Albert
Roussel (1869-1937) ist vor allem für seine Ballette "Bacchus et Ariadne"
und "Le Festin de l'Araignée" und seine symphonische Musik bekannt. Obwohl
aus wohlhabender Familie, hatte er eine schwierige Jugend: beide Eltern
starben früh, und der Großvater, bei dem er aufgenommen wurde, folgte
auch bald nach. Das Meer zog Roussel an, und er ging deshalb mit 15 Jahren
zur Marine und wurde Offizier. Zuerst komponierte er wenig, hauptsächlich
Klavier- und Kammermusik, und erst mit 25 Jahren begann er sein Studium
an der Scola Cantorum in Paris und wurde Schüler von Vincent d'Indy. Bald
unterrichtete er auch hier und hatte u. a. Varese, Satie und Martinú als
Schüler und Freunde. Die Scola Cantorum förderte auch die Rehabilitierung
der Musik Rameaus, der zweihundert Jahre vorher mit seinen Opéra-Ballets
eine spezifische Art der französischen Oper eingeleitet hatte.
Bis
ins 18. Jahrhundert hat die Mythologie die Opernlibretti beherrscht. Der
orientalische Trend hatte mit Rameaus "Les Indes galantes" begonnen, und
Mozart führte diesen mit "Der Entführung aus dem Serail" fort. Rossini
folgte mit verschiedenen Opera seria und buffa. Die Entzifferung der phönizischen
und ägyptischen Schriften zu Beginn des 19. Jahrhundert leitete das Interesse
für den Orient in Frankreich ein, und der Orientalismus wurde rasch eine
Mode. In den bildenden Künsten (Delacroix), der Literatur (Loti) und besonders
in der Oper ("L'Africaine", "Les Pecheurs de Perles", "Lakmé", "Le Roi
de Lahore") waren die orientalischen Einflüsse sehr stark, aber nicht
nur in Frankreich, auch in anderen Ländern ("Nabucco", "Aida", "Madama
Butterfly", "Turandot", "Sadko", "Salome").
1909
reiste Roussel mit seiner Frau für mehrere Monate nach Indien und war
von der reichen Kultur des Landes sehr beeindruckt. Er las viel über indische
Philosophie, Literatur, Geschichte und Architektur. Als ihn die Pariser
Opéra für ein Bühnenwerk einlud, entschied er sich für die Geschichte
von Rani Padmini (oder Padmâvatî) und dem Untergang der Festung Chittor
(oder Chittorgarh) im 14. Jahrhundert. Der Orientalist Louis Leloy schrieb
mit Roussel das Libretto. Er begann die Komposition von "Padmâvatî" 1910,
die zu Beginn des Weltkriegs halb fertig war, als er als Lazarett-Fahrer
einberufen, aber wegen seiner schlechten Gesundheit 1917 demobilisiert
wurde. Er setzte die Oper fort und beendigte sie ein Jahr später. Am 1.
Juni 1923 wurde "Padmâvatî" an der Pariser Oper uraufgeführt. Seit Jahrzehnten
wurde "Padmâvatî" in Frankreich aber nicht mehr gespielt.
Die
Oper weicht bewußt vom klassischen oder Wagnerischen Opernstil ab und
ist formal eher dem Opéra-Ballet Rameaus ähnlich. Natürlich ist Roussels
Musik von Debussy beeinflußt, doch man kann ihn nicht als einen Epigonen
bezeichnen. In den zahlreichen Chören denkt man bisweilen an Debussys
"Syrènes", aber in der tonalen Behandlung ist aber die Scola Cantorum
nicht weit. Roussel hat offenbar Strawinskys frühe Ballette gesehen und
dessen Rhythmik aufgenommen, hat aber einen sehr eigenen Stil entwickelt
und die Verwendung der Ganztonleiter in "Padmâvatî" ist sehr ausgeprägt.
Allerdings werden nur klassische europäische Musikinstrumente verwendet,
keinerlei indische, abgesehen von ein paar Tamburinen und Trommeln.
