Szenische
Erstaufführung
Karel
Szymanowski (1882-1937) gehört zu den Komponisten, die nie ranggemäß eingestuft
werden. Der junge Karel wuchs in Tymoszówska in der polnischen Ukraine
auf dem Lande auf. 1905 reiste er erstmalig nach Paris, London, Wien,
Italien und Sizilien. Er sollte Sizilien mehrmals wieder besuchen. Auf
diesen Reisen lernte er zahlreiche Künstler kennen, Ravel, Rimski-Korsakow,
R. Strauss, Strawinsky, d'Annunzio, Diaghilew, deren Kunst ihn begeistern
und deren Werke er aufsaugte wie ein Schwamm. In Wien schrieb er 1912
seine erste Oper "Hagith". Obwohl seine ersten Kompositionen stark von
Strauss beeinflußt sind, wurde seine schillernde Instrumentierung später
von Ravel bestimmt.
1914
machte er seine letzte Reise mit seinem jungen Cousin Jaroslaw Iwaszkiewicz
nach Sizilien und Nordafrika und kam kurz vor Ausbruch des 1. Weltkriegs
in seine Heimat zurück. Die Verstaatlichung aller Ländereien durch die
Sowjets zwang ihn nach Polen zu flüchten. Wie seine Musik ist Szymanowskis
ästhetische Ideenwelt sehr sykretistisch. Er will eine Brücke zwischen
Okzident und Orient, Christentum und Islam schlagen. 1918 trafen sich
beide Cousins in Odessa, und die Idee eines Opern-Textbuchs keimte, mit
dem Hintergrund Christus=Dionysos. Sie dachten zuerst an den schwäbischen,
in Bari geborenen Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen, der dort lange
lebte und regierte, und an dessen Hof mehr griechisch, arabisch und hebräisch
als deutsch und italienisch gesprochen wurde. Doch schließlich einigten
sie sich die beiden auf dessen Großvater Roger II., der in Palermo 1130
das normannische Königreich begründet hatte.
Das
Textbuch wurde ein sehr symbolistischer, synkretistischer und poetischer
Text: der Hirt (Dionysos) wirft nicht nur christliche und arabische Gedanken
auf (mit Edrisi, dem arabischen Berater des Königs), sondern ruft auch
"die Wasser des Ganges" an. "Król Roger" wurde 1926 in Warschau uraufgeführt,
drei Jahre nach "Wozzeck" und die Musik erinnert bisweilen an "Salome",
aber auch an Ravels "Daphnis et Chloé". Wenngleich man Szymanowskis Musik
vielleicht als epigonal bezeichnen kann, ist sie so schillernd sinnlich,
daß man schwer dem Zauber entkommt. Die Oper endet mit einem Chor "Im
Wahnsinnstaumel des Gesangs und des Tanzes", gefolgt von einem "Sonnengesang"
des Königs, der als Bettler ins Exil geht.
Für
diese symbolistische, dionysische, hedonistische Oper mit der sinnlichen
Musik hat man justament das berüchtigte Regieteam Krzysztof WARLIKOWSKI/Malgorzata
SZCZESNIAK (Bild und Kostüme) für diese Inszenierung geholt, vermutlich
weil sie aus Polen kommen. Denn die beiden haben bereits drei völlig werkverfremdende
Produktionen in Paris auf dem Gewissen: "Iphigénie en Tauride", "Die Sache
Makropoulos" und "Parsifal" (nicht gesehen - man muß nicht alle Katastrophen
sehen!). Offenbar sind die beiden auch Vertreter in Badezimmer-Installationen,
denn in allen ihren "Inszenierungen" gibt es reihenweise Duschen, Waschbecken,
Bidets, Spiegel und einschlägiges Material. Ein Bild einer jungen Frau
in einer Badewanne (das nicht in der Inszenierung verwendet wird) auf
Webseite und Programmbuch verstärkt diesen Eindruck, das besser für einen
Prospekt der Firma "Grohe" als auf den Umschlag eines Opernprogramms paßt.
Dafür
besteht das Bühnenbild diesmal aus einem etwa einenMeter hohen, durchsichtigen
Schwimmbecken, in dem der Chor und der König herum waten und das bisweilen
mit einem schweren Deckel geschlossen wird, beidseitig von zwei Coiffeur-Salons
flankiert. Das durchsichtige Becken hat auch die Eigenschaft, daß man
während der ganzen Vorstellung das Spiegelbild des Dirigenten zu sehen
bekommt. Aus unerfindlichen Gründen schwimmt auch während der ganzen Aufführung
eine Leiche im Becken. In dieser Atmosphäre zweifelhafter Ästhetik spielt
sich die Handlung dieses symbolistischen, sinnlichen Dramas ab.
