"FIERRABRAS" - 12. März 2006

Schon anläßlich der konzertanten Uraufführung 1858 von "Fierrabras" war der gefürchtete Kritiker Eduard Hanslick von Schuberts Musik begeistert, aber viel weniger von der skurrilen Handlung. Schuberts Musik ist von vollendeter Schönheit, in der der Komponist seine ganze Meisterschaft zu Gehör bringt. Schuberts "Große romantische Oper" im Stil des Singspiels, ist stark beeinflußt von der damals weit verbreiteten französischen Opéra comique (Boieldieu, Méhul, Philidor usw. mit gesprochenem Text) und der italienischen Opera seria, vor allem "Otello" und "Tancredi", mit denen Rossini in ganz Europa Triumphe feierte. Schubert bringt seine Meisterschaft der romantischen Ballade hier zur Vollendung. Auch seine Behandlung der Chöre ist meisterhaft, die er in seinen Messen und Oratorien zur Reife gebracht hatte. Die romantische Stimmung ist durch viele unerwartete Modulationen und Übergänge unterstrichen, die kindlich-martialischen Chöre erinnern an den "Gräzer Galopp" und andere vierhändige Militärmärsche, und man genießt einen "gewagten" Quintensprung herab, wenn Roland in sein Horn stößt.

Wie gesagt, die Musik ist himmlisch, aber die Handlung! Diese beruht auf einem französischen "Chanson de geste" aus dem 12. Jahrhundert, eine Literatur-Gattung, die in der Romantik sehr beliebt war. Der Librettist Leopold Kupelwieser hat in die ursprüngliche Handlung noch eine andere Liebesgeschichte eingeflochten, denn das Paar Emma/Eginhart gibt es im ursprünglichen "Fierrabras" gar nicht. Zu allem Überfluß hat Kupelwieser den Text noch dazu in eine von Sentimentalität triefende Sprache gegossen, mit allen Klischees der Frühromantik, was der dramatischen Spannung nicht unbedingt förderlich ist.

Nun stellt sich natürlich die Frage, wie man so ein Stück aufführen kann. Es gibt mehrere Möglichkeiten: entweder eine konzertante Aufführung, oder das Stück als ritterliche Märchengeschichte zu spielen. Die lebensgroßen Marionetten der "Opera dei Pupi" in Sizilien (es gibt mindestens sechs solche winzige Marionettentheater, allein in Palermo und Monreale) spielen seit zwei Jahrhunderten diese "Chansons de geste" mit Karl dem Großen und Roland mit großem Erfolg.

Die dritte Möglichkeit ist ein Pasticcio oder Parodie, an der Grenze zwischen Stehgreif- und Kasperltheater, eine Lösung, die der Regisseur Claus GUTH gewählt hat. Dazu hat er Schubert persönlich als aktive Figur auf die Bühne gestellt, der als Deus ex machina bzw. Chefinspizient agiert, der Keilereien vermeidet, in der Partitur blättert, um sicher zu sein, daß die konfuse Handlung richtig abläuft, und die er so vorm Fiasko rettet und gegebenenfalls die Noten an Solisten und Chor verteilt. Die Aktion wurde in eine Biedermeierwohnung versetzt, mit vielen kleinen Türen, aus denen die Choristen wie Requisiten nach Bedarf herausgeholt werden. Ein riesiges Klavier mit entsprechendem Stuhl dominiert die Szene und wird als Podest, Gefängnis und Scheiterhaufen verwendet, wenn es nicht mit Kabeln vom Schürboden herunter baumelt.

Die Oper Zürich hat ein musikalisch sehr gepflegtes Gastspiel geboten. Sie zeigte, was Ensembletheater heißt, und das es auch leben kann. Franz WELSER-MÖST an der Spitze von CHOR und ORCHESTER DER ZÜRCHER OPER leitete die Aufführung mit hörbarer Liebe für die prachtvolle Musik, arbeitete die lyrischen Schönheiten der Partitur heraus und brachte die "himmlischen Längen" voll zur Geltung. Chor und Orchester zeigten sich ebenso von der himmlischen Musik angetan.

Von den Sängern stach von allem Juliane BANSE als Emma, die Tochter Karls des Großen, hervor. In weißem Biedermeierkleid, erinnerte sie an die Malerin Angelika Kaufmann. Sie sang ihre Partie mit innigem Ausdruck mit ihrem charakteristischen Sopran, ganz die Frühromantik verkörpernd. Michael VOLLE als Roland stieß nicht nur prächtig in sein Horn, sein gepflegter Bariton ist seines Namens würdig. Seine Stimme wird immer eindrucksvoller und größer.

Christoph STREHL war Eginhard, der die schöne Emma schließlich kriegt, und als zwischen Liebe und Freundschaft schwankender Held sehr treffend. Die beste Leistung unter den Herren bot Jonas KAUFMANN als Titelheld. Sein prachtvoller Tenor neigt immer mehr zum Heldischen. Da die drei Helden alle völlig gleich gekleidet sind, waren bisweilen Verwechslungen erklärlich, doch Kaufmann ist ein paar Zentimeter kleiner als die beiden anderen.

Gregory FRANK war ein eher biederer Karl der Große. Günther GROISSBÖCK lieh seinen Prachtbaß dem maurischen Prinzen Boland und mußte daher den "Wilden" spielen, was er bestens tat. Seiner Tochter Florinda lieh Twyla ROBINSON ihr Temperament und ihre prächtige Stimme. Ihre große Arie zu Beginn des 2. Akts, ebenbürtig den italienischen Bravourarien Rossinis oder Bellinis, war ein Genuß. In den kleineren Rollen war Irene FRIEDLI als Maragond zu hören, Ruben DROLE als Brutamonte (!!), so wie der ausgezeichnete Volker VOGEL (der hier kürzlich als sensationeller Mime zu hören war) als Ogier, der Chef der maurischen Armee.

Der Schauspieler Wolfgang BEUSCHEL machte aus der Phantasiegestalt Schuberts eine sehr lebendige Figur und hielt mehrmals die beiden Mächtigen davon ab, ihre Feinde oder Untertaten umzubringen. Zum Schluß singt Fierrabras, der leer ausgeht, eine begeisterte Hymne auf die Freundschaft, während Schubert die Schulter zuckt - sozusagen um anzudeuten, daß es eigentlich anders ausgehen hätte sollen. Er brachte auch den sehr erfreulichen Abend über die Runden. Viel Applaus des sehr begeisterten Publikums. wig.