Wenn
man mir einmal prophezeit hätte, daß ich einmal Wagners "Feen" sehen würde,
hätte ich ihn sicher laut ausgelacht. Ich ging aber trotzdem pochenden
Herzens zur Vorstellung, mit "Was hat Richard wohl mit zwanzig Jahren
angestellt?"
1833,
also mit zwanzig Jahren, wurde der Autodidakt Richard Wagner dank seines
Sänger-Bruders Chorchef am Theater in Würzburg. Dort leitete er so ziemlich
alles, was ein kleines Opernhaus spielte: Mozart, Beethoven, Weber, Marschner,
Lortzing, Auber, Meyerbeer, Bellini, Rossini und Zeitgenossen. Er hatte
bereits einige kleinere Werke komponiert und machte sich sofort an die
Arbeit, sein erstes Opernexperiment zu schreiben. Kein nettes Singspiel,
sondern eine große, dreiaktige, heroische Oper (Wagner war ja selten von
Minderwertigkeitskomplexen geplagt!), mit gleich drei (!) Liebespaaren
Er schrieb auch das Libretto - schon damals - inspiriert von einer Fabel
von Carlo Gozzi "La donna serpente". Ein Jahr später waren "Die Feen"
fertig, die er eigentlich 1835 in Leipzig uraufführen wollte, doch "Die
Feen" wurden abgelehnt. Auch in Magdeburg hatte Wagner kein Glück, und
er wandte sich schließlich von den "Feen" völlig ab. Da er vermutlich
nicht wußte, wohin mit dem Wälzer, schenkte er später die Partitur König
Ludwig II. Cosima Wagner war nicht sonderlich begeistert als Hermann Levy
1888 in München "Die Feen" posthum uraufführen ließ. Und sie intrigierte
heftigst dagegen - was sie ja sehr gut konnte.
Das
konfuse Libretto und der geschwollene Text hätten dreißig Jahre später
bei den Meistersingern bestenfalls "Auf blinde Meinung klag' ich allein!",
"Ja, ich verstand gar nichts davon!" oder "Merkwürd'ger Fall!" geerntet.
Die Inhaltsangabe und das komplette Libretto sind auf Internet zugänglich
(www.richard-wagner-web.de).
In
der romantischen Oper sind Geister, Teufel und Feen, Schwüre und Strafen,
Tod und Unsterblichkeit eher alltäglich. Das geht zurück in die barocke
Zeit der Götter-Dramen. Bereits bei Händel will Semele zuerst unsterblich
werden bevor sie Jupiter ins Bett läßt. Max erschießt im "Freischütz"
fast seine Braut Agathe, weil er mit dem Teufel packelt. Der Sohn einer
Fee und eines Sterblichen ist Hans Heiling in Marschners Oper. Und vergessen
wir nicht Mozarts "Zauberflöte" und natürlich Goethes "Faust".
Wagner
hat das alles eingesogen wie Schwamm und auch verwendet. Musikalisch ist
die Oper deshalb sehr interessant und läßt oft aufhorchen. Nach Wagners
Aussage ist die Oper von Beethoven und Weber beeinflußt, und das kann
man ganz klar hören. Doch die Stimmung und Handlung sind nicht nur nordisch-heroisch,
sondern sehr pantheistisch und zahlreiche Anspielungen an die "Zauberflöte"
sind offenbar, wie der "Chor der ehernen Männer" der fragt "Was will der
Fremdling hier?" Auch Groma, der Gott der Irdischen, ist ein Vetter des
Sprechers, der Arindal einen Schild, ein Schwer und eine Leier schenkt,
während die beiden Feen Farzama und Zemina Cousinen der Damen der Königin
der Nacht sind. Ein Duett zwischen Gernot und Drolla ist entschieden dem
Paar Papageno-Papagena nachgefühlt, obwohl auch Flotow und Lortzing eingewoben
sind.