Ein
stümperhaftes, völlig unnötiges Video von Denis GUÉGUIN, das dauernd flackerte
und besonders störend wirkte, leitete von der schillernden, intensiven
Musik ab. Die Pointe kam am Schluß, wenn der göttliche Hirte mit einem
Mickeymaus-Kopf erscheint, umgeben von einem Dutzend Mickeymaus-Kindern,
während König Roger in Trance die Sonne anruft! Personenführung im üblichen
Sinn ist natürlich nicht vorhanden. Es gab auch eine unklare Choreographie
von Saar MAGAL, die sich anscheinend auf im Wasser Plantschen beschränkte.
Halbdunkel beleuchtet wurde der ganze aufwendige Krempel von Felice ROSS.
Miron HAKENBECK soll als Dramaturg gewirkt haben.
Zum
Glück war die musikalische Seite der Vorstellung auf hohem Niveau. Dies
ist in erster Linie der magistralen und klaren musikalischen Leitung von
Kazushi ONO zu verdanken, der diese völlig unbekannte Partitur dem ORCHESTRE
DE L'OPÉRA NATIONAL DE PARIS schmackhaft machen konnte. Ono, der mehrere
Jahren an der "Monnaie" in Brüssel gewirkt hat und nun als Chef der Oper
in Lyon tätig ist, gelang es, die Finessen dieser klangreichen, raffinierten
und subtilen Musik intensiv zu vermitteln.
Die
hauptsächlich polnische Besetzung war mit Herz und Seele am Werk die Musik
des Landsmannes in Paris zu verteidigen, 83 Jahre nach der Uraufführung.
Nach einem kurzen ostinaten Vorspiel beginnt die Oper in der (nicht gezeigten)
Kathedrale von Palermo mit einem mächtigen Chor, geführt vom Erzbischof
(Wojtek SMILEK) und der Äbtissin (Jadwiga RAPPÉ). Das war noch die eindrucksvollste
Szene, denn der CHOR DER OPÉRA NATIONAL DE PARIS sang prächtigst (Leitung:
Winfried MACZEWSKI) im Hintergrund und wurde durch das Video auf einem
Gaze-Vorhang gezeigt. Doch der ganze 1. Akt spielt in der Kathedrale und
nicht in einem Schwimmbad!
König
Roger war mit Mariusz KWIECIEN mit kraftvollem Charakter-Bariton bestens
besetzt, der den zweifelnden König auch sehr glaubhaft darstellte. Olga
PASICHNYK als seine Gattin Roxana, die als erste dem schönen göttlichen
Hirten verfällt, bestach durch ihren gut geführten glockenreinen Sopran.
Beide versuchten in unpassender moderner Kluft (Smoking bzw. Abendkleid)
das in dionysische Trance versinkende antike Königspaar darzustellen,
was ihnen auch beiden stimmlich und darstellerisch gelang, trotz des absurden
Rahmens. Ebenso eindrucksvoll war auch der Tenor Stefan MARGITA als Edrisi,
der arabische Berater des Königs. Der Amerikaner Eric CUTLER war der dionysische
Hirte ("Mein Gott ist so schön wie ich"), eine ausgeprägte Bühnenpersönlichkeit,
der herrlich sang. Tätowiert, sah er eher wie ein Holzfäller aus Manitoba
aus als ein griechischer Ephebe, aber dank seines strahlenden jugendlichen
Heldentenors beherrschte er die Bühne.
Ich
persönlich hatte diesen Abend seit langem erwartet, denn nach zwei konzertanten
Aufführungen vor einigen Jahren und einer im letzten Moment abgesagten
Vorstellung an der Oper in Warschau, hoffte ich diese faszinierende Oper
endlich auf der Bühne zu erleben. Ich hatte mir eine in Sonne und Licht
gebadete, mediterrane, symbolgeladene Inszenierung vorgestellt, bekam
dafür nur ein schlecht beleuchtetes Schwimmbad.
Das
Regieteam dieser Verunglimpfung eines wichtigen musikalischen Bühnenwerks
des 20. Jahrhunderts wurde am Schluß der Premiere und bei der 2. Aufführung
vom Publikum, das sich verhonepiepelt fühlte, mit einem Buh- und Pfeifkonzert
"bedankt". Bei der 3. Aufführung hatten die "Regie-Helden" des Abends
allerdings nicht die Frechheit, sich nochmals vor dem Publikum zu zeigen,
das die ausführenden Künstler dafür allerdings mit nur mäßigem Applaus
bedachte. Wie gesagt, schade! wig.
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