Schon
anläßlich der konzertanten Uraufführung 1858 von "Fierrabras" war der
gefürchtete Kritiker Eduard Hanslick von Schuberts Musik begeistert, aber
viel weniger von der skurrilen Handlung. Schuberts Musik ist von vollendeter
Schönheit, in der der Komponist seine ganze Meisterschaft zu Gehör bringt.
Schuberts "Große romantische Oper" im Stil des Singspiels, ist stark beeinflußt
von der damals weit verbreiteten französischen Opéra comique (Boieldieu,
Méhul, Philidor usw. mit gesprochenem Text) und der italienischen Opera
seria, vor allem "Otello" und "Tancredi", mit denen Rossini in ganz Europa
Triumphe feierte. Schubert bringt seine Meisterschaft der romantischen
Ballade hier zur Vollendung. Auch seine Behandlung der Chöre ist meisterhaft,
die er in seinen Messen und Oratorien zur Reife gebracht hatte. Die romantische
Stimmung ist durch viele unerwartete Modulationen und Übergänge unterstrichen,
die kindlich-martialischen Chöre erinnern an den "Gräzer Galopp" und andere
vierhändige Militärmärsche, und man genießt einen "gewagten" Quintensprung
herab, wenn Roland in sein Horn stößt.
Wie
gesagt, die Musik ist himmlisch, aber die Handlung! Diese beruht auf einem
französischen "Chanson de geste" aus dem 12. Jahrhundert, eine Literatur-Gattung,
die in der Romantik sehr beliebt war. Der Librettist Leopold Kupelwieser
hat in die ursprüngliche Handlung noch eine andere Liebesgeschichte eingeflochten,
denn das Paar Emma/Eginhart gibt es im ursprünglichen "Fierrabras" gar
nicht. Zu allem Überfluß hat Kupelwieser den Text noch dazu in eine von
Sentimentalität triefende Sprache gegossen, mit allen Klischees der Frühromantik,
was der dramatischen Spannung nicht unbedingt förderlich ist.
Nun
stellt sich natürlich die Frage, wie man so ein Stück aufführen kann.
Es gibt mehrere Möglichkeiten: entweder eine konzertante Aufführung, oder
das Stück als ritterliche Märchengeschichte zu spielen. Die lebensgroßen
Marionetten der "Opera dei Pupi" in Sizilien (es gibt mindestens sechs
solche winzige Marionettentheater, allein in Palermo und Monreale) spielen
seit zwei Jahrhunderten diese "Chansons de geste" mit Karl dem Großen
und Roland mit großem Erfolg.
Die
dritte Möglichkeit ist ein Pasticcio oder Parodie, an der Grenze zwischen
Stehgreif- und Kasperltheater, eine Lösung, die der Regisseur Claus GUTH
gewählt hat. Dazu hat er Schubert persönlich als aktive Figur auf die
Bühne gestellt, der als Deus ex machina bzw. Chefinspizient agiert, der
Keilereien vermeidet, in der Partitur blättert, um sicher zu sein, daß
die konfuse Handlung richtig abläuft, und die er so vorm Fiasko rettet
und gegebenenfalls die Noten an Solisten und Chor verteilt. Die Aktion
wurde in eine Biedermeierwohnung versetzt, mit vielen kleinen Türen, aus
denen die Choristen wie Requisiten nach Bedarf herausgeholt werden. Ein
riesiges Klavier mit entsprechendem Stuhl dominiert die Szene und wird
als Podest, Gefängnis und Scheiterhaufen verwendet, wenn es nicht mit
Kabeln vom Schürboden herunter baumelt.
Die
Oper Zürich hat ein musikalisch sehr gepflegtes Gastspiel geboten. Sie
zeigte, was Ensembletheater heißt, und das es auch leben kann. Franz WELSER-MÖST
an der Spitze von CHOR und ORCHESTER DER ZÜRCHER OPER leitete die Aufführung
mit hörbarer Liebe für die prachtvolle Musik, arbeitete die lyrischen
Schönheiten der Partitur heraus und brachte die "himmlischen Längen" voll
zur Geltung. Chor und Orchester zeigten sich ebenso von der himmlischen
Musik angetan.
Von
den Sängern stach von allem Juliane BANSE als Emma, die Tochter Karls
des Großen, hervor. In weißem Biedermeierkleid, erinnerte sie an die Malerin
Angelika Kaufmann. Sie sang ihre Partie mit innigem Ausdruck mit ihrem
charakteristischen Sopran, ganz die Frühromantik verkörpernd. Michael
VOLLE als Roland stieß nicht nur prächtig in sein Horn, sein gepflegter
Bariton ist seines Namens würdig. Seine Stimme wird immer eindrucksvoller
und größer.
Christoph
STREHL war Eginhard, der die schöne Emma schließlich kriegt, und als zwischen
Liebe und Freundschaft schwankender Held sehr treffend. Die beste Leistung
unter den Herren bot Jonas KAUFMANN als Titelheld. Sein prachtvoller Tenor
neigt immer mehr zum Heldischen. Da die drei Helden alle völlig gleich
gekleidet sind, waren bisweilen Verwechslungen erklärlich, doch Kaufmann
ist ein paar Zentimeter kleiner als die beiden anderen.
Gregory
FRANK war ein eher biederer Karl der Große. Günther GROISSBÖCK lieh seinen
Prachtbaß dem maurischen Prinzen Boland und mußte daher den "Wilden" spielen,
was er bestens tat. Seiner Tochter Florinda lieh Twyla ROBINSON ihr Temperament
und ihre prächtige Stimme. Ihre große Arie zu Beginn des 2. Akts, ebenbürtig
den italienischen Bravourarien Rossinis oder Bellinis, war ein Genuß.
In den kleineren Rollen war Irene FRIEDLI als Maragond zu hören, Ruben
DROLE als Brutamonte (!!), so wie der ausgezeichnete Volker VOGEL (der
hier kürzlich als sensationeller Mime zu hören war) als Ogier, der Chef
der maurischen Armee.
Der
Schauspieler Wolfgang BEUSCHEL machte aus der Phantasiegestalt Schuberts
eine sehr lebendige Figur und hielt mehrmals die beiden Mächtigen davon
ab, ihre Feinde oder Untertaten umzubringen. Zum Schluß singt Fierrabras,
der leer ausgeht, eine begeisterte Hymne auf die Freundschaft, während
Schubert die Schulter zuckt - sozusagen um anzudeuten, daß es eigentlich
anders ausgehen hätte sollen. Er brachte auch den sehr erfreulichen Abend
über die Runden. Viel Applaus des sehr begeisterten Publikums. wig.
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