Als
letzte Produktion im Mozart-Jahr hat man sich entschlossen, eine neue
Inszenierung zu machen, obwohl dies nun bereits dritte des "Idomeneo"
in fünfzehn Jahren ist und bei weitem die beste. "Idomeneo" ist eine schwierige
Oper. Mozart schrieb diese opera seria 1781 für München nach seiner großen
Reise nach Mannheim und Paris und begann damit seine eigentliche Opernkarriere.
Hier tritt bereits der aufgeklärte Monarch auf, der dann in Selim Bassa,
Sarastro und Tito weiter entwickelt werden sollte. Diese Aufklärungsoper
ist schwer zu besetzen. Alle Rollen sind stimmlich ziemlich mörderisch
und psychologisch anspruchsvoll. Dies gilt besonders für die fast hochdramatische
Elettra.
Luc
BONDY hat ein wohl durchdachtes Konzept mit Schwerpunkt Sturm auf die
Bühne gebracht, umgeben von seinem Team. Erich WONDER beschränkte sein
halbdunkles Bühnenbild auf einen Strand mit einem turmartigen Bau rechts
vorne und ließ von Dominique BRUGIÈRE auf den Hintergrund sehr passende
Meeresansichten im Stile Turners projizieren, sowie die Andeutung eines
Seeungeheuers, das Idamante dann schlägt. Der Zivilisations-Müll, der
im 3. Akt nach dem großen Sturm mit den Leichen am Strand liegt, war entbehrlich.
Die Kostüme von Rudy SABOUNGHI waren weniger interessant: alle in schwarzer
Kleidung (eine neue Manie!) von ca. 1830, die Herren in Gehrock und Stiefeln
- mit Ausnahme Ilias, diese ganz in weiß. Die Choreographie von Arco RENZ
ist nicht sonderlich aufgefallen. Diese Atmosphäre erlaubte Bondy eine
sehr geschickte und durchdachte Personenführung, inklusive des Chors.
Sehr anschaulich war der Sklavenstand Ilias angedeutet, die am Anfang
am rechten Fuß mit einer langen Leine an einen Felsbrocken gefesselt ist.
Musikalisch
war die Aufführung erstklassig. Thomas HENGELBROCK feierte seinen Einstand
mit dem PARISER OPERNORCHESTER. Obwohl es in der Ouvertüre noch einigermaßen
chaotisch zuging, vor allem bei den Streichern und Holzbläsern, bekam
er das Orchester bald in Griff und brachte eine sehr spannende Interpretation.
Der von Peter BURIAN ausgezeichnet einstudierte CHOR steuerte das Seinige
zum Erfolg des Abends bei.
Durchwegs
ausgezeichnet waren die Sänger. Ramon VARGAS war ein stimmkräftiger König
von Kreta, der die Koloraturen brillant und ausdrucksvoll meisterte. Obwohl
er der Kleinste der Besetzung war - dafür kann er ja nichts - gab er der
Titelrolle die passende königliche Präsenz.
Ganz
ausgezeichnet war Joyce Di DONATO als Idamante. Sie setzt ihre warme und
ungemein flexible Mezzo-Stimme sehr vorteilhaft ein und spielt mit Intelligenz
und liebevoller Hingabe an die Erwählte, die trojanische Prinzessin Ilia,
der Camilla TILLING einmal Profil gab. Denn meistens wird die Rolle an
"weiße" Soprane vergeben und entsprechend inszeniert, was die sehr ausdrucksvolle
Partie in Langeweile abgleiten läßt. Die schwedische Sopranistin hat jedoch
eine sehr charaktervolle, ausdrucksreiche Stimme, mit dramatischen Akzenten,
die die Rolle viel besser zur Geltung brachte. In der prachtvollen Arie
("Zeffiretti lusinghieri") zu Beginn des 3. Akts kam keine Langeweile
auf!
Arbace
war eine Luxusbesetzung: Thomas MOSER. Der große amerikanische Tenor hat
in weiser Vorsicht nicht die Titelrolle gewählt - in der er vor fünfzehn
Jahren in der Bastille Triumphe feierte - sondern die des secondo uomo.
Seine große Arie im 3. Akt mit dem Arioso "Sventurata Sidon!", nach der
sich Arbace hier die Adern öffnet, war großartig gesungen und erschütternd
dargestellt. Als Gran Sacerdote war der baumlange junge Xavier MAS zu
hören, der die kleine Rolle profiliert darstellte. Ebenso waren die beiden
Kretarinnen ausgezeichnet mit zwei jungen Koreanerinnen des Pariser Opernstudios
besetzt, Yun-Jung CHOI und Hye-Youn LEE. Jason BRIDGES und Bartolomiej
MISIUDA vervollständigten die gute Besetzung.
Bleibt
die Problem-Rolle Elettra. Ähnlich wie Vitellia (in Clemeza di Tito) ist
Elettra eine perfekte Egoistin, die über Leichen geht. Aber im Gegensatz
zu Vitellia zeigt sie keine - eher opportunistische - Reue. Elettra ist
ein Monster. Und Mireille DELUNSCH ist kein Monster. Wieso wirkt diese
bildschöne Sängerin mit einer prachtvollen Stimme so völlig unglaubhaft?
Mireille DELUNSCH ist ein "Fall". Die Elsässerin singt seit Jahren fast
alle Rollen, die für Sopran geschrieben wurden. Ihr Repertoire der letzten
Jahre reicht von Barock (Poppea und La Folie, in Rameaus "Platée") über
Donna Anna, Violetta, Melisande bis zu allen vier Frauenrollen in "Hoffmanns
Erzählungen", sowie Arabella und demnächst Elsa, Louise und "La Voix humaine"
von Poulenc. Frau Delunsch singt quer durch das gesamte Sopran-Repertoire.
Ist das nicht zu viel, zu zersplittert? Ihre wunderbare Stimme hat an
Ausdruckskraft und Charakter verloren. Zu allem Überfluß trug sie ein
sehr elegantes, schwarzes Abendkleid mit großem Dekolleté und eine schneeweiße
kurze Perücke. Es fehlte Delunsch der Haß und die absolute Schlechtigkeit,
die diese Rolle verlangt.
Wegen
der späten Stunde war der Beifall kurz, aber enthusiastisch. wig.
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