Die
derzeitige Pariser Operndirektion endete mit dieser Saison. Seit Beginn
der Saison sind sogenannte Koproduktionen die neue Masche. Eine Inszenierung
wird irgendwo für eine Aufführungsserie ausgeliehen, die man hier nie
mehr wieder sehen wird. Im Herbst 2008 gab's ein Bolshoi-Gastspiel mit
"Eugen Onegin", vor einigen Monaten kam aus Amsterdam Schostakowitschs
"Lady Macbeth", im März wurde "Werther" aus München eingeflogen. Für Saisonende
sind noch einige solche Ein-Wochen-Produktionen vorgesehen. Dieser "Macbeth"
kommt aus Novosibirsk vom Regisseur des "Eugen Onegin" inszeniert. Dabei
hatten wir in der Bastille vor zehn Jahren eine ganz gute - jedenfalls
bessere - eigene Produktion von Philida Lloyd (mit Guleghina und Lafont).
Wenn
der Besucher den riesigen Saal der Bastille-Oper betritt, ist auf dem
Bühnenvorhang eine Google-Earth Landkarte eines Haufendorfs von etwa tausend
Einwohnern projiziert. Diese Karte wird während des Abends noch mehrmals
gezeigt, im 4. Akt dekoriert mit Rauchschwaden. Man begreift schließlich,
daß es sich um den Ort der Handlung, d.h. das schottische Königreich und
Cawdor, der Hauptstadt handelt. Diese Karte wird mehrmals vergrößert,
darauf gesucht und auf ein Gebäude gezoomt, ein schäbiges, protziges Haus
um 1900, das dem Thane, d. h. dem Bürgermeister des Nestes gehört, nämlich
Mr. Macbeth und seine Lady bewohnen es. Das große Fenster des bürgerlichen
Wohnzimmers wird dann in eine Bühne auf der Bühne verwandelt, die mit
dem weißen Rahmen sehr an einen flatscreen-Fernsehschirm erinnert. Fehlt
nurmehr, daß PHILIPS oder SONY auf dem Rahmen steht...
Ein
weiterer Schauplatz der Handlung scheint der Dorfplatz zu sein, mit einer
riesigen Bogenleuchte in der Mitte, umgeben von häßlichen, fast gleichen
Häusern. Wegen der Trübseligkeit des Platzes könnte man glauben, daß es
sich um einen Aufmarschplatz eines Gulags (der Regisseur kommt ja aus
Novosibirsk) oder eines KZ sein könnte. Die Hexen - die BürgerInnen des
Dorfs - versammeln sich zu Beginn der Oper auf diesem Platz und geben
ihre Weissagungen und Flüche zum besten. Der riesige Hexen-Chor (über
achtzig Choristen) spaziert in Mänteln des beginnenden 20. Jahrhunderts
herum: es ist doch der Hauptplatz von Cawdor. Die Prophezeiungen der Erscheinungen
im 3. Akt, die unsichtbar hinter der Szene singen, sind nur schwer hörbar,
die der Kinderstimme nur ein fernes Gequietsche. Die englischen Hooligans,
die zur Befreiung Schottlands mit Macduff kamen, zerstören am Ende das
Haus Macbeths indem sie mit Pflastersteinen die Gipswände einschlagen.
Die Konfrontation zwischen Macbeth und Macduff fällt dabei natürlich völlig
flach unter dem Lärm der krachenden Wände. Sehr erbaulich!
Weitere
Gags des Regisseurs werden ebensowenig der tragischen, höchst dramatischen
Handlung der Jugendoper Verdis gerecht. König Duncan (eine stumme Rolle)
kommt in einem hübschen, braunen Pullover zum Tee und unterhält sich während
der Zwischenmusik köstlich mit Ehepaar Macbeth, bevor er von diesem hinter
der Szene gekillt wird. Macbeth im Schaukelstuhl wird von seiner Frau
beschimpft, daß er sich endlich zusammenreißen soll und sich die Krone
holen soll. Beim Krönungsbankett erscheint Lady Macbeth als Zauberin in
Hosenkostüm, wobei sie die Schals der Damen in ihrem Zylinder einsammelt
und dann verknüpft herauszieht. Im 4. Akt singen die schottischen Flüchtlinge
("Patria oppressa!") auf dem Dorfplatz mit allem ihren Habseligkeiten,
einschließlich einer Gehschule für Klein-Kinder, in der Macduff sich aufkniet
und seine Arie schmettert!
