
eine größere Anzahl Dokumente ausgestellt, nicht nur Fotos, sondern auch
Programme und Filmplakate.
Die
Vielschichtigkeit des Librettos ist derartig komplex, daß selbst nach
mehrfachem Besuch der Oper man nie genau weiß, an welcher Stelle die Wirklichkeit
in Traum umschlägt und umgekehrt. Die Inszenierung (Staatsoper Wien, 2004)
von Willy DECKER, von Meisje Barbara HUMMEL in Paris aufgebaut, ist einfach,
äußerst passend, vielschichtig und immer an der Grenze des Spukhaften,
doch kaum angetan, den Zuschauer das Verständnis zu erleichtern. Wolfgang
GUSSMANN hat, wie immer bei Deckers Inszenierungen, ein einfaches Bühnenbild
geschaffen, hier ein großes Wohnzimmer, sowie die sehr schönen weißen
Kostüme für Marietta und ihre Truppe, während Paul und Frank in einfacher
Straßenkleidung spielten.
Besonders
gelungen war die Bühne auf der Bühne in der Form eines verkleinerten Zimmers
Paul (der darin von einem Mimen gespielt wird), das aus der Hinterwand
des Zimmers herausfährt. In der Szene mit Mariettas Truppe ist die Doppelbödigkeit
besonders scharf, in der der gemimte Paul die Clown-Truppe Mariettas integriert,
während der "wahre" Paul den ganzen Hexensabbat beobachtet. Deckers Personenregie
ist einfach, scheinbar präzise, aber läßt den Sängern relativ viel Spielraum.
Die Beleuchtung von Wolfgang GOEBBEL war ausgezeichnet, denn das Licht,
besonders die Projektion eines Riesenbilds Maries in der Clown-Szene ebenso
wie die eindrucksvolle Prozession des heiligen Bluts waren die Höhepunkte
des Abends. Athol FARMER zeichnete für die gelungene Choreographie.
Das
ORCHESTRE DE L'OPÉRA NATIONAL DE PARIS in großer Besetzung und der CHOR
(Leitung Patrick Marie AUBERT) unter der Leitung von Pinchas STEINBERG
wurde der unbekannten Partitur komplett gerecht: Strauss'scher Orchesterrausch
und lyrische Subtilität. Steinberg wußte die oft gigantischen Orchesterwogen
sehr straff zu halten und der Partitur trotz der über hundert Musiker
im Graben Transparenz zu geben. Besonders die große Prozessions-Szene
im 2. Akt war von großer Präzision und Dichte. Anderseits ließ Steinberg
keinerlei Sentimentalität aufkommen, wie in Mariettas Lied die Gefahr
besteht. Absolut perfekt!
Die
beiden Hauptrollen können nur von erstklassigen Sänger-Schauspielern überhaupt
dargestellt werden. Robert Dean SMITH gab dem Paul das richtige Profil,
ein von Ängsten und vom Bild der toten Marie Verfolgter, der ständig an
der Grenze des Irrsinns wandelt. Die Rolle ist stimmlich und darstellerisch
außergewöhnlich anstrengend und exponiert. Robert Dean Smith konnte hier
seinem prachtvollen Heldentenor leuchten lassen. Seine Partnerin in der
zwielichtigen Rolle der Marietta/Marie war Ricarda MERBETH, stimmlich
hervorragend und darstellerisch absolut hinreißend mit ungewöhnlichem
Temperament in ihrer fröhlichen Unbekümmertheit.
Ein
wirklicher Freund Pauls war Stéphane DEGOUT als Frank in seiner erdhaften
Natürlichkeit, der einzige "normale" Mensch in dieser morbiden Umgebung.
Er spielte auch als Doppelgänger den Fritz in Mariettas Truppe (alle in
Weiß) mit großem Geschmack. Doris LAMPRECHT als Haushälterin Brigitta
stach mit ihrem warmen Mezzo hervor und ihrer rührenden Anhänglichkeit
an den leidenden Paul. Alain GABRIEL als Victorin sang und spielte das
hübsche Pierrot-Lied mit Schwung und Geschmack. Die anderen Mitglieder
von Mariettas Truppe waren durchwegs rollendeckend, ohne zu outrieren:
Elisa CENNI (Juliette), Letitia SINGLETON (Lucienne) und Alexander KRAVETS
(Graf Albert), sowie Serge LUCCHINI als Gaston.
Stürmischer
und dankbarer Beifall für diese großartige Premiere eines sehr schwierigen
Werks, fast neunzig Jahre nach der Uraufführung! wig.
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