Da
ich ja nicht das erste Mal eine Oper Mozarts besuchte, mußte ich - im
allgemeinen Mozartwirbel des Gedenkjahres - auswählen. Wer nicht auf Lebenszeit
vor Mozart fliehen will, muß das tun, denn Völlerei ist bekanntlich eine
Todsünde. Da man auch Freude am Besuch einer Oper haben will, ist diese
Auswahl umso nötiger. Zumal es einige sehr miese Aufführungen gegeben
hat und einige abgerüstete Produktion aus Salzburg und Brüssel dem Pariser
Publikum angedreht wurden. Das Pariser Musikleben gibt zum Glück reichlich
Gelegenheit der Auswahl. Nach den ausgezeichneten Aufführungen des "Figaro"
im Théâtre des Champs Elysées (TCE) - heuer wieder aufgenommen - habe
ich mich für "Don Giovanni" in diesem schönen Theater entschieden. Da
auch ausgezeichnete Sänger aufgeboten wurden, ein interessanter Dirigent
und ein ebenso interessantes Regie-Team, war die Wahl leicht.
André
ENGEL hat für Oper und Sprechtheater ganz ausgezeichnete Produktionen
gemacht, aber er ist das "enfant terrible" der französischen Szene. Neben
der hinreißenden Aufführungen von "Lady Macbeth von Mzensk" oder "Cardillac"
in der Bastille, gab es andere, die ziemlich schief gegangen sind ("Salome"
in der Bastille) oder nicht sonderlich interessant waren ("Freischütz"
in Straßburg). Mit seinem Dramaturgen Dominique MULLER bietet er seit
30 Jahren immer sehr - bisweilen zu sehr - überlegte Inszenierungen. Das
Team besteht noch aus dem Bühnenbildner Nicky RIETI und seit einigen Jahren
der Kostümbildnerin Chantal de LA COSTE MESSELIÈRE. Da das Team schon
lange zusammen arbeitet, ist eine gewisse Kohärenz einer Produktion fast
garantiert. Doch man ist nie sicher, was einen erwartet. Diesmal fürchtete
man das Ärgste beim Eintritt ins Theater: ein schwarzer Trauervorhang
mit eingewobenem "DG" schloß die Bühne ab.
Diese
"Don Giovanni" Inszenierung ist in eine Küstenstadt Spaniens in die Jetztzeit
verlegt, und die Problematik wird bereits in der 1. Szene gestellt. Seit
200 Jahren streiten sich die Gelehrten: "Hat Don Giovanni Donna Anna verführt
oder nicht?" Das wird hier klar mit "Ja" beantwortet, denn die beiden
schlafen (den Schlaf der Gerechten?) auf einer Matratze im herunter gekommenen
Schloß Giovannis. Leporello fotografiert sofort die Szene, in sein Fotoalbum
"Spanien" unter "mille e quattro" einzureihen. Diese Bejahung der Beteiligung
Donna Annas verändert natürlich die Rolle und daher die übliche Dramaturgie
der Handlung. Donna Anna erzählt Vater und Verlobten eine falsche Geschichte.
Erst wenn es ernst wird, scheint Donna Anna sich klar zu werden, daß Don
Giovanni ein Raubtier ist, das auf den sonnigen iberischen Stränden seine
Jagd betreibt. Deshalb die riesige Beton-Promenade mit eingebautem Strandcafé,
wo der Aufriß läuft. Daher wird auch die Rolle des Komturs zwiespältig,
der von den Abenteuern seiner Tochter nicht übermäßig überrascht ist.
Auch Ottavio scheint nicht sonderlich geschockt. War wohl nicht das 1.
Mal, daß sie einen Seitensprung gemacht hat.
Deshalb
wurde die 2. Arie Ottavios "Il mio tesoro" nach Annas Rachearie "Or sei
qui l'onore" im 1. Akt gestellt, und "Dalla sua pace" kommt unmittelbar
nach Annas Rondo "Non mi dir, bell'idol mio" erst im 2. Akt. Über diese
dramaturgische Änderung kann man narürlich streiten. Giovannis Höllenfahrt
spielt sich im selben Schrank ab, in dem der Komtur nach seiner Ermordung
am Anfang hinein gequetscht wurde. Die Spitze ist natürlich, daß Giovanni
aus dem bengalischen Feuer im Schrank etwas verschmutzt wieder herauskommt
- sozusagen ein Perpetuum mobile. Das Dramma giocoso wird so zur Parabel
der postmodernen Spiel-Gesellschaft.