Das
Châtelet hat sich diese Wiederaufführung von "Padmâvatî" etwas kosten
lassen und hervorragend vorbereitet. Da die Oper sehr viele Szenen indischer
Tänze beinhaltet, hat man ganz einfach ein indisches Regie-Team, komplett
mit großem indischen Ballett eingeladen, mit Pferd, Tiger, Elefant und
feuerschwingenden Kriegern. Die Inszenierung wurde einem Bollywood-Star
anvertraut, dem indischen Filmregisseur Sanja LEELA BHANSALI, der mit
seinem Film "Devadas" weltweit bekannt geworden ist. In der fabelhaften
Szenographie von Omung KUMAR BHANDULA und den zahllosen stilvollen und
sehr farbenprächtigen Kostümen von Rajesh PRATAP SINGH konnte der Choreograph
Tanusree SHANKAR seine Tänzer bestens zur Geltung bringen. Somak MUKERJEE
beleuchtete diese phantastische Aufführung durchwegs sehr passend. Eine
Augenweide von Anfang bis Ende, vom Szenenvorhang mit dem Elefanten-Gott
Ganesh bis zum Rosen-überschütteten Scheiterhaufen am Ende der Oper. Phänomenal!
Die
musikalische Seite wurde jedoch von französischer Seite bestritten. Obwohl
der Dirigent Lawrence FOSTER Amerikaner ist, wirkt er seit Jahrzehnten
hauptsächlich in Frankreich; er war u. a. lange Jahre Chef des Orchesters
in Monte Carlo. Er hatte sich dem seltenen Werk mit hörbarer Liebe angenommen,
die er dem ORCHESTRE PHILHARMONIQUE DE RADIO FRANCE vollgültig mitteilen
konnte. Der CHŒUR DU CHÂTELET (Leitung Stephen BETTERIDGE) folgte begeistert
und höchst präzise dem Enthusiamus der ganzen Produktion.
Die
Titelrolle der indischen Prinzessin Padmâvatî, die lieber sterben will;
als in die Hände des Moguls Alaouddin zu fallen, sang Sylvie BRUNET mit
kraftvollem Mezzo-Sopran und sehr großem Stilgefühl, sowie mit ungewöhnlichem
schauspielerischem und emotionellem Einsatz. Neben ihr wirkte der gute
2 Meter große Isländer Finnur BJARNASON als Ratan-Sen, Raja von Chittor,
stimmlich etwas blaß, war aber szenisch sehr eindrucksvoll. Seinem schönen
lyrischen Tenor fehlt die Durchschlagskraft für diese ziemlich dramatische
Rolle.
Daneben
war Alain FONDARY als Groß-Mogul Alaouddin (der auf einem Elefanten auftritt!)
eher das Gegenteil, nicht sehr groß, aber welche Stimme! Sein hervorragend
tragender Bariton gab der Rolle Durchschlagskraft und großartiges Format.
Den abtrünnigen Brahmanen, der Alaouddin berät, sein Volk verrät und von
diesem schließlich gelyncht wird, sang mit kultiviertem Tenor Yann BEURON.
Dieser intelligente Sänger zeigt in allen seinen Rollen darstellerische
Eleganz. In den kleinen Rollen waren Blandine FOLIO PERES (Nakamti), François
PIOLINO (Badal), Laurent ALVARO (Gora) und Alain GABRIEL (Wächter) rollendeckend.
Ein
Triumph für diese sensationelle Aufführung und ein Ruhmesblatt für die
Direktion des Châtelet. Sänger, Ballett und Regisseur wurden gefeiert
wie selten. Es war vielleicht zu viel fürs Auge, so daß man von der Musik
bisweilen abgelenkt wurde.
Hier
kann man ebenso nur bedauern, dasß diese außergewöhnliche Produktion nicht
reist, und einem weiteren Publikum zugänglich wird. Es ist allerdings
von Aufführungen in Italien die Rede. So etwas gehört in die Arena von
Verona! wig.
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