Von
Paul Dukas (1865-1935) kennt man nur ein Werk, seinen "Zauberlehrling".
Zu allem Überfluß, hat er nur sehr wenig komponiert (ganze zwölf Werke,
ein Ballett "La Péri", Lieder, je eine Paris-Symphonie und -Sonate). Seine
einzige Oper "Ariane et Barbe-Bleue oder Die unnötige Befreiung" wird
nur sehr selten gespielt, selbst in Frankreich. Der belgische Dichter
Maurice Maeterlinck (1862-1949) gehört zu den in Belgien, sowohl in Literatur
als in der bildenden Kunst, weit verbreiteten Symbolisten des ausgehenden
19. Jahrhunderts. Maeterlinck war u.a. der Librettist von Debussys "Pelléas
et Mélisande". Er war ein eigentümlicher Kauz, ziemlich eingebildet und
stolz. Obwohl völlig unmusikalisch setzte er sich in den Kopf, Opernlibrettos
zu schreiben ("Er behauptet, daß er von Musik nichts verstehe und geht
zu einer Beethoven-Symphonie wie ein Blinder ins Museum", sagte Debussy,
als er ihn kennenlernte). Jahrelang lebte er mit der Schauspielerin und
Sängerin Georgette Leblanc zusammen und wollte seiner Mätresse unbedingt
eine Rolle schreiben.
Als
Mélisande war Georgette Leblanc von der Direktion der Opéra comique abgelehnt
worden, was Maeterlinck dem Direktor nie verzieh. Er schrieb darauf ein
Libretto auf den Blaubart-Stoff. Das Textbuch, von Maeterlinck selbst
als "pueril und steril" und "von absurder Trockenheit" bezeichnet, verwendet
diese alte Legende in einer symbolistischen Verpackung. Er erwartete,
daß ein Komponist diesen Text beleben würde, der ein neues Sprungbrett
für Georgettes eher wackelige Karriere werden sollte! Das Libretto wurde
fünf (!) Komponisten (Edward Grieg, Gabriel Fabre, Gabriel Fauré, Déodat
de Séverac, Ernest Chausson) vorgelegt. Alle lehnten ab, bevor es bei
Dukas landete. Keiner der sechs Komponisten hatte sich vorher mit Oper
befaßt, was nur Maeterlincks Unkenntnis und Unmusikalität bekräftigt.
Auch
Dukas hat aus diesem Text keine dramatisch packende Oper machen können.
Zwischen der französischen Musik des ausgehenden Jahrhunderts, den Einflüssen
Wagners (Dukas war 1888 nach Bayreuth gepilgert, und der Besuch hat ihn
sehr beeindruckt) und Debussys stehend, war er wohl der Anforderung nicht
wirklich gewachsen. In erster Linie Symphoniker, ist das große Orchester
durchaus gut, bisweilen großartig verwendet und erinnert in der schillernden
Orchestrierung oft an Richard Strauss. Bisweilen bombastisch, teilweise
sehr lyrisch, wie das "Orlamonde"-Lied der fünf gefangenen Frauen, sind
vor allem die gut gesetzten Chöre der bäuerlichen Revolte - die hinter
des Szene gesungen werden und eher an Bruckner erinnern - dramatisch wirksam.
Die Stimmen sind entschieden deklamatorisch verwendet, oft sehr ausdrucksvoll,
auch bereits an Strauss erinnernd.
Doch
der Oper fehlt musikalische Kohärenz. Das wackelige Libretto hilft da
wirklich nicht. So wird die Öffnung der sieben Türen in zehn Minuten abgewickelt.
Die restlichen zwei Stunden werden auf die Behandlung der psychologische
Schwäche der Frauen angewendet. Die Oper hat zwar bisweilen musikalische
Dichte, doch es fehlt der dramatische Aufbau, Steigerung und Dramatik.
Der Schluß, in dem die fünf gefangenen Frauen im Schloß verbleiben, ist
das eindrucksvollste Stück. Die Trauer und Resignation Arianes vor der
Unentschlossenheit der fünf gefangenen Frauen ist hier am besten erfaßt.
Die
Oper steht und fällt mit der Sängerin der mörderischen Titelrolle, für
Georgette Leblanc geschrieben, u.a. ein halbstündiger Monolog im 2. Akt.
Neben Ariane hat nur ihre Amme eine wirkliche Rolle. Alle anderen Sänger
sind Nebenrollen. Georgette Leblanc bekam zwar ihre Rolle, doch eine lebensfähige
Oper ist es nicht geworden.
