Es
ist ein Kreuz mit den Pariser Opernhäusern! Koordination war ja hier nie
besonders gefragt. Das war wieder einmal der Fall, denn vor vier Monaten
war Monteverdis historische Oper von Macht, Lust und Tyrannei in der Berliner
Produktion unter René Jacobs im TCE zu sehen. Es ist daher besonders schwierig
über eine Oper, die man normalerweise nur selten zu sehen bekommt, einen
Bericht zu schreiben, wenn man sie zwei Mal hintereinander in zwei verschiedenen
Produktionen sieht. Zu allem Überfluß singen einige Sänger in den gleichen
(oder anderen) Rollen in beiden Vorstellungen. Man macht unweigerlich
besonders prägnante Vergleiche. Weshalb ausgerechnet die besonders häßliche
Münchener Produktion nach Paris eingeladen wurde, steht in den Sternen!
„Orfeo“ oder „Ritorno d’Ulysse in Patria“, schon lange nicht gespielt,
wären eine wertvolle und erwünschte Ergänzung gewesen. Zumal René Jacobs
gerade einen „Ulysse“ in Berlin produziert!
In
der Inszenierung von David ALDEN waren die Sänger großteils sich selbst
überlassen. Außergewöhnliche Persönlichkeiten, wie Antonacci oder Visse
(siehe unten), zogen sich da besser aus der Affäre, doch die Kohäsion
der Handlung litt darunter. Die Bühnenbilder von Paul STEINBERG sind ausnehmend
häßlich und nicht angetan, dieses Manko zu beheben. Die riesige, leicht
gebogene Wand mit weißen Quadraten des 1. Akts erinnert an eine Reklame-Schau
für sanitäre Einrichtungen, wie man sie bisweilen in Einkaufszentren sieht.
Bisweilen wird die Wand bonbonrosa oder mauve beleuchtet. Mehrere eingelassene
Pflöcke dienen dazu, daß Poppea im ersten Duett mit Nero darauf herum
turnt. Ein großer roter Skai- Diwan thront in der Mitte und wird herum
geschoben (habe kürzlich so ein Ungetüm bei der Café-Ecke in einer Einkaufsgalerie
gesehen); eine riesige, transportable Drehtür (das Rad der Fortuna?) wird
auch aus nicht erklärlichen Gründen hin und her geschoben.
Die
Foto-Galerie Neros links und die Wand mit sieben Türen rechts im 2. Akt
erinnert an ein Gefängnis – vermutlich gewollt. Wenn Octavia Ottone zum
Mord an Poppea überredet, überreicht sie ihm dazu eine riesige Holzfäller
Axt (das ideale Instrument für einen diskreten Mord!). Im 3. Akt wird
auf einem Metallschreibtisch Senecas Sarg ohne viel Aufsehen abgeladen,
während Valletto und Damigella darunter schmusen. Ein „silberner“ Ladenschrank
für Akten, auf dem sich Drusilla und Ottone hinter einer Zeitung (!) verstecken,
vervollständigt das spärliche Mobilar. David Alden ist anscheinend ein
Fan von slapstick humor. Aber er ist weder Charlie Chaplin, noch Mac Sennett,
noch Buster Keaton. Einzig in der Schlußszene der Oper ist eine geometrische
schwarz-weiß Projektion nicht störend. Zu diesen Absurditäten kommen die
grotesken Kostüme von Buki SCHIFF, die anscheinend bei einem Karnevalfest
einer Studentenverbindung übrig geblieben sind. Bereits im Vorspiel erscheint
La Fortuna als verrückt bekleidetes Mannequin, die die Virtù auf Krücken
umwirft. Pat COLLINS beleuchtete entsprechend.
Also
zu den Sängern. Anna Caterina ANTONACCI, die im Herbst Nerone sang, war
diesmal die skrupellose Poppea. Die große Tragödin war - wie immer - stimmlich
großartig, doch die müde Regie Aldens hat nichts für die Herausarbeitung
des Charakters der Luxushetäre getan. Es war auch ein Fehler, den Nerone
mit dem kultiviert singenden Sopranisten Jacek LASZCZKOWSKI zu besetzen,
denn man hatte öfters den Eindruck (vor allem in den beiden hoch-elektrisierenden
Duetten), daß sich die Antonacci zurückhielt, um ihrem kaiserlichen Liebhaber
nicht zu überdecken.