Der
Tenor-Anti-Held Arindal, der nicht kämpfen will, ist zwar stimmlich zwischen
Florestan, Max und Tannhäuser angesiedelt, aber viel anstrengender, da
viel länger und weist bereits auf Siegfried und Tristan. Die weibliche
Hauptrolle Ada, die Tochter des Feenkönigs und Gattin Arindals, ist sehr
von Webers "Oberon" inspiriert, ebenso wie Arindals Schwester Lora. Adas
große Arie "Weh mir, so naht die fu?rchterliche Stunde", sowie Loras Jubelarie
"Sie kehren mir zurück!" könnten auch für Reza geschrieben worden
sein. Anderseits ist die erste Arie Adas "Wie muß ich doch beklagen" eine
richtige Cabaletta à la Bellini, einer von Wagners Lieblingskomponisten.
Auch Mendelsohn, ein weiterer Liebling, ist bereits in der Ouvertüre zitiert.
Da
Wagner in der Handlung Mißverständnisse und Komplikationen auftürmt, hatte
er reichlich Gelegenheit seine Kenntnisse zu zeigen und zu erweitern.
Die "verbotene Frage" wird hier bereits vorgefühlt, weshalb Arindal ja
aus dem Feenreich verbannt wird.
"Die
Feen" sind aber mehr als eine Sammlung all dessen, was Wagner kannte und
im Selbststudium gelernt hatte. Was auffällt ist, daß man nicht nur viele
musikalische Anspielungen an Wagners Vorbilder hört, sondern auch vieles
aus der Zukunft. Wagner hat hörbar mehrmals später auf die "Feen" zurück
gegriffen. An manchen Stellen sagt man sich "Hört, hört! Schon hier?"
"Tannhäuser" kann man mehrmals hören. Besonders die Verwendung des Chors
ist "Tannhäuser", "Lohengrin" und "Holländer" öfters vorgefühlt. In ihrer
sehr aufgelösten Tonalität erinnert Arindals Wahnsinnsszene bereits an
"Tristan". Die nordischen bzw. keltischen Namen sind auch nicht unschuldig.
Arindals treuer Knappe, der seinen Herren sucht, heißt Morald, bereits
eine Andeutung auf Morold, Isoldes früheren Geliebten. Wagner war hörbar
voll jungendlicher Schaffenskraft. Jedenfalls sind "Die Feen" als Erstwerk
mehr als erstaunlich und zeigen bereits klar die künstlerischen Fähigkeiten
Wagners.
Man
muß sich die Frage stellen, wie man so ein Werk aufführt (oder andere
Zauber-Opern aus dieser Zeit). Auf "altdeutsch" oder "modern"? Bleierne
Langeweile im ersten Fall bzw. unerträglicher Kitsch im zweiten wären
fast unausbleiblich. Wenn man aber die ganze Fabel nicht ganz ernst nimmt,
kann man die phantastische, etwas sentimentale Seite der ganzen Geschichte,
bevorzugen, ohne in Hollywood-Kitsch zu verfallen. Das hat sowohl Marc
MINKOWSKI am Pult - der wohl mehr an Weber und Offenbach, als an Wagner
gedacht hat - als auch der Regisseur Emilio SAGI, Intendant der Oper in
Bilbao, zum Leitfaden dieser Produktion gemacht.
Sagi
hat das Märchenhafte der Handlung hervorgestrichen und wurde dabei von
den phantastischen und traumhaften Bühnenbildern von Daniel BIANCO hervorragend
unterstützt, sowie den vielfarbigen Kostümen von Jesús RUIZ: die Feen
waren rosa oder orange gekleidet, während die Irdischen dunkle, blaue,
grüne oder braune Kostüme trugen. Der Eingangs-Feenchor (ausgezeichnete
Chor- und Studienleitung von Nicholas JENKINS) war in einen riesigen orangen
Schleier, ein einziges Riesenkleid, gehüllt. Prachtvoll! Die Feenwelt
Adas spielte auf einer Art Insel, eine große rote Rose, die irdische Welt
jedoch vor einem großen goldenen Schild. Der 3. Akt spielt auf und um
einen riesigen umgefallenen Kristall-Leuchter und beschreibt den Wahnsinn
Arindals. Einzig die riesigen Flügel der Feen waren etwas kitschig, obwohl
sie deren Unsterblichkeit zeigen, denn Ada läßt ihre fallen, wenn sie
auf ihre Unsterblichkeit verzichtet. Die ganze Ausstattung war größtenteils
mit Flitter bestreut und wurde sehr geschickt und passend von Eduardo
BRAVO beleuchtet. Eine Augenweide!
