Die
Pariser Oper hatte in der vergangenen Saison eine sensationelle "La Juive"
von Halévy nach siebzig Jahren wieder aufgeführt, gefolgt von "Louise"
von Charpentier. Im Herbst wurde die Saison mit Dukas' "Ariane et Barbe-Bleu"
eröffnet. Die "Ausgrabungen" vergessener französischer Opern gehen aber
hurtig weiter. Die neue Direktion der Opéra comique hat diese Politik
auf ihr Panier geschrieben und bereits Chabriers "L'Etoile" und Lullys
"Cadmus et Hermione" gebracht und spielt nun nach 95 (!) Jahren erstmalig
wieder Hérolds "Zampa" - mit ganz großem Erfolg. Man kann nur hoffen,
daß auch Opern von Meyerbeer, Adam und Auber wieder einmal gezeigt werden.
Bei solchen Grabungen stößt man oft auf Goldkörner und bisweilen ganze
Gold-Adern.
Ferdinand
Hérold (1791-1833) wurde von seinem elsässischen Vater Louis Hérold, einem
Schüler von Carl Philipp Emanuel Bach, in die Musik eingeführt. Mit 15
Jahren wurde er am Pariser Conservatoire Schüler des berühmten Geigers
Kreutzer und lernte Komposition bei Méhul. Er war sehr befreundet mit
Boieldieu und Adam, mit denen er mehrere gemeinsame Produktionen, wie
es damals üblich war, komponiert hatte. Mit 21 Jahren erhielt er den "Prix
de Rome", zog aber wegen seiner schlechten Gesundheit nach kurzem Rom-Aufenthalt
nach Neapel, wo seine erste Oper "La Gioventù d'Enrico Quinto" mit dem
berühmten Manuel Garcia (Vater von Maria Malibran und Pauline Viardot)
in der Titelrolle uraufgeführt wurde.
Nach
einem Umweg über Wien, wo ihn Salieri empfing (aber nicht der kranke Beethoven),
kehrte er nach Paris zurück. Wie üblich gab es wieder einmal Probleme
in der Direktion der Opéra (also nicht neu!). Er schrieb aber "Zampa"
für die Opéra comique (wo Meyerbeer gerade "Robert le Diable" zurück genommen
hatte), die 1831 ein Triumph wurde. Nur mit einer zweiten Oper war er
noch wirklich erfolgreich: "Le Pré aux Clercs". Er schreib auch Ballette,
von denen nur "La Fille mal gardée" auch heute noch gespielt wird. Hérold
war vor allem als Korrepetitor und Chordirigent tätig, sowohl im Théâtre
Italien und an der Opéra, die damals in der Salle Peletier spielte. Er
starb wie sein Vater mit nur 42 Jahren an Tuberkulose. "Zampa" war ein
Welterfolg und erreichte in Paris 750 und in ganz Frankreich mehrere tausend
Aufführungen. "Zampa" wurde in Wien bereits ein Jahr nach der Uraufführung
und im 19. Jahrhundert viel in deutschen Landen gespielt. Die letzte französische
Aufführung fand 1913 statt. Heute ist kaum mehr als die sehr kecke Ouvertüre
bekannt, die wie Berlioz' "Carneval Romain" oder "Le Corsaire", Glinkas
"Ruslan und Ludmilla" oder Rezniceks "Donna Diana" bisweilen als füllende
Einleitungen in zu kurzen Konzerten auf dem Programm stehen.
Der
als Kritiker gefürchtete Hector Berlioz fand an "Zampa" viel auszusetzen.