Die
verstoßene Gattin Ottavia war mit Monica BACELLI bestens besetzt. Sie
verlieh der ewigen Trauerweide, besonders bei der Axt-Überreichung an
Ottone, einiges Temperament. Der Sopranist Christophe DUMAUX war dieses
arme Wesen. Er lief ständig mit einem Strauß roter Rosen herum, den er,
von Poppea nicht gewollt, schließlich bei Drusilla anbringt. Er war in
der recht undankbaren Rolle nicht sonderlich überzeugend und seine Drusilla,
die entzückende und wunderschön singende Mia PERSSON, war als bebrillte
career-woman in ein hellrosa Kostüm gesteckt worden. Da sie auch die Rolle
der Fortuna im Vorspiel inne hatte, hatte man sie als Mannequin verkleidet.
Joël
AZZARETTI war als Damigella bewußt agressiv in einem besonders vulgären
Kleid und rauchte ständig. Ihr „Liebesopfer“, Poppeas kecker Diener Valletto,
war Barry BANKS in einer Liftboy-Uniform. Er gab der Rolle stimmlich das
Beste und war ein leicht verführbarer Jüngling. Er servierte Whiskey dem
stoischen Seneca von Robert LLOYD, der sich mit kraftvollem Baß Nero entgegenstellte
und mit Resignation seine Verurteilung aus dem Munde Libertos erfuhr,
die Topi LEHTIPUU verzweifelt überbrachte. Antonio ABETE (der Seneca der
Berliner Herbst-Produktion) war zum Merkur (natürlich mit Flügeln an den
Füßen), Lictor und zwei weiteren Nebenrollen abgestiegen.
Dominique
VISSE, bereits im Herbst in der Rolle der Nutrice, Poppeas Amme, erlebt,
war wie üblich umwerfend, trotz des besonders blöden Pailletten-Kostüms
(mit Turm-Haube) eines fashion victims. Er übernahm auch die Rolle der
Arnalta, der Amme Ottavias, und war weiters einer der Schüler Senecas.
Guy de MEY war auch mehrfach beschäftigt: als Lucano, Neros Spielgefährte,
war er ein verkommener Hippie, als einer der Schüler Senecas war er wie
seine zwei Kumpane mit orangen Haaren in einheitliche Bermudahosen und
blaue Jacken gesteckt worden. Lucia CIRILLO war als Virtù (auf Krücken!)
und als Venus zu hören, Valérie GABAIL sang Amore mit hübscher Stimme
und Engelsflügeln. David BIZIC und Xavier MAS waren Konsul und Tribun.
Ivor
BOLTON leitete das FREIBURGER BAROCKORCHESTER (Streicher) und das MONTEVERDI-CONTINUO-ENSEMBLE
(eine Gruppe von Barockspezialisten: Orgelpositiv, drei Theorben, Barockharfe,
zwei Barockgitarren und drei Cembali). Bolton erklärt zwar im Programm
sehr klar und gescheit seine Konzeption zur Modulation des Continuo im
monteverdischen „parlar cantando“ mit diesem Ensemble, doch das Resultat
war weniger überzeugend. Speziell die weitgehende Verwendung der Orgel
erschwert die Flüssigkeit des musikalischen Ablaufs. Eine gewisse Zähe
macht sich breit und ist nicht gerade angetan, der Handlung Frische zu
verleihen.
Die
Diskrepanz zwischen Texttreue, auf musikologischer Forschung basierend,
wofür Theorben, Lauten usw. aufgeboten wurden und der lächerlichen, ja,
schäbigen, Ausstattung war hier besonders markant. Ein kohärentes Konzept
war nicht ersichtlich. Es ist unverständlich wie Barockmusiker, die für
die Verwendung originaler Instrumente plädieren, sich mit derartigen Verulkungen
zufrieden geben können. Nach Eigentor der STO München, ein klares 1:0
für die STO Berlin! wig.
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