Chor
und Orchester "LES MUSICIEN DU LOUVRE-GRENOBLEe" unter der Leitung von
Marc Minkowski, der diesmal mit einem normalen Dirigentenstab dirigierte,
unterstrichen das romantisch-jubelnde Element der Partitur. Dies ergab
eine sehr durchsichtige, leichte und nicht drückende Atmosphäre, was trotz
der Länge der Oper (vier Stunden, mit zwei kurzen Pausen) und der mühsamen
Handlung keine Langeweile aufkommen ließ.
Die
heldischen Sänger sind das auch wirklich, denn es ist unwahrscheinlich
daß sie diese Rollen je wieder zu singen. Ada, die Tochter des Feenkönigs,
ist eine sehr anstrengende, riesige Rolle. Die junge deutsche Sopranistin
Christiane LIBOR besitzt eine große, sehr gut geführte Stimme, mit feinen
piani und hochdramatischen Ausbrüchen, die nie forciert waren. Sie spielt
ganz ausgezeichnet und trotzdem sehr verhalten. Sie feierte einen persönlichen
Triumph. Eine kommende Isolde! Ihr Partner als Arindal war William JOYNER,
der vor einigen Jahren in der Bastille Eisenstein gesungen hatte und hier
einigermaßen enttäuschte. Die Stimme ist nicht unangenehm, doch seine
Mittellage ist mäßig und seine Höhen sind fast unhörbar. Er mußte ständig
forcieren, was der Stimme nicht sonderlich gut tat. Eine Notlösung, denn
J. Kaufmann oder T. Kerl waren vermutlich nicht dafür zu haben.
Das
zweite Liebespaar Lora-Gernot war dafür sehr ausgeglichen. Die junge Lina
TETRUASHVILI besitzt einen perfekten jugendlich-dramatischen Sopran, den
sie vorzüglich anwendet und in jubelnden Arien zur Geltung bringt. Ihr
Partner als Gernot war Laurent NAOURI, diesmal kein Schurke oder Teufel,
der seinen kraftvollen Bariton einsetzte, und der nicht die Krone von
Tramond annimmt, sondern nur die Regentschaft, ist ein früher Kurwenal.
Perfekt! Das dritte Papageno-Buffo-Liebespaar, war die charmante Judith
GAUTHIER als Drolla und Laurent ALVARO als Morald. Sie sangen das Wiedersehens-Duett
mit Herz und märchenhafter Naivität und sehr passenden Stimmen.
Ein
verläßlicher Gunther, der Begleiter Moralds auf der Suche nach Arindal
war Brad COOPER, ebenso wie Neil BAKER als Harald, der das Entsatz-Heer
bringen sollte. Die beiden bösen Feen, die das Feenreich aufhetzen, damit
Ada ihren sterblichen Geliebten verläßt, waren ausgezeichnet: Salomé HALLER
als Farzana und Eduarda MELO als Zemira zeigten sich der Rollen bestens
gewachsen. Die zwei Götterrollen als Feenkönig und irdischer Groma sang
Nicolas TESTÉ mit orgelndem Baß perfekt.
Freude
und Wonne des sehr internationalen Wagnerianer-Publikums des vollen Hauses,
das sich die einmalige Chance nicht entgehen lassen wollte und den Künstlern
einen Triumph bereitete. Nun fehlt mir noch "Das Liebesverbot"! wig.
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