Evelino
PIDÒ hat als Dirigent des romantischen Belcanto Repertoires einen ganz
ausgezeichneten Ruf. Deshalb war interessant, wie er sich mit Mozart verhalten
werde, noch dazu mit einem solchen Monument wie "Don Giovanni". Die Präzision
seines Dirigats, das Gleichgewicht der musikalischen Dynamik und sein
leidenschaftlicher Einsatz zeigten, daß er ein erstklassiger Dirigent
ist, nicht nur der italienischen Romantik. Das auf alten Instrumenten
spielende CONCERTO KÖLN folgte ihm in jeder Hinsicht, ohne in eine den
"Barockern" spezifische Trockenheit zu verfallen und machte den Abend
besonders erfreulich.
Das
Sängerensemble war essentiell mit den italienischen Sängern des Hauses
besetzt, die alle durch ihre musikalische Intelligenz und stilistische
Präzision beeindruckten. In der Titelrolle war Lucio GALLO ganz einfach
hinreißend. Stimmlich brillant und doch verhalten, draufgängerisch, lyrisch
in seinen Liebeserklärungen, dominierend und stolz in "Viva la libertà!",
bäumte er sich in der Schlußszene gegen das Schicksal auf. Sein Kumpan
in allen Abenteuern war Lorenzo REGAZZO. Nicht der ja-sagende Knecht Don
Giovannis, sang er die Registerarie ohne Mätzchen, sondern diese wurde
von seinem nuancenreichen Bariton und seiner Persönlichkeit getragen.
Die beiden könnten übrigens ebenso gut die Rollen tauschen, zumal die
Stimmen und Timbres sehr ähnlich sind. Beide sind außerdem gleich große,
fesche Männer, was natürlich die Verkleidungsszene im 2. Akt vereinfachte.
Die
große Überraschung was der - noch unbekannte - junge Tenor Francesco MELI
als Ottavio. Er sang nicht nur perfekt seine beiden Arien mit Stilgefühl,
Temperament und Einsatz, er spielte auch ausgezeichnet. Er machte aus
der meist etwas blassen Rolle eine wirkliche Persönlichkeit, ein Mann,
der die Sachen in die Hand nimmt. Ein Sänger mit großer Zukunft. Alessandro
LUOGO war ein anderer der jungen Sänger, der sich in Paris erstmals sehen
ließ und der aus Masetto auch eine wirkliche Persönlichkeit machte. Er
sang "Ha capito!" nicht nur frech, sondern auch stimmkräftig. Giovanni
Battista PARODI, bereits mehrmals in Comprimari-Rollen in Paris aufgetreten,
zeigte, daß er ein sehr guter Baß ist. Sein Komtur hatte Format und stimmliche
Fülle.
Alexandrina
PENDATCHANSKA war als Donna Elvira vorzüglich. Sie gab der Rolle nicht
den üblichen Heultanten-Charakter, sondern die nötige Intensität der enttäuschten
liebenden Frau, was sie in "Mi tradi" im 2. Akt brillant zum Ausdruck
brachte. Patrizia CIOFFI hat man hier als Figaro-Susanne und eher im lyrischen
Fach erlebt. Ihre Donna Anna litt etwas unter der neuen dramaturgischen
Interpretation. Doch auch die Fachänderung ist bemerkbar, denn sie singt
immer mehr das dramatische italienische Koloratur-Fach (Violetta, Lucia,
Sonnambula …) und es fehlt ihr für die Dramatik der Donna Anna noch etwas
an Intensität und Reife. Sie singt zwar ausgezeichnet, doch sind ihre
Ausbrüche bisweilen schrill, und sie versucht die Zwiespältigkeit der
Neu-Interpretation der Rolle mit etwas hysterischem Spiel zu überdecken.
Anna BONITATIBUS ist eine der zwischen Sopran und Mezzo wechselnden jungen
italienischen Sängerinnen und ist viel im Barockfach tätig. Als Zerline
war sie entzückend, sang wunderbar und spielte ganz ausgezeichnet mit
viel Temperament.
Eine
sehr gute Aufführung, vom sehr schicken Publikum des TCE mit viel Applaus
bedacht. wig.
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