In
Librettti der romantischen Oper des 19. Jahrhunderts gibt es oft Nymphen,
Feen, Hexen und wunderliche Sagengestalten. Auch Wagner ist ja diesem
"Wahn" ziemlich verfallen …. Zu Ende des Jahrhunderts hat der Symbolismus
noch zusätzlich mitgemischt. Diese literarische Tendenz hat sich in ganz
Europa verbreitet. Jaroslav Kvapil, Regisseur am Prager Nationaltheater,
Schriftsteller und Herausgeber der Zeitschrift "Ceská Thalie", hat in
letzterer Funktion sehr viel für die Verbreitung der symbolistischen Literatur
in Prag getan. Er überarbeitete das Libretto von La Motte Fouqué für Hoffmanns
Oper "Undine" und produzierte einen sehr poetischen, symbolistischen Text,
den Dvorak sofort aufgriff. Hier wird Rusalka zu einer Schwester von Melisande,
einer anderen symbolistische Frauenfigur, von der man eigentlich nicht
weiß woher sie kommt. Auch die Kaiserin, die nach Menschlichkeit sich
sehnende "Frau ohne Schatten" ist nicht weit.
Dvorak
stand am Höhepunkt seiner Kunst und seines Ruhms. "Rusalka" ist keine
romantische Feenoper wie bei Marschner oder Weber, sondern ein "Gesamtkustwerk"
im Sinne Wagners. Dvorak hat in der Orchestrierung und Behandlung der
Stimmen viel von Wagner übernommen - besonders die Rolle des Prinzen -
doch bleibt immer Dvoraks böhmische Marke. Seine Behandlung des Orchesters
ist vollendet, und sämtliche Pulte kommen zum Zug. Die durchwegs dankbaren
Gesangsrollen sind nur erstklassigen Sängern wirklich zugänglich. Daß
diese Oper nicht weiter verbreitet ist und nicht auf dem Spielplan deutscher
Bühnen steht, ist traurig und bedauerlich.
Die
Erstaufführung der vorletzten Oper Dvoraks vor drei Jahren an der Bastille
unter James Conlon war eine Sensation. Die Wiederaufnahme unter der Leitung
von Jiri BELOHLAVEK war eine prächtige Bereicherung, denn er arbeitete
Details heraus, die nur einem "Einheimischen" zugänglich sind. So entdeckte
ich ein kurzes, sehr treffendes Trompetensolo im Mond-Lied zwischen den
beiden Strophen. Der Marsch wird hier in der Wiederholung ein Furiant.
Das Orchester der Pariser Oper folgte dem Gast aus Prag mit Begeisterung
und Hingabe.
Alle
Sänger waren der Aufgabe voll gewachsen, von der wunderbaren Olga GURYAKOVA
angeführt, die sowohl den Drang nach Freiheit und Menschlichkeit als auch
die Nostalgie ihres Nymphendaseins mit großer Intensität gesanglich und
darstellerisch zum Ausdruck brachte. Ihr Prinz, Miroslav DVORSKY, war
ein strahlender jugendlicher Heldentenor und besonders in der Schlußszene
erschütternd.
Den
Wassermann Vodnik sang wie vor drei Jahren Franz HAWLATA und gab dem symbolischen
schlechten Gewissen Rusalkas mit seinem profunden Baß den treffenden Ausdruck.
Als Hexe Jezibaba, die Rusalka Exkursion zu den Menschen ermöglicht, sang
Larissa DYADKOVA mit ausdrucksvollem Mezzo und passendem dreistem Spiel.
Anda
Louise BOGZA war eine glaubhafte fremde Prinzessin, mit ihrem angenehmen
sinnlichen Sopran und gutem Spiel. Als Förster war Sergei STILMACHENKO
sehr treffend, und Karine DESHAYES war ein furchtsamer Küchenjunge. Die
drei Nymphen wurden von Michelle CANNICCIONI, Svetlana LIFAR und Nona
JAVAKHIDZE wohl timbriert gesungen und spielerisch dargestellt. David
BIZIC sang gut die Stimme des Jägers hinter der Szene.
Was
die Inszenierung betrifft sind Spiegelungen, eine der Marotten von Robert
CARSEN, für ein symbolistisches Drama natürlich sehr passend. Die Zwiespältigkeit
Rusalkas und ihr Doppelleben sind ein guter Vorwand Spiegelungen zu verwenden.
Mit seinem Ausstatter Michael LEVINE hat Carsen eine gespiegelte Bett-Allegorie
auf die Bühne gestellt. Im 1. Akt schwebt ein gutbürgerliches Schlafzimmer,
mit Doppelbett, zwei Nachkästchen und vier Stühlen, in fünf Meter Höhe,
das genau darunter horizontal gespiegelt reproduziert ist. Mittels Projektionen
wird der Wasserspiegel des Teichs genau zwischen den beiden Betten gezeigt.
Am Ende des 1. Akts verschwinden die unteren Wände, Bett usw. und das
"irdische" Bett kommt auf Bühnenebene herab, ein sehr gelungenes Bild.
Auch
im 2. Akt geht es noch an, wo beide Betten nun Kopf an Kopf auf der Bühne
stehen, und die ganze Handlung zwischen der nun stummen Rusalka und der
fremden Prinzessin auf Bühnenebene gespiegelt stattfindet. Nur muß der
Spiegel-Prinz von einem Statisten gemimt werden. Das Ballett ist natürlich
einfach zu "spiegeln", sehr gut von Philippe GIRAUDEAU choreographiert.
Im
3. Akt wird es kompliziert, denn hier erscheint das Doppelbett, mit Nachkästchen
und Stühlen, auf die Rückwand der Szene geklebt, d.h. nochmals zwei Mal
um neunzig Grad gedreht mit der Hexe Jezibaba drin! Und dann dreht sich
der ganze Bett-Zauber auch noch! Hier wird der Symbolismus allerdings
etwas strapaziert! Zum Schluß der Oper erscheint das Bett wieder, ganz
bürgerlich, wie zu Ende des 1. Akts und der Prinz stirbt unter Rusalkas
Kuß ebenerdig - das Wasser wird projiziert.
Die
Idee der Spieglung ist sicher gut, doch bisweilen etwas übertrieben. Die
Kostüme waren einfache Straßenkleidung des beginnenden 20. Jahrhunderts.
Nur die Nymphen und Rusalka trugen die für Wassergeister fast obligaten
weißen wallenden Kleider.
Eine
sehr schöne Saisoneröffnung mit einem herrlichen, seltenen Werk - leider
war das Haus nicht voll. wig.
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