Zum
Abschluß der Saison hat man in der Bastille für eine Neuinszenierung der
Strauss’schen „Elektra“ optiert und zu diesem Anlaß ein hochkarätiges
Damentrio aufgeboten, von Christoph von DOHNANYI – nach seinem Unfall
bei „Arabella“ anscheinend wieder hergestellt – magistral geleitet. Man
kann hier ermessen, was ein großer Dirigent aus dem ORCHESTER DER PARISER
OPER herausholen kann. Denn das Resultat war einfach umwerfend, erschütternd
– es fehlen die Worte. Denn sowohl die wuchtigen Ausbrüche, als auch die
lyrischen Passagen waren feinst heraus gearbeitet, die Soloinstrumente
kamen immer zur Geltung, bis zum dionysischen Schlußwalzer, wo der CHOR
(von Peter BURIAN geleitet) zum rauschhaften Finale beitrug.
Die
Solisten waren der Orchesterleistung ebenbürtig. In erster Linie Deborah
POLASKI in der Titelrolle, stimmlich souverän – auch wenn gewisse Höhen
nicht ganz rein waren („Rings um dein Grab!“) – dominiert sie die Bühne.
Die ausgezeichnete Personenführung (siehe unten) war teilweise dafür verantwortlich.
Ihre Schwester Chrysothemis war mit Eva Maria WESTBROEK bestens besetzt.
Trotz des läppischen Kleids gab sie der sich nach Mutterschaft sehnenden
jungen Frau, die von ihrer dominierenden Schwester buchstäblich umzingelt
wird, intensivsten Ausdruck. Stimmlich überragend, war sie der großen
Schwester eine ebenbürtige Partnerin und Widersacherin.
Beider
Mutter, die von Albträumen gequälte Klytemnästra, war Felicity PALMER,
die der menschlichen Ruine in Gesang und Darstellung erschütternde Intensität
gab, die von Elektra terrorisiert wird, aber trotzdem die Begegnung mit
ihr sucht („Ich habe keine guten Nächte.“). Neben diesen drei szenischen
Monstern waren die Herren – wie gewohnt – im Nachteil. Markus BRÜCK als
Orest bietet als bebrillter Fremder zwar eine glaubhafte Verkörperung,
aber die recht trockene Stimme ist wenig angetan, um das Vertrauen der
Schwester zu gewinnen. Jerry HADLEY als Aegisth hat ein „Generationsproblem“.
Zwar stimmlich völlig passend, wirkt er viel zu jung um als Klytemnästras
Liebhaber glaubhaft zu sein. Er wirkt eher als ihr Sohn, eventuell gar
ihr Enkel…
Von
den Mägden (Mary Ann McCORMICK, Doris LAMPRECHT, Cornelia ONCIOU, Irmgard
VILSMAIER) ist Gutes zu berichten. Allerdings hat Tracy SMITH-BESSETTE
als fünfte Magd nicht die genügenden Stimmittel für die von den anderen
Verfolgte, die mehr stimmlichen Einsatz bedarf. Als Aufseherin, Vertraute
und Schleppträgerin waren Susan Maria PIERSON, Barbara MORIHIEN und Constance
BRADBURN passend. Ales BRISCEIN und Scott WILDE waren adäquate Diener
und Philippe FOURCADE ein umsichtiger junger Pfleger.
Bleibt
die Inszenierung. Ein hoch interessanter Artikel „Die Kraft des Paroxysmus“
des französischen Komponisten Christophe Looten im Programmheft analysiert
ganz richtig den deutschen Idealismus, das apollinische Griechentum von
Winckelmann über Goethe und Schiller bis Novalis und Wagner, als die Grundlage
der deutschen romantischen Literatur. Dieser Idealismus wurde von Nietzsche
in Frage gestellt, in dem er apollinische und dionysische Elemente als
Gegensätze postulierte. Sicher, Hoffmannsthal und Strauss waren den Thesen
Nietzsches nicht abhold. Doch die szenische Verwirklichung ließ teilweise
zu wünschen übrig. Der Intendant des Bochumer Schauspielhauses Mathias
HARTMANN hat sichtlich den Text gelesen und durchdacht, denn seine Personenführung
ist von ungewöhnlicher Dichte und ausnehmend konsequent durchgeführt.
Wenn Elektra ihre Schwester mit ihren Armen umstrickt, oder wenn sie Klytemnästra
konfrontiert, ist das ganz großes Theater.
Weniger
geglückt waren Bild und Kostüme (Jan VERSWEYVELD). Die Idee eine riesige
Grube als Agamemnons Grab im Unterteil der Bühne einzurichten – mit Agamemnons
Mantel auf einem Kleiderständer – ist nicht abzulehnen, wenngleich die
Abgrenzung mit schwarz-gelben Plastikbändern, wie nach einer Massenkarmbolage
auf der Autobahn, unnötig war. Auch nicht, die Mägde in einem Glaskiosk
(mit zwei riesigen grasgrünen Waschmaschinen!) rechts vorne zu parken,
wahrend die „Herrschaft“ im Palais oben wohnt. Aber die grassierende Manie,
unbedingt alles „zeitgemäß“ zu haben und die sozialen Gegensätze herauszustreichen,
ist in der Übertragung daneben gegangen. Denn das „Palais“ der Atriden
ist eine selten häßliche, riesige graue Scheune, mit einem nicht weniger
häßlichen Balkon und einer Tür (mit einem kleinen symbolischen mykenischen
Löwentor darüber), die auf eine Schiffs-Reling zur Vorderbühne mündet.
Ebenso
wie die abscheulichen Kostüme der fünfziger Jahre, Chrysothemis in einem
blauen zweiteiligen Kostüm (ebenso wie Klytemnästras Gefolge in grün und
braun), Aegisth in einem Playboy Outfit, Klytemnästra in einem champagnerfarbenen
Abendkleid, Orest als bebrillter Vertreter, die Mägde in engen Blusen
und Röcken oder Jeans, Elektra in einem dunkelroten Rock und einem schweren
schwarzen Kaftan (als sich Polaski beim Schlußvorhang allein verbeugte,
hatte sie ihren Kaftan abgelegt: sie war total durchgeschwitzt…). Irgendwie
fällt die durchwegs glaubhafte, bisweilen sogar ausnehmend packende, Personenführung
flach, denn die ausgesuchte Häßlichkeit der grauen Baracke und der Bekleidung
ist einfach störend. Schade!
Ein
Triumph für die drei Hauptdarstellerinnen und den Dirigenten. wig.
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