Die
Handlung ist völlig verniedlicht und banalisiert und steht in keinem Verhältnis
zur Shakespeare und natürlich noch weniger zu Verdis Musik. 1847 in Florenz
uraufgeführt, war "Macbeth" eines der Lieblings- und Sorgenkinder des
Meisters von Busseto, und er hat diese Oper achtzehn Jahre später für
das Théâtre Lyrique in Paris erheblich umgearbeitet. In seinen Briefen
an Impressarios und Sänger mahnte er ständig Shakespeares Geist ein, diese
Mischung aus Phantastischem und blutigem Drama. Im Programmbuch schreibt
jedoch der Regisseur, Bühnenbildner und Kostüm-Macher Dmitri TCHERNIAKOV,
daß er dieser Oper zuerst nichts abgewinnen konnte und sie eher kindisch
fand, daß er sich aber nun damit angefreundet habe und beschließt mit:
"Bezüglich der Erkenntnisse und Referenzen muß jeder Zuschauer diese selbst
finden." Etwas billig für einen Regisseur! Er hat offenbar Shakespeare
mit Tschechow oder gar Anzengruber verwechselt und Verdi mit Tschaikowsky.
Grober Fehler!
Leider
war nicht nur der optische Eindruck nicht sonderlich überzeugend, sondern
auch musikalisch war die Aufführung zu bieder. Der junge griechische Dirigent
Teodor CURRENTZIS dirigierte zwar recht schwungvoll ohne Stab, doch ist
es ihm hörbar nicht gelungen seinen jugendlichen Enthusiasmus dem ORCHESTER
DER PARISER OPER mitzuteilen. Der von Alessandro DI STEFANO sehr gut einstudierte
CHOR DER BASTILLE-OPER sang zwar sehr gut, besonders im Flüchtlingschor
"Patria oppressa!", aber alles war zu bieder für diese Oper.
Auch
die Sänger hatten keinen guten Tag. Der Titelheld war der Grieche Dimitri
TILLAKOS, Schüler von Kostas Paskalis, der zwar einen warmen, angenehmen
und gut geführten Kavaliers-Bariton besitzt, dem allerdings jegliche Schwärze
oder dramatische Intensität fehlt. Selbst seine schön gesungene Arie "Pietà,
respetto, amore" im 4. Akt konnte den schwachen Eindruck nicht wettmachen.
Zumal er die Arie auf einem Tisch stehend mit einer großen Karte des Dorfes
in der Hand sang und am Schluß auf dem Tisch in Unterhose einschlief!
Als Schaunard oder Giorgio Germont kann man ihn sich vorstellen, aber
Macbeth ist frühestens in zehn Jahren zu erwägen. Eine Fehlbesetzung und
ein typischer Fall von Verheizung eines kommenden Talents.
Auch
die sehr erwartete Lady Macbeth von Violeta URMANA enttäuschte einigermaßen.
Sie singt hörbar zuviel, denn neben hinreißenden Ausbrüchen gab es auch
einige recht beiläufige Stellen. Bereits im 1. Akt (Stretta "Vieni!")
ging einiges schief, während die große Kavatine "La luce langue" im 2.Akt
ordentlich, aber nicht umwerfend war. Daß sie die Nachtwandelszene in
einem modernen weißen Pyjama sang, zeigte sie nicht von der besten Seite,
obwohl sie hier stimmlich besser war. Selbst Ferruccio FURLANETTO als
Banquo war nicht in bester Form, denn es gab ein paar unerfreuliche Töne
zu hören.
Stefano
SECCO als Macduff (in der Gehschule!) war mit Abstand der beste, denn
er sang seine Arie "O figli, o figli miei!" inmitten der schottischen
Flüchtlinge fulminant. Aufhorchen ließ auch Tenor Alfredo NIGRO als Malcolm,
als er zum Kampf aufrief. Der Verkleidung nach könnte Letitia SINGLETON
(als Dienerin der Lady) aus einem Brontë-Film entstiegen sein, sang aber
ordentlich. Yuri KISSIN als Arzt und JIAN-HONG Zhao (Mörder) waren rollendeckend,
kaum aber die Erscheinungen (Denis AUBRY, Vania BONEVA und die Kinderstimme)
hinter der Szene; diese sind aber unschuldig, denn man sah und hörte sie
kaum oder gar nicht.
Ein
sehr enttäuschender Abend für eine der intensivsten Opern Verdis: flaue
Ambiente und heftige Buh-Rufe für das Bühnenteam. wig.
P.
S.: Es wurde viel Medien-Klamauk um diesen "russischen Macbeth" gemacht.
An russischen Sängern gab es drei, Lady Macbeth, Banquo und Macduff, die
nur je zwei Mal sangen (von elf Aufführungen). Von Teodor CURRENTZIS geleitet
(einmal durch Piotr BELYAKIN ersetzt, aber nicht mit den russischen Sängern),
sangen in neun Aufführungen? Urmana (Lady Macbeth), Furlanetto(Banquo)
und Secco (Macduff). Dimitris Tiliakos in der Titelrolle und alle anderen
Sänger sangen in allen elf Aufführungen. Laut verschiedenen Berichten
waren die Sänger aus Novosibirsk mäßig.
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