Eigentlich
könnte die Aufführung „Il Barbiere di Kandahar“ heißen, denn die Handlung
spielt nicht an Andalusien, sondern in einer Wüstenprovinz Afghanistans.
Coline SERREAU, bekannte Theater- und Filmregisseurin und aktive Feministin,
überlegte vor drei Jahren, wo heute das absolute Patriarchat eigentlich
aktuell ist, und das talibanische Afghanistan schien ihr ein geeigneter
Schauplatz. Daß Sevilla auch ein paar Jahrhunderte unter maurischer Herrschaft
war, verbindet die beiden Handlungsorte auch. Man kann natürlich die Nase
rümpfen über die fast obligate Transpostion der Opernhandlungen in einen
„zeitgemäßen“ Rahmen, aber diesmal ist die Verlegung recht gelungen, zumal
die Ideen von den kongenialen, bildschönen Bühnenbildern von Jean-Marc
STEHLÉ und Antoine FONTAINE und den sehr passenden Kostümen von Elsa PAVANEL
erfolgreich unterstützt werden.
Vor
einer Felsburg, die an die Havelis in Rajasthan erinnert, erscheint der
Chor mit Fiorillo in Afghanenkluft und Massud-Kappen. Figaro trägt auf
dem Kopf einen der kleinen bunten, aufsteckbaren Sonnenschirme, wie sie
auf Stränden verkauft werden, und stellt einem kleinen Kasten mit elektrischer
Beleuchtung, voll mit Fläschchen, Parfumflakons und Utensilien auf die
Bühne, vor dem er seine Auftrittsarie singt. Das düstere Gebäude dreht
sich dann und entpuppt sich als ein superbes Moghul-Palais, wo Rosina
das bereits vorbereitete „Billett“ aus einem Tischchen auf dem Balkon
holt und über die Brüstung wirft, aber ein Ende hält, denn das „Billett“
ist sicher 4 m lang. Almaviva ist ein Mujahedin mit großem Schnurrbart
und einem riesigen, mittelalterlichen Schwert. Die afghanische Polizei
kommt mit riesigen schön verzierten, altmodischen Flinten um Ruhe zu stiften.
Der
2. Akt spielt in einem schönen roten Salon, mit Diwanen an der Wand, rechts
Arkarden, weiße Vorhänge zum Garten, erhöht ein kleiner Kiosk. Almaviva
erscheint als Don Alonso mit tragbarem Spinett, klappt die Beine auf und
beginnt Rosinas Rondo „dell'inutil precauzione“ zu begleiten, während
Bartolo schläft. Während der „Tempesta“ feuert Rosina - wütend wegen Almavivas
vermeintlichen „Verrats“ - alles beim Fester hinaus, zerreißt die Vorhänge,
beginnt sich auszuziehen, während Figaro und Almaviva über den Kiosk einsteigen.
Der Ring, den Almaviva Basilio gibt, leuchtet auch im Dunkeln, etwas kitschig,
aber effektvoll. Das alles ist gut durchdacht und blendend ausgeführt.
Musikalisch
war die Aufführung ausgezeichnet. Bereits im Andante der Ouvertüre waren
die Bläser gut herausgearbeitet, und das Allegro war sehr prägnant. Daniel
OREN zeigte sich wieder von seiner besten Seite, denn er war ständig besorgt,
das Gleichgewicht zwischen Bühne und Graben zu wahren. Zum Presto des
Finale hüpfte Oren wie ein Ball auf dem Dirigentenpodest; man mußte an
Tullio Serafin oder Vittorio Gui denken, in deren Linie er sich klar einreiht.
Der
vorzügliche Titelheld war Dalibor JENIS, der die Figaro-Cavatine mit Bravour
hinblätterte. Er spielte den unterwürfigen, aber klugen Untergebenen mit
Charme und frecher Aufmümpfigkeit. Sein Herr, Graf Almaviva, war Bruce
FORD. Er sang sehr kultiviert „Ecco, ridente in cielo“ mit den prächtigen
Verzierungen der Zedda-Fassung und falsettierte blendend in „Pace e gioia
sia con voi“. Sein Spiel war jedoch meist recht hölzern, etwas überheblich,
z. B. wenn er sich den Polizeikorporal herbeizitiert und ihm seinen roten
Diplomatenpaß zeigt.
Seine
angebetete Rosina war die kecke Joyce DI DONATO, die himmlisch sang und
sich in blauer Burkha bestens als Haremsdame bewährte. Sie überrumpelte
spielend ihren Bartolo, einen Mullah in schwarzem Kaftan und Bart, dem
Alberto RINALDI gutes Profil gab, und der seine Arie „A un dottor de la
mia sorte“ prachtvoll sang.
Der
Don Basilio von Vladimir OGNOVENKO ist ein Ayatollah, ein 2 m großer Riese
mit einer Bombenstimme, der „La Calumnia“ mit Genuß zum Vortrag brachte.
Jeannette FISCHER gab der kleinen Rolle der Berta mit ihrer hübschen Arie
viel mehr, als was man gewohnt ist. Sergei STILMACHENKO war ein flotter,
schön singender Fiorillo und Yves COCHOIS ein etwas dämlicher Ober-Polizist.
Ein sehr schöner Abend! wig.
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