Es
ist unwahrscheinlich, daß Sie Rossinis 7. Oper je gehört haben, die den
Zwanzigjährigen nach großem Erfolg an der Scala 1812 über Nacht berühmt
machte. Fünf Jahre später wurde "La Pietra del Paragone" in München gespielt
und 1821 in absurder Form auch drei Mal in Paris (mit der Ouvertüre von
"Italiana in Algeri", 2/3 der Musik gestrichen und einer anderen Intrige!).
Deshalb ist diese hier die französische Erstaufführung.
Stendahl
bezeichnete diese als seine beste komische Oper, und der kannte seinen
Rossini! Eine Produktion in Pesaro und folgende Wiederaufnahmen haben
in den letzten Jahren die Oper wieder aus der Versenkung geholt (wie "Ermione"
und viele andere vergessene Rossinis). Dabei ist der ganze Rossini der
Reife schon in diesem Werk des Zwanzigjährigen, die brillanten Arien und
Ensembles, die typischen Accellerandi, die Jagdszene des 2. Akts ist eine
Tempesta, und vor allem die solistische Verwendung der Bläser - eine Szene
mit Piccolo-Solo gibt es sogar. In anderen Worten: bester Buffo-Rossini.
Und da es nur einen Tenor gibt und nicht gleich drei oder vier, ist die
Oper durchaus aufführbar, ohne die Kassa zu ruinieren. Die Intrige ist
nicht klüger oder dümmer als die anderer komischen Opern der Zeit. Jedenfalls
sehr amüsant.
Diese
aus dem Teatro Regio di Parma importierte Produktion hat noch dazu den
Vorteil ein richtiger Beispiel der Inszenierung zu sein, denn es ist das
erste Mal, daß die Verwendung der Videotechnik wirklich erfolgreich angewendet
wurde. Regisseur Giorgio Barberio CORSETTI und Videokünstler Pierreck
SORIN sagten sich, daß diese völlig irreale Komödie eines völlig irrealen
Rahmens bedürfe. Die Idee wurde genial durchgeführt Die Handlung spielt
in der Villa des Conte Asdrubale, hier vor einer völlig leeren, blauen
Bühne. Die Modelle der Bühnenbilder der verschiedenen Szenen sind auf
kleinen Karren montiert, ca. 2 bis 3 m lang und 50 cm hoch und tief, und
werden nach Bedarf herein geschoben: große fahrbare Ausschneidebögen.
Auf jedem Karren sind drei oder sechs kleine Videokamera befestigt. Weiters
sind drei kleine Videokameras in der Mitte der Bühnenrampe in ca. 1,5
m Höhe aufgestellt. Drei bzw. sechs riesige Video-Bildschirme (je ca.
12 qm) werden vom Schnürboden hinten herunter gelassen. Die Szenerie der
Karren wird direkt auf die Videoschirme projiziert.
Der
große Gag ist, daß auch die Sänger und der Chor - ganz normal in neuzeitlicher
Kleidung - während sie vor den drei Kameras auf der Bühne spielen nun
auch gleichzeitig in die Szenerie "inkrustriert" werden. Die Beleuchtungstechnik,
die dahinter steckt, filtert selektiv das Blau. Dadurch können die Sänger
oder verschiedene Dinge auf blauen Untersätzen, Sitzen oder Materialien
stehen und agieren und in den Dekor eingesetzt werden. Auch zusätzliche
Szenen daneben können "gemischt" werden. So ißt der Journalist Macrobio
links vorne seine Pasta asciutta, während eine Tänzerin, die in Wirklichkeit
8 m rechts hinten ist, in seinem Spaghetti-Teller tanzt. Alles ist ausgefeilt,
und die Technik muß natürlich genau auf den Millimeter folgen. Die Personenführung
ist klarerweise sehr wichtig, und die Sänger müssen nicht nur ausgezeichnet
singen, sondern auch ihre Mimik genau kontrollieren und sehr gut aussehen,
denn man sieht jede Falte oder Grimasse in Großformat.
