Obwohl
drei Wochen vor der „Zauberflöte“ (KV 620) in Prag uraufgeführt, ist „La
Clemenza di Tito“ (KV 621) Mozarts letzte Oper. Für die Krönung von Leopold
II. von Bayern zum böhmischen König in achtzehn Tagen komponiert, war
Mozart sehr unter Zeitdruck. So schrieb er z.B. kein Vorspiel für den
2. Akt und überließ Süßmayer die Rezitative, Das Libretto von Caterino
Mazzolà auf einen Text des Metastasio ist eine dramatische Fehlgeburt.
Das ist wohl der Grund, weshalb Mozarts letzte Oper so wenig gespielt
wird. Eigentümlich, denn die Partitur enthält einige der tiefgehendsten
und ausdrucksvollsten Seiten in Mozarts sehr langem Katalog. Es ist vor
allem das Ende einer Epoche, der klassischen opera seria. Erst 25 Jahre
später werden die romantische opera seria mit Rossini, Bellini, Donizetti
und Mercadante erscheinen, um dann von der „Grand Opéra“ und Verdi abgelöst
zu werden. Das Schlußrondo der Vitellia mit Begleitung des Bassetthorns
(!) – eigentlich ein richtiges Lamento - ist eine der erschütterndsten
Arien Mozarts, sein Schwanengesang.
Etwa
150 Jahre lang überhaupt nicht gespielt war dieses Meisterwerk 1949 als
„Titus“ in einer deutschen Adaptation von Bernhard Paumgartner bei den
Salzburger Festspielen zu sehen, die dann auch an der STO Wien gespielt
wurde. Ich habe diese Fassung 1954 mit Josef Traxl und Ira Malaniuk in
Stuttgart erlebt. 1971 war die „Clemenza“ beim irischen Wexford Festival
zu sehen gewesen. In Frankreich wurde das Werk erst sehr spät gespielt
1983 in Lyon (beides unter der Leitung von Theodor Guschlbauer), während
in Paris Christopher Hogwood „La Clemenza di Tito“ erst im Juni und Juli
1987 alternierend mit „Idomeno“ in den selben Bühnenbildern und mit den
selben Sängern (Vaness, T. Schmidt, Borst, T. Moser) auf die Bühne der
Opéra comique brachte. Anscheinend ist zum Mozart-Jahr nun eine „Clemenza“-Manie
ausgebrochen, denn nach Zürich und Hamburg, wird im kommenden Sommer Mozarts
letzte Oper auch beim Festival in Aix und 2006 in Salzburg gegeben werden.
Obwohl
es in der Opéra Garnier eine schöne, etwas kühle Produktion der „Clemenza“
von Willy Decker und John Macfarlane gab, in der ein riesiger Marmorblock
im Laufe der Handlung abbröckelte, und ein großer Titus-Kopf sich buchstäblich
herausschälte, mußte unbedingt die Produktion aus Brüssel von 1982 von
Ursel und Karl-Ernst HERMANN (machen alles, Regie, Bild, Kostüme, Beleuchtung)
importiert werden. 1992 für Salzburg aufgefrischt ist das eine der banalsten
Produktionen einer Mozart-Oper seit vielen Jahren. Die weiße Einheitskulisse
ist mit leicht grünen Plexiglasplatten bis ca. 2 Meter Höhe rundum ausstaffiert,
für die Eingangshalle eines Hallenbads oder DDR-Kaderzentrums recht passend.
Das hat vor allem den Erfolg, daß sich alles im Plexiglas spiegelt, die
Personen, die wenigen Versatzstücke, aber auch die goldenen Verzierungen
des Zuschauerraums. Bisweilen gehen links, rechts und in der Mitte Türen
auf, um auf Säulengänge zu münden, die in ihrem Gipsaspekt sehr provinziell
wirken.
