"LA CLEMENZA DI TITO" - 9. Juni 2005

Obwohl drei Wochen vor der „Zauberflöte“ (KV 620) in Prag uraufgeführt, ist „La Clemenza di Tito“ (KV 621) Mozarts letzte Oper. Für die Krönung von Leopold II. von Bayern zum böhmischen König in achtzehn Tagen komponiert, war Mozart sehr unter Zeitdruck. So schrieb er z.B. kein Vorspiel für den 2. Akt und überließ Süßmayer die Rezitative, Das Libretto von Caterino Mazzolà auf einen Text des Metastasio ist eine dramatische Fehlgeburt. Das ist wohl der Grund, weshalb Mozarts letzte Oper so wenig gespielt wird. Eigentümlich, denn die Partitur enthält einige der tiefgehendsten und ausdrucksvollsten Seiten in Mozarts sehr langem Katalog. Es ist vor allem das Ende einer Epoche, der klassischen opera seria. Erst 25 Jahre später werden die romantische opera seria mit Rossini, Bellini, Donizetti und Mercadante erscheinen, um dann von der „Grand Opéra“ und Verdi abgelöst zu werden. Das Schlußrondo der Vitellia mit Begleitung des Bassetthorns (!) – eigentlich ein richtiges Lamento - ist eine der erschütterndsten Arien Mozarts, sein Schwanengesang.

Etwa 150 Jahre lang überhaupt nicht gespielt war dieses Meisterwerk 1949 als „Titus“ in einer deutschen Adaptation von Bernhard Paumgartner bei den Salzburger Festspielen zu sehen, die dann auch an der STO Wien gespielt wurde. Ich habe diese Fassung 1954 mit Josef Traxl und Ira Malaniuk in Stuttgart erlebt. 1971 war die „Clemenza“ beim irischen Wexford Festival zu sehen gewesen. In Frankreich wurde das Werk erst sehr spät gespielt 1983 in Lyon (beides unter der Leitung von Theodor Guschlbauer), während in Paris Christopher Hogwood „La Clemenza di Tito“ erst im Juni und Juli 1987 alternierend mit „Idomeno“ in den selben Bühnenbildern und mit den selben Sängern (Vaness, T. Schmidt, Borst, T. Moser) auf die Bühne der Opéra comique brachte. Anscheinend ist zum Mozart-Jahr nun eine „Clemenza“-Manie ausgebrochen, denn nach Zürich und Hamburg, wird im kommenden Sommer Mozarts letzte Oper auch beim Festival in Aix und 2006 in Salzburg gegeben werden.

Obwohl es in der Opéra Garnier eine schöne, etwas kühle Produktion der „Clemenza“ von Willy Decker und John Macfarlane gab, in der ein riesiger Marmorblock im Laufe der Handlung abbröckelte, und ein großer Titus-Kopf sich buchstäblich herausschälte, mußte unbedingt die Produktion aus Brüssel von 1982 von Ursel und Karl-Ernst HERMANN (machen alles, Regie, Bild, Kostüme, Beleuchtung) importiert werden. 1992 für Salzburg aufgefrischt ist das eine der banalsten Produktionen einer Mozart-Oper seit vielen Jahren. Die weiße Einheitskulisse ist mit leicht grünen Plexiglasplatten bis ca. 2 Meter Höhe rundum ausstaffiert, für die Eingangshalle eines Hallenbads oder DDR-Kaderzentrums recht passend. Das hat vor allem den Erfolg, daß sich alles im Plexiglas spiegelt, die Personen, die wenigen Versatzstücke, aber auch die goldenen Verzierungen des Zuschauerraums. Bisweilen gehen links, rechts und in der Mitte Türen auf, um auf Säulengänge zu münden, die in ihrem Gipsaspekt sehr provinziell wirken.