"Der Stil hat nicht den Ernst eines Méhul, ist nicht überschwenglich wie
Rossini, mitreißend und träumerisch wie Weber, [..] von allem ein wenig
etwas. Seine Musik ähnelt sehr den anderswo erfundenen und leicht veränderten
in Paris fabrizierten industriellen Produkten, c'est de la musique parisienne",
schrieb Berlioz bösartig. Hérold hat sicher bei den genannten Komponisten
"eingekauft", zeigte aber für seine Zeit erhebliche Kühnheit in den Formen,
der Modulation und der Verwendung verschiedener Tonarten. Die Musik hat
Schmiß, phänomenale Arien und sehr schöne Ensembles. So die brillante
Arie Camilles gleich zu Beginn "Ah ce bonheur suprème" mit einer fulminanten
Schlußkadenz. Im 2. Akt singt Alfonse eine sehr schöne zweiteilige Cavatine
("Pourquoi vous troubler?", mit hohem "Des"!!), gefolgt von einem herrlichen
Duett mit Camille und einer Stretta zwischen den beiden. Zampa singt mehrere
sehr brillante (auch mit hohen "Cis") oder auch sehr elegisch-lyrische
Arien. Für die Sänger eine ausgesprochen "dankbare" Oper, nicht besser
oder schlechter als mancher Donizetti oder Rossini.
Das
Libretto ist zwar vom "Don Juan" von Molière inspiriert, ist aber kein
dramatisches Meisterwerk (man weiß am Schluß nicht, ob der Held Alfonse
seine Camille kriegt), hat die damalige Begeisterung für phantastische
Stoffe und Geschichten (siehe "Freischütz") hier einen Niederschlag gefunden.
Die Oper hat eine weitere Schwäche: man braucht nicht weniger als vier
(!) Tenöre (selbst Rossini brachte es in "Ermione" und "Otello" nur auf
drei), zwei tenore di grazia (beide haben mehrere Male hohe Cis oder Des
zu singen) und zwei Spiel-Tenöre. Dafür gibt es keinen Bariton und keinen
Baß. Die beiden weiblichen Rollen sind auch sehr hoch geschrieben.
Das
in Frankreich berühmte Künstler-Ehepaar Jérôme DECHAMPS/Masha MAKAIEFF
hat sich vor Jahren kennen gelernt, als beide Assistenten des großen Regisseurs
Antoine Vitez waren. Mit zahlreichen Aufführungen in Theater und Fernsehen
haben sie sich einen Namen gemacht, vor allem mit einer sehr populären
Serie von kurzen Fernseh-Szenen "Les Deschiens", eine köstliche Verunglimpfung
der Schwächen der Franzosen mit einem Minimum an Aufwand. Vor 15 Jahren
hatten sie sich an die Operette gemacht und eine hinreißende Produktion
von Offenbachs "Les Brigands" in der Opéra Bastille inszeniert. Ihr direkter,
trockener Humor erinnert an den englischer Komiker und die Ausfeilung
der Texte haben die beiden zur Vollkommenheit gebracht.
Die
Ernennung von Jérôme Dechamps zum Direktor der Opéra comique hat unter
Opernfreunden allgemeinen Beifall ausgelöst. Der neue Direktor will die
ursprüngliche Bestimmung der Opéra comique wieder beleben und hat bereits
mit "L'Etoile" und "Cadmus et Hermione" den Weg gezeigt. Die Ausgrabung
von "Zampa" erfolgte auf Betreiben von William Christie, dem Leiter des
bekannten Ensembles für barocke Musik "LES ARTS FLORISSANTS", dem der
neue Direktor den Wunsch erfüllte.
Die
Aufführung, die wir sahen, leite jedoch der Studienleiter der Produktion,
der junge britische Dirigent Jonathan COHEN, der die schmissige Musik
mit sehr viel Schwung und Einsatz leitete und vom Publikum sehr begeistert
und vom Orchester mit einer "standing ovation" gefeiert wurde. Namen merken,
Mann mit Zukunft!
Die
Sänger waren ausgezeichnet. Die Titelrolle sang der amerikanische Tenor
Richard TROXELL fulminant mit männlichem Auftreten, in roten Stulpenstiefen,
mit Säbel und Pistolen. Zu seiner Hochzeit erschien er in einem sehr kleidsamen
schwarz-weiß gestreiften Kostüm. Seine fabelhafte Gesangstechnik und seine
ausgezeichnete Diktion, denn sein Französisch ist perfekt, erinnerte an
seine Landsleute Gregory Kunde und Rockwell Blake, die vor 15 Jahren hier
ebenso brillant in Boieldieus "La Dame Blanche" auftraten. Als Zampas
jüngerer Bruder Alfonse stand ein weiterer, viel versprechender Tenor,
der uns bereits mehrmals aufgefallen ist, auf der Bühne, der baumlange
junge Schweizer Bernard RICHTER, der ebenso brillant seine Cavatinen und
Cabaletten mit den hohen "Des" sang.