Daß
die Wahl auf Anna VIEBROCK als Verantwortliche für Inszenierung, Bühnenbilder
und Kostüme fiel, kann man nur als Katastrophe bezeichnen. Christoph Marthalers
Muse und Ausstatterin hat von der - hier so ungemein wichtigen - Atmosphäre
des Symbolismus der Jahrhundertwende (der ja essentiell aus Atmosphäre
besteht) absolut keinen blassen Dunst, aber das interessiert sie auch
gar nicht. Obwohl die Idee aus Blaubarts Schloß ein Labyrinth zu machen
nicht schlecht ist, erscheint die Durchführung von stümperhafter Banalität.
Denn dieser Labyrinth besteht aus einer Anreihung von drei mal zwei Kubikeln
- Zimmer oder Läden - was an eine Veranda oder Nähstube vor 200 Jahren
denken läßt. Bei
der "unnötigen Befreiung", in der Ariane die Riegel und Balken des unterirdischen
Verlieses öffnen und hoch heben soll, klettert die Sängerin auf ein Mäuerlein,
das vorne die ganze Bühne abschließt, wobei ihr die Amme mit einer großen
Stabtaschenlampe leuchtet. Maeterlinck hat das alles vielleicht symbolisch
gemeint, aber hier ist es einfach läppisch!
Die
Edelsteine, Smaragde, Rubine, Perlen, etc., die bei jeder Öffnung der
Türen herunter rieseln sollen, sind nicht einmal angedeutet. Einzig die
Diamanten sind als Halsbänder and Schmuck in eine Kassette gesteckt. Alle
Sänger sind in völlig banale Kostüme gekleidet, Ariane (mit Fotoapparat)
und ihre Amme in braune Regenmäntel. Im 3. Akt steht Ariane im rechten
vorderen Zimmer mit einem Schreibblock in der Hand und kommandiert die
fünf Frauen herum wie eine Lehrerin eine Klasse unfolgsamer Kinder. David
FINN knipste das Licht an und ab, denn die Beleuchtung beschränkte sich
darauf. Überflüssigerweise gab es noch ein schwarz-weißes Video (Till
EXIT), das rechts vorne auf einen Pfeiler projiziert wurde. Anscheinend
wurde das Video mit einer kleinen Kamera am Schnürboden aufgenommen, vermutlich
als das "wachende Auge" Blaubarts gedacht, war aber meistens nicht scharf
und klar genug, um irgend welche Details zu sehen. Null!
Dafür
war die musikalische Seite der Aufführung sehr gut. Sylvain CAMBRELING
hat zu der französische Musik der Jahrhundertwende eine sehr gute Beziehung
und weiß dies dem ORCHESTRE DE L'OPÉRA NATIONAL DE PARIS zu übermitteln.
Die oft schwelgerische Musik kommt hier bestens zum Ausdruck. Peter BURIAN
leitete mir gewohnter Perfektion den CHOEUR DE L'OPÉRA NATIONAL DE PARIS.
In
der unglaublich anstrengenden Titelrolle war Deborah POLASKI stimmlich
überragend, mit prächtigen Höhen und subtilen piani, besonders wenn sie
die fünf Frauen tröstet. Man hatte allerdings das Gefühl, daß ihr die
Regie nicht viel sagte und sie wenig Beziehung zu der Rolle hatte, vor
allem wenn sie die Frauen herumkommandiert. Als Amme war Julia JUON noch
am meisten in der Rolle eingebunden. Obwohl diese Rolle ein Alt sein soll,
hat die Sängerin die sehr exponierten Höhen vollständig gemeistert.
Als
Blaubart war Willard WHITE eine Überbesetzung, denn er hat so gut wie
nichts zu singen (im 1. Akt) und liegt am Ende nur gefesselt rechts auf
der Vorderbühne. Die drei Bauern, die ihn hereinstoßen, wurden von Christian
TRÉGUIER, Gzregorz STASKIEWICZ und Yuri KISSIN gut charakterisiert, denn
sie sangen die wilden Burschen bestens. Als die fünf gefangenen Frauen
waren Diana AXENTIL, Iwona SOBOTKA, Hélène GUILLEMETTE, Joël AZZARETTI
und Geneviève MOTARD mit frischen Stimmen sehr passend und dem Geschehen
noch am nächsten.
Viel
Applaus für Polaski und Cambreling. Schade, daß diese verdienstvolle Wiederbelebung
so sehr ins Auge gegangen ist! wig.
|