Es
ist unwahrscheinlich, daß ein Leser dieses Werk kennt, ja, selbst den
Namen des Komponisten - außer vielleicht in Hamburg. Reinhard KEISER (geb.
1674, Teuchern bei Weissenfeld/Sachsen - gest. 1739, Hamburg) ist jedoch
ein wichtiger Komponist, denn er ist der Begründer der Oper in Deutschland.
Komponist von über 100 Opern und vielen Kantaten und Passionen, wurde
er 1703 Direktor des neuen "Theaters am Gänsemarkt", das sogar Gastspiele
in Kopenhagen gab, und wo er u. a. 1705 Händels erste Oper "Almira" uraufführte.
1728 wurde er der Nachfolger von Mattheson als Organist und Regens chori
am Hamburger Münster. Telemann folgte ihm als Opern-Direktor am Gänsemarkt.
Mit
der "Brockes-Passion" beginnt der neue Zyklus norddeutscher Barockmusik,
den Direktor Dominique Meyer initiiert hat. Im Gegensatz zu dem elf Jahre
jüngeren Johann Sebastian Bach, hat Keiser viele Opern geschrieben und
das hört man in seinen Oratorien und Passionen. Barthold Heinrich Brockes
hat eine kurze, aber sehr lebendige Beschreibung der Passion in Versen
geschrieben, viel weniger pietistisch als bei Bach. Die Orchestrierung
ist auch ungewöhnlich, denn neben den üblichen Streichern plus Theorbe
und Cembalo, bestehen die Bläser nur aus Flöte, Oboe und drei Fagotten.
In
der zweistündigen "Brockes-Passion" gibt es nur fünf Choräle, aber zahlreiche
kurze Einwürfe, Kommentare des Chors, wie der beschwingte dreizeilige
Chor bei der Festnahme Jesu, der mit "Auf, laßt uns fliehn und unser Leben
retten" schließt. Die Chorpartien wurden hier von den zehn Solisten gesungen,
die die Rollen der Passion sangen und sich die Solostimmen für die Arien
der "Gläubigen Seelen" und der "Töchter Sions" teilten. Die Arien werden
meist von länger entwickelten, sehr flotten und beschwingten Ariosi eingeleitet,
die die Handlung erläutern, eine Methode, die später Händel in seinen
Opern und Oratorien übernahm.
Christophe
ROUSSET, der französische Cembalist, Dirigent und Musikologe, hat das
Manuskript in der Staatsbibliothek in Kopenhagen entdeckt und herausgegeben.
Es ist dies also die moderne Erstaufführung mit Roussets barocken Kammerensemble
LES TALENS LYRIQUES.
Die
Solo-Choristen Monique ZANETTI, Kristina HANSON, Judith VAN WANROIJ (Sopran),
Clare WILKINSON, Damien GUILLON (Alt), David LEFORT, Anders DAHLIN (Tenor),
André MORSCH, Matthew BROOK (Bariton) und Emiliano GONZALEZ-TORO (Evangelist)
waren passend in den Soli, während die Choräle etwas dünn wirkten, da
eine gewisse Kohäsion und Dichte fehlte.
Ein
sehr ansprechendes Werk in einer hoch interessanten Aufführung. wig.
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