Zwischen
den beiden Brüdern zögerte die Camille von Patricia PETIBON, wobei die
etwas weinerliche Rolle für ihr Temperament eine Herausforderung darstellte.
PETIBON meisterte diese jedoch mit ihrer intensiven Darstellungskraft
und war - wie gewohnt - stimmlich hervorragend. Ihre Brokat-Roben waren
eine Augenweise. Die ebenso exponierte Rolle ihrer Vertrauten Ritta sang
Doris LAMPRECHT mit ihrem vollen Mezzo-Sopran und handfestem Humor, vor
allem wenn sie ihren "vermißten" Gatten Daniel wieder findet, der sie
sitzen hatte lassen. Diese Rolle von Zampas Diener Daniel, ein tenoraler
Leporello, wurde von Léonard PEZZINO mit schönem Tenor gesungen und intelligent
gespielt.
Dem
geriebenen Dorftrottel Dandolo gab Vincent ORDONEAU auf sehr geschickte
Art Profil, besonders wenn er sich vor dem Piraten Zampa schrecklich fürchtete.
Zwei Schauspieler, Hervé LASSAÏNCE und Luc TREMBLAIS, als Pirat und dicker
Benediktiner waren die Anführer der Piraten-Truppe Zampas. Der CHOR DER
ARTS FLORISSANTS sang, nach Jahren Praxis barocker Chormusik hervorragend
die leichte Musik, die Herren spielten blendend die Piraten; und die Damen
sangen schön ihre Choräle.
Die
Produktion wurde von Jérôme Dechamps und Masha Makaieff hinreißend inszeniert.
Kein Regietheater mit politisch-psycho-soziologischer Interpretierung,
sondern handfestes Theater. Der Rahmen war "gotisch", d. h. bewußt altmodisch,
mit Herausarbeitung der Konventionen der romantischen Oper. Die Bühnenbilder
und Kostüme von Makaieff sind sehr bilderbuchartig, mit rauchendem Ätna
im Hintergrund, Marmorstatue der Hl. Alice Manfredi, Zampas früheres Opfer,
die am Schluß unter viel Rauch aus der Versenkung erscheint und den Übeltäter
Zampa bestraft.
Schade,
daß die Produktion nur noch 2009 zwei Mal in Caen (dem Stützpunkt der
Arts Florissants) gespielt werden soll. Das Publikum war völlig begeistert
und applaudierte feste. Doch der Erfolg war derart, daß "Zampa" bereits
für die nächste Saison wieder geplant ist -wie vor 15 Jahren die "Dame
blanche", die auch ein Jahr später nach gespielt wurde.
Wie
für die anderen Produktionen wurde von der Opéra comique ein ganzes Mini-Rahmen-Festival,
genannt RUMEURS, rund um die Wiederaufführung von "Zampa" organisiert.
Ein Kolloquium, mehrere Lieder- und Arien-Abende französischer Musik um
1830, eine Wiederholung des berühmten Klavier-Duells zwischen Liszt und
Thalberg von 1837 bei der Prinzessin Belgiojoso und ein kurzes Mittags-Konzert
von Streichquartetten dreier Generationen französischer Komponisten, Cherubini,
Hérold und Gounod, das zu hören wir Gelegenheit hatten. Cherubinis 6.
Streichquartett in a-Moll dauert 25 Minuten und kann in die Kategorie
"Sturm-und-Drang" des älteren Haydn oder des jüngeren Beethoven (der Cherubini
sehr verehrte) einordnen. Die beiden Zwölf-Minuten Werke von Gounod und
Hérold sind eher Salon-Musik. Das QUATUOR GIRARD (vier Geschwister, je
zwei junge Damen und Herren, zusammen knappe 80 Jahre alt) spielten mit
großer Begeisterung und ein wenig Lampenfieber ihr erstes öffentliches
Konzert. wig.
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