Mit
der Direktion Mortier konnte man ja erwarten, daß sie ein spezielles Geschick
mit den Regisseuren haben wird! Gut, man war von Salzburg her gewarnt!
Nach einigen katastrophalen Inszenierung, kürzlich von "Simon Boccanegra",
aber nur wenigen vereinzelten Lichtblicken, hat die Pariser Oper mit der
Produktion den "Iphigénie en Tauride" ein neues Ruhmesblatt szenischen
Klaumauks der ziemlich langen Liste zugefügt.
Diesmal
wurden die Verantwortlichen für diese Katastrophe aus Polen eingeladen:
Krzysztof WARLIKOWSKI zeichnete für die "Regie" und die ehemalige Psychiaterin
Margorzata SZCZESNIAK für das Spiegel-Bühnenbild und die "Kostüme", letztere
derzeit in jedem größeren Kaufhaus Europas im Sommer-Ausverkauf billigst
zu haben. Sechs weitere Mitarbeiter sind auf dem Programm genannt. Diese
Aufführung ist so ziemlich die ärgste, prätentiöse Produktion, die mir
in Jahrzehnten Opernbesuchs untergekommen ist. Der Rahmen für Glucks dritte
große Reformoper, die wie der Titel sagt, in Tauris - der heutigen Halbinsel
Krim - spielt, ist ein Altersheim für Frauen. Die Wände dieser Institution
bestehen komischerweise aus 10-Meter hohen, bisweilen durchsichtigen Spiegelwänden,
hinten, vorn, rechts, links, aber ohne Decke. (Ich möchte nicht die Rechnung
für die mehreren hundert Quadratmeter Spiegel sehen!)
Neben
acht gestreiften Matrazenbetten, zieren rechts vier Waschbecken, links
vier Duschen die Bühne. Acht Ventilatoren hängen vom Schnürboden und drehen
sich fast dauernd. Das Mobiliar des Dianatempels in Tauris besteht sinnigerweise
aus einem Tisch, einigen Stühlen, einem Fernseher und einer besonders
schäbigen roten Stehlampe. Ausnahmsweise gibt es keine Leitern und keine
Koffer - sind anscheinend nicht mehr in Mode. In diesem Rahmen wandern
acht alte Weiblein in Schlafrock und Filzpantoffeln über die Bühne. Mit
Ausnahme Iphigenies, die eine der Damen ist, eine alte Sängerin, in goldenem
Lamé-Kleid und platinblonder Perücke - im Stil von Nachkriegs-Hollywood
- und wird gleichzeitig von einer schwarzhaarigen Mimin doubliert. Einige
andere Figuren erscheinen aus unklaren Gründen im Hintergrund der Bühne,
u. a. ein Aufmarsch von Statisten mit verrückten Hütchen oder Masken und
einer französischen Tricolore!
Im
2. Akt tauschen die beiden Frauen die Rollen, und Iphigenie erscheint
nun rotgekleidet und die Mimin im Lamé-Kleid. Während Orest und Pylades
sich streiten, wer sterben soll (in der musikalisch höchst dramatischen
Szene "Dieux, fléchissez son cœur!"), haben beide sehr cool wenigstens
eine Hand in der Hosentasche. Thoas kreist in einem elektrischen Rollstuhl
durch die Gegend, außer am Schluß, wo er mit aufgeklebter Cyrano-Nase
in der rechten Balkon Proszeniumsloge erscheint, mit einem riesigen Bouquet
Rosen, die er einzeln auf die Bühne wirft, bevor er von Pylades wie ein
Schwein abgestochen wird. Monty Python ist nicht sehr weit - aber bei
den Engländern gibt's wenigstens etwas zu lachen! Der Alptraum Iphigénies
wird von einem Paar gemimt: ein nackter Orest ersticht eine rothaarige
Klytemnästra mit offenem Kleid und Hängebrüsten. Am Schluß wird die geplante
Opferung Orests durch Iphigénie von einem Video doubliert, wo Klytemnästra
den nackten Orest erstechen will.
Nichts
gegen Rückblendungen, Spiegelungen, die bisweilen recht aufschlußreich
sind, aber wozu das? Da die Bühne mit Spiegelwänden verbaut ist, mußten
Chor, Diana und die Nebenrollen im Orchestergraben untergebracht werden.
Das auf der Riesenbühne des Palais Garneir! Übrigens, ein gutes Drittel
der Handlung spielt vor der herunter gelassenen ersten Spiegelwand auf
einem etwa 1,5 m breiten Streifen Bühne. Warum nicht gleich konzertant?
Leider informiert das - sonst meist ausgezeichnete - Programmbuch diesmal
nicht über die Intentionen des Regieteams, denn neben einigen interessanten
musikologischen Aufsätzen, sind nur Texte gedruckt, die nur sehr entfernt
mit der Handlung der Oper zu tun haben.
Das
Bedauerlichste an dieser Katastrophe ist die Tatsache, daß sich erstklassige
Künstler für diesen Klamauk hergegeben haben. Denn musikalisch war die
Aufführung auf sehr hohem Niveau. Marc MINKOWSKI, einer der Päpste der
französischen Barockmusikszene, der sich seit zwei Jahrzehnten für authentische
barocke Aufführungen einsetzt, und dessen MUSICIEN DU LOUVRE-GRENOBLE
auf alten Instrumenten spielen, brachten die Intensität der Dramatik dieses
großartigen Werks bestens zur Geltung. Chef und Orchester waren ganz in
ihrem Element. Nur mußte man am besten die Augen schließen. Daß sich diese
ausgezeichneten Musiker zu einer derartigen Verhunzung verleiten ließen,
ist traurig.
Daß
die große Susan GRAHAM - heute unbestritten eine der großen Mezzos - die
souverän die Titelrolle mit größter Intensität und stilistischer Perfektion
sang und sehr ergreifend spielte, daß Russel BRAUN als Orest und Yann
BEURON als Pylades, beide ebenso stimmlich und darstellerisch erstklassig,
bei solchem Quatsch mittaten, ist ebenso unverständlich. Frank FERRARI
lieh seinen prachtvollen Baß dem Thoas, Salomé HALLER sang mit hübscher
Stimme die kurze Szene der Dea-in-machina, Diana - aus dem Orchestergraben.
Bei
der Premiere gab es einen Riesenskandal (eine "Bronca", nennt man das
in Frankreich). Das wird nun fast Routine, denn auch diesmal wurde fest
gebuht.
In
der Pause sprach ich mit einigen Besuchern. Alle hatten beschlossen, ihr
Abonnement nicht zu erneuern, wegen der Inszenierungs-Katastrophen. Aber
dafür lag überall ein langes Formular der Direktion auf, in dem so wichtige
Fragen wie "Wie lange brauchen Sie, um in die Oper zu kommen?", "Nehmen
Sie auch an anderen kulturellen Veranstaltungen teil?" und "Wie oft?",
"Speisen Sie nach der Vorstellung in einem Restaurant?" oder "Kommen Sie
zu Fuß, mit Fahrrad, Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln in die Oper?"
u.s.w. gestellt wurden. Sorgen hat die Direktion! Es wäre vielleicht nützlicher,
wenn man sich um die künstlerischen und ästhetischen Wünsche des Publikums
kümmerte! wig.
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