Während
der Komposition seiner 29. italienischen Oper im Sommer 1734 brach eine
besonders akute Krise aus, eine mehr in der von Krisen reichen Karriere
Händels: das King's Theatre am Haymarket - seine langjährige Wirkungsstätte
- war vom Prince of Wales gekauft worden, mit der ganzen Sänger Truppe
(einschließlich Haus-Kastrat "Il Senesino"), die sich nun "Opera of the
Nobility" nannte - mit Nicola Porpora als Hauskomponisten. Glücklicherweise
hatte der Impresario John Rich die zwei Jahre vorher gebaute Covent Garden
Opera gepachtet und machte Händel den Vorschlag, hier zu arbeiten. So
wurde "Ariodante" am 8. Jänner 1735 als dritte Premiere der 1. Saison
in Covent Garden uraufgeführt, wie seine nächsten fünf Opern. Der Kastrat
Giovanni Carestini (genannt Cusanino) sang die Titelrolle, der einer der
berühmtesten Vertreter dieser Sparte werden sollte.
"Ariodante"
wurde 1985 hier unter der Leitung von Jean-Claude Magloire in einer sehr
schönen, klassischen Inszenierung von Pier Luigi Pizzi gespielt. Damit
begann der Händel-Zyklus des Théâtre des Champs Elysées, der sich in den
letzten Jahren erheblich erweitert hat. Die neue Produktion war in den
Händen von Christophe ROUSSET. Der Musikologe und Cembalist ist in den
letzten Jahren dank verschiedener Ausgrabungen mit seinem Barockorchester
LES TALENS LYRIQUES bekannt geworden. Die Präzision der einigermaßen komplexen
Partitur ist Rousset bestens gelungen, vor allem die ausgezeichnete Gegenüberstellung
zwischen elegischen Arien mit Streichern und Theorbe und großen Prunkszenen
mit Holz- und Blechbläsern. Selbst die Naturhörner klangen ausgezeichnet!
Das
Libretto von Antonio Salvi - einer von Händels Haus-Librettisten - beruht
auf einigermaßen bizarren Vorkommnissen: Ginevra, eine schottische (!)
Königstochter, wird einerseits von Ariodante geliebt, aber auch vom bösen
Polinesso, seines Zeichens Herzog von Albanien (!). Diesen aber hat sich
Dalinda, Ginevras Vertraute, ausgesucht, der aber Lurcanio, Ariodantes
Bruder, nachstellt. Der Schotten-König, der Ariodante zu seinem Nachfolger
machen will, ist sehr in der Zwickmühle, weil Polinesso eine Intrige startet,
welche Ginevras Ehre in Frage stellt, wozu er Dalinda einspannt; worauf
Ginevra zum Tod verurteilt wird. Ariodante stürzt sich verzweifelt ins
Meer, erscheint jedoch, um mit den bösen Albaner im Gottesgericht zu kämpfen.
Doch Lurcanio ist dem bereits zuvor gekommen und hat aufgeräumt, indem
er Polinesso erstochen hat. Dem Happy End steht nichts mehr im Wege und
die beiden Paare können sich vereinen. Das Libretto von "La Forza del
destino" ist dagegen kristallklar! Händel hat dieses haarsträubende Libretto
mit einer unglaublichen Zahl von atemberaubenden Arien und einigen wenigen
Duetten und Ensembles versehen, die alle mit Koloraturen, Läufen und Kadenzen
brillieren.
Lukas
HAMLEB zeichnete für die Inszenierung und Bühnenbilder. Alles ist zeitlos
und phantastisch und spielt irgendwo. Daß die geographische Lage neutral
ist, ist bei diesem Libretto eine gute Lösung. Vor weißen Wänden, die
im Bedarfsfall weggeklappt werden, spielt sich die Handlung ab. Ein kleines
Lego-Schloß steht in der Mitte im Hintergrund, und die Ästhetik ist distanziert.
In diesem Sinne sind auch die kuriosen Kostüme von Marc AUDIBERT gedacht,
wo alle große weiße Gaze-Tuniken über ihren Kostümen tragen, nur der König
hat einen großen Knoten in der Gaze-Schleppe. Da Händel auch kleine Ballett-Einlagen
komponiert hatte, waren acht Tänzer in blauen T-Shirts beschäftigt, um
ebenso ästhetisch zu tanzen (Chroreographie Andrew GEORGE). Die Beleuchtung
von Dominique BRUGIÈRE war meistens sehr hell.
Dieses
Feuerwerk der Stimmen ist heute wieder aufführbar, da ein ganzer Schwarm
junger Sänger sich mit dieser barocken Gesangskunst vertraut gemacht hat.
Angelika KIRCHSCHLAGER in der Titelrolle zeigt, daß sie diese Kunst ebenso
beherrscht, wie die Lieder der deutschen Romantik oder Cherubino und Octavian.
Absolut fabelhaft, wie sie ihre warme, ausgeglichene Stimme für diese
fulminante Barockmusik einsetzt. Die junge Amerikanerin Danielle DE NIESE
war eine ebenbürtige Partnerin in der nicht weniger brillanten Rolle der
Prinzessin Ginevra. Ihren sehr ausdrucksvollen Sopran verbindet sie mit
Leidenschaft und gutem Spiel.
Den
Bösewicht Polinesso charakterisierte Vivica GENAUX bestens. Die Durchschlagskraft
der Stimme und intensive Darstellung der zarten Sängerin aus Alaska für
die weniger umfangreichen Rolle war sehr eindrucksvoll. Was nicht bedeutet,
daß die Arien weniger anspruchsvoll sind, im Gegenteil. Die Vertraute
Dalinda sang Jaël AZZARETTI blendend und spielte das von Polinesso ausgebeutete
Opfer sehr ergreifend.
Topi
LEHTIPU war als Lurcanio sehr gut, ein kämpfender Liebhaber, der seinen
Bruder rächt. Ausnahmsweise war er nicht in eine besonders hohe Partie
gequetscht und konnte so die Wärme seines angenehmen, ausgezeichnet geführten
Tenors zeigen. Der von den Ereignissen überforderte König war Olivier
LALLOUETTE, der mit warmem Baß die Rolle passend meisterte. In der kleinen
Rolle des Odoardo war Nicolas MAIRE rollendeckend. - Tobender Applaus
für das gesamte Ensemble. wig.
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