Bei
Vitellias Selbstanklage am Schluß, wird ein gigantischer schwarzer Quader
vom Schnürboden herabgelassen, der nach Titos Verzeihen wieder hoch gehievt
wird. Es gab noch andere solche Einfälle. Auch eine gebrochene Gipssäule
tritt auf, ebenso wie ein gipsener Thron (im 1. Akt dem Hintergrund der
Bühne zugewandt, im 2. Akt zum Publikum). Der Nagel an der Seite des Throns,
auf dem Titus nach Bedarf seine Lorbeerkrone aufhängt, ist wohl der Schlager
dieser dilettantischen Regie! Weshalb alter Ramsch aus Brüssel in Paris
entsorgt werden muß, zumal wenn eine haushoch bessere Produktion vorhanden
war, ist unverständlich.
Musikalisch
war die Aufführung zwar ungleich, aber recht zufriedenstellend. Es war
vermutlich nicht die beste Idee, die meistens gekürzten Secco- Rezitative
zu öffnen, was die Handlung noch mehr erdrückt. Zur martialischen C-Dur
Einleitung des 1. Akts war das Dirigat von Sylvain CAMBRELING zwar etwas
bäuerlich, doch fand er bald ein passendes Gleichgewicht. Der 2. Akt,
in dem es weniger Rezitative gibt, war wesentlich gelöster und der gesteigerten
Dichte der Oper viel mehr gerecht. Peter BURIAN leitete den CHOR in den
wenigen Auftritten, die sich im Hintergrund abspielten.
Die
Sänger der vier Hauptrollen sind praktisch ständig auf der Bühne. Bei
Christoph PREGARDIEN hört man seine lange Erfahrung als Oratorien- und
Liedersänger, was in seiner perfekten Gesangslinie und Diktion zum Ausdruck
kommt. Der Peter Schreier unserer Zeit! Seiner Bravourarie „Se all’impero,
amici Dei“ lieh er aber nicht nur Ausdruck, sondern auch Überlegung und
Schwung. Allerdings war er der Länge der Rolle nicht ganz gewachsen und
die Stimme zeigte Ermüdung. Sein Spiel war der Rolle des aufgeklärten
Monarchen völlig gerecht, besonders in der dramatischen Szene des Verhörs
Sestos. Dummerweise war er in einem napoleonischen Zweireiher eingeklemmt,
mit einem Silbermantel darüber.
Susan
GRAHAM als potentieller, aber reuiger Königsmörder war absolut umwerfend
in Gesang und Darstellung. Sie sang bereits „Parto, ma tu ben moi“ unglaublich
intensiv, um dann im Rondo des 2. Akts „Deh per questo istante solo“ einen
absoluten Höhepunkt und einen unglaublichen persönlichen Triumph zu feiern.
Catherine NAGELSTADT sang Vitellia sehr schön, durchwegs exakt, aber es
fehlte die Intensität der ehrgeizigen Furie. Der Stimme fehlt die Brillanz
und Brisanz für diese fast hochdramatische Rolle. Vom Regisseur/Ausstatter
einigermaßen verlassen, in verschiedene lächerliche Kostüme gesteckt,
konnte sie jedoch im sehr traurigen, resignierten Rondo des 2. Akts „Non
piu di fiori“ ihre wahren Kapazitäten zeigen.
Eine
sehr freudige Überraschung war die Tschechin Hannah Ester MINUTILLO als
Annio. Sie gab dem Freund Sestos („Torna di Tito a lata“ war rührend)
Relief mit ihrem wohlklingenden und ausgezeichnet geführten Mezzosopran,
gepaart mit einer klugen und passenden Darstellung. Demnächst als Sesto?
Überraschend war auch die junge Russin Ekaterina SIURINA in der Rolle
der Servilia. Zwar in ein blödsinniges schwarzes Kleid einer Kammerzofe
verkleidet sang sie mit glockenreinem Sopran die hübsche Rolle. Roland
BRACHT, mit Pferdeschwänzchen (wie der Dirigent), in viel zu langem Frack
(mit einer Stahlplatte als Rüstung darunter), so daß er bisweilen auf
seine Schöße stieg, sang den Publio mit profundem Baß und gab der wenig
dankbaren Rolle ausnehmendes Profil.
Trotz
der scheußlichen Ausstattung und der fehlenden Personenregie, überlebte
Mozart. Musikalisch ein schöner Abend, szenisch ein Desaster. wig.
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