Bei Vitellias Selbstanklage am Schluß, wird ein gigantischer schwarzer Quader vom Schnürboden herabgelassen, der nach Titos Verzeihen wieder hoch gehievt wird. Es gab noch andere solche Einfälle. Auch eine gebrochene Gipssäule tritt auf, ebenso wie ein gipsener Thron (im 1. Akt dem Hintergrund der Bühne zugewandt, im 2. Akt zum Publikum). Der Nagel an der Seite des Throns, auf dem Titus nach Bedarf seine Lorbeerkrone aufhängt, ist wohl der Schlager dieser dilettantischen Regie! Weshalb alter Ramsch aus Brüssel in Paris entsorgt werden muß, zumal wenn eine haushoch bessere Produktion vorhanden war, ist unverständlich.

Musikalisch war die Aufführung zwar ungleich, aber recht zufriedenstellend. Es war vermutlich nicht die beste Idee, die meistens gekürzten Secco- Rezitative zu öffnen, was die Handlung noch mehr erdrückt. Zur martialischen C-Dur Einleitung des 1. Akts war das Dirigat von Sylvain CAMBRELING zwar etwas bäuerlich, doch fand er bald ein passendes Gleichgewicht. Der 2. Akt, in dem es weniger Rezitative gibt, war wesentlich gelöster und der gesteigerten Dichte der Oper viel mehr gerecht. Peter BURIAN leitete den CHOR in den wenigen Auftritten, die sich im Hintergrund abspielten.

Die Sänger der vier Hauptrollen sind praktisch ständig auf der Bühne. Bei Christoph PREGARDIEN hört man seine lange Erfahrung als Oratorien- und Liedersänger, was in seiner perfekten Gesangslinie und Diktion zum Ausdruck kommt. Der Peter Schreier unserer Zeit! Seiner Bravourarie „Se all’impero, amici Dei“ lieh er aber nicht nur Ausdruck, sondern auch Überlegung und Schwung. Allerdings war er der Länge der Rolle nicht ganz gewachsen und die Stimme zeigte Ermüdung. Sein Spiel war der Rolle des aufgeklärten Monarchen völlig gerecht, besonders in der dramatischen Szene des Verhörs Sestos. Dummerweise war er in einem napoleonischen Zweireiher eingeklemmt, mit einem Silbermantel darüber.

Susan GRAHAM als potentieller, aber reuiger Königsmörder war absolut umwerfend in Gesang und Darstellung. Sie sang bereits „Parto, ma tu ben moi“ unglaublich intensiv, um dann im Rondo des 2. Akts „Deh per questo istante solo“ einen absoluten Höhepunkt und einen unglaublichen persönlichen Triumph zu feiern. Catherine NAGELSTADT sang Vitellia sehr schön, durchwegs exakt, aber es fehlte die Intensität der ehrgeizigen Furie. Der Stimme fehlt die Brillanz und Brisanz für diese fast hochdramatische Rolle. Vom Regisseur/Ausstatter einigermaßen verlassen, in verschiedene lächerliche Kostüme gesteckt, konnte sie jedoch im sehr traurigen, resignierten Rondo des 2. Akts „Non piu di fiori“ ihre wahren Kapazitäten zeigen.

Eine sehr freudige Überraschung war die Tschechin Hannah Ester MINUTILLO als Annio. Sie gab dem Freund Sestos („Torna di Tito a lata“ war rührend) Relief mit ihrem wohlklingenden und ausgezeichnet geführten Mezzosopran, gepaart mit einer klugen und passenden Darstellung. Demnächst als Sesto? Überraschend war auch die junge Russin Ekaterina SIURINA in der Rolle der Servilia. Zwar in ein blödsinniges schwarzes Kleid einer Kammerzofe verkleidet sang sie mit glockenreinem Sopran die hübsche Rolle. Roland BRACHT, mit Pferdeschwänzchen (wie der Dirigent), in viel zu langem Frack (mit einer Stahlplatte als Rüstung darunter), so daß er bisweilen auf seine Schöße stieg, sang den Publio mit profundem Baß und gab der wenig dankbaren Rolle ausnehmendes Profil.

Trotz der scheußlichen Ausstattung und der fehlenden Personenregie, überlebte Mozart. Musikalisch ein schöner Abend, szenisch ein Desaster. wig.