Einer
der großen Vorteile ist der sehr flüssige Ablauf der Handlung, denn die
Szenen gehen in einander über. Das gibt der ganzen Vorstellung ein ungewöhnliches
Tempo - bei Rossinis rasanter Musik ein großer Plus-Punkt. Weiters ergeben
sich Möglichkeiten, die mit gewöhnlichen Mitteln völlig ausgeschlossen
wären. Sechs junge Damen in hautengen blauen Trikots vollführen alle möglichen
Dinge, die aber auf den Videoschirmen unsichtbar sind; z. B. spielt der
Tenor Giocondo mit der Marchesina Clarice Tennis. Die Tennisbälle werden
von einem "blauen Geist" von einem Tennisschläger zum anderen geführt,
oder die Marquesina kommt als ihr Bruder verkleidet auf einem Pappe-Jeep,
in den sie "inkrustiert" wird; die in die Luft geworfenen Pfannkuchen
landen zurück in der Pfanne oder in den Tellern der Gäste und noch viele
andere Gags. Ein zusätzlicher Vorteil ist, daß der szenische Aufwand auf
ca. ein Dutzend dieser Modelle beschränkt ist, die natürlich viel einfacher
zu transportieren sind, als wenn diese zwanzigmal so groß wären - für
eine Reise-Inszenierung natürlich ein Vorteil. Cristian TARABORRELLI fabrizierte
die hübschen Kostüme (natürlich ohne blau und hellgrün), und Gianluca
CAPPELLETTI sorgte für die Beleuchtung dieser Produktion, die trotz ihrer
Verrücktheit von Giorgio Barberio Corsetti dezent und ohne Übertreibung
inszeniert wurde.
Musikalisch
war die Aufführung ein ganz großer Genuß. Jean-Christophe SPINOSI und
sein ENSEMBLE MATHEUS spielten auf zeitgenössischen Instrumenten absolut
hinreißend. Der CHOR DES TEATRO REGIO DI PARMA sang und spielte mit sichtlicher
Begeisterung unter der Leitung von Martino FAGGIANI.
Spinosi
hatte eine internationale Truppe junger Sänger allerbesten Niveaus zusammen
gestellt - teilweise anders als einen Monat vorher in Parma. Als Marchesina
Clarice war Sonia PRIMA eine große Überraschung. Ihr wunderbar geführter
Mezzosopran kommt mit den fulminanten Koloraturen der Rolle spielend zurecht.
Mit ihrem mitreißenden Schwung zeigte sie auch, daß sie eine ungewöhnliches
Bühnentalent besitzt. Umwerfend! Francois LIS besitzt einen schönen warmen
Kavalierbariton und war perfekt am Platze als Conte Asdrubale, der die
"Pietra del Paragone", die Liebesprobe, ausheckt, um unter den drei konkurrierenden
Frauen zu wählen.
Die
beiden geldsüchtigen jungen Witwen Baronessa Aspasia waren die große blonde
Jennifer HOLLOWAY in fuchsiarotem Kleid und Donna Fulvia, die dunkle kleine
Laura GIORDANO im knallgelben Kleid. Sie waren nicht nur sehr hübsch anzuschauen,
sondern sangen auch ausgezeichnet und spielten blendend die mannstollen
Biester. Cavaliere Giocondo, der Anbeter der Marchesina, aber auch Freund
des Conte, war José Manuel ZAPATA. Seinen sehr flexiblen Tenor setzte
er für die Rossinischen Feuerwerks-Arien sehr erfolgreich ein.
Joan
MARTÍN-ROYO, sang mit schönem Bariton den käuflichen Journalisten Macrobio
und spielte die hinreißende Bestechungsszene mit Geschmack ohne Blödelei,
wo die Banknoten-Pakete von den "blauen Geistern" beigesteuert werden.
Dem lästigen Poeten Pacuvio, der Fulvia mit seinen Reimen verfolgt (die
"Mississippi-pi-pi"-Arie ist zum Schreien!), gab Christian SENN das richtige
Profil, ohne ins Outrieren auszuarten. Fabrizio, der Diener des Conte
wurde von Filippo POLINELLI bestens dargestellt. Nicht zu vergessen der
ausgezeichnete Julien LAMBERT, der alle möglichen Rollen, Butler, Koch,
Gärtner usw. mimt und herum kriecht, um dann irgendwo auf den Bildschirmen
zu erscheinen.
Das
Publikum lachte aus vollem Hals und bescherte allen Künstlern einen Triumph,
wie selten erlebt. wig.
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