Als
zweite Produktion aus Toulouse im Rahmen des „Festival des Régions“ konnte
man eine andere Seltenheit erleben, Cherubinis „Medea“. Obwohl die Uraufführung
1797 als „Médée“ auf französisch nur sechs Jahre nach Mozarts „Clemenza
di Tito“ im Théâtre Feydeau in Paris stattfand, handelt es sich hier um
eine ganz andere Operngattung als die klassische Opera seria. Angefangen
mit der Tatsache, daß die Oper mit gesprochenem Text – d. h. als „Opéra
comique“ – gegeben wurde und deshalb beim Publikum nicht ankam. Die Rezitative
wurden erst 60 Jahre später von einem gewissen Franz Lachner, Komponist
und Dirigent in München, komponiert.
Die
heute allgemein gespielte Fassung ist eine Rückübersetzung ins Italienische
einer deutschen Bearbeitung, die im 19. Jahrhundert viel auf deutschen
Bühnen gespielt wurde und auf den französischen und italienischen Version
beruht. Auch musikalisch hat „Medea“ mit der klassischen Opera seria nur
wenig gemein. Eher Donizetti („Anna Bolena“!) als Mozart. Nur sehr wenige
formelle Arien, viele Ariosi accompagnati, viele Chöre und sehr freie
dramatische Szenen. Nach erstmaligem Hören würde man „Medea“ eher um 1830
ansiedeln und nicht 30 Jahre früher. Auch wenn Cherubini sehr von Gluck
im Sinne der französischen Tragödie von Racine und Corneille beeinflußt
war, sind die musikalischen Quellen eher bei Méhul, Gossec, dem „Sturm-und-Drang“
und beim älteren Haydn zu suchen. Der junge Beethoven feierte 1805 Cherubini
bei seinem Besuch in Wien als den größten Komponisten seiner Zeit.
Die
Oper war ca. 80 Jahre praktisch vom Spielplan verschwunden bis Maria Callas
1953 „Medea“ beim Maggio musicale in Florenz wieder zur Aufführung brachte.
„Medea“ steht und fällt mit der Sängerin der Titelrolle. Außer Callas,
die die Oper ca. 70 Mal in aller Welt gesungen hat, haben nur wenige Sängerinnen
sich an die überaus anstrengende Rolle gewagt, u.a. Magda Oliviero, Eileen
Farrell und Leonie Rysanek. 1986 sang Dunja Vejzovic in Paris die französische
Fassung im Palais Garnier.
In
Toulouse hat man sich die „Medea“ was kosten lassen, und die heute einzig
dafür in Frage kommende Sängerin engagiert: Anna Caterina ANTONACCI. Daß
die Italienerin diese Herausforderung völlig bestand, ist eklatant. Natürlich
denkt man an Callas, z. B. wenn sie in ihrer großen Szene mit Giasone
mehrmals „Crudel!“ singt. Doch ist ihre Stimme ausgeglichener und weicher
als die der Callas. Sie kann auch in dieser Rolle ihre außergewöhnliche
Bühnenpräsenz zur Schau stellen: eine Löwin im korinthischen Käfig, eine
ganz große Tragödin.
Annamaria
dell’OSTE lieh ihren gut geführten und angenehmen Sopran Medeas Nebenbuhlerin
Glauce. Die junge Italienerin ist eine der interessantesten Neuentdeckungen,
denn sie meisterte auch die vielen Koloraturen bestens. Giasone, der Mann
zwischen den beiden Frauen, war der Albaner Giuseppe GIPALI, der mit passendem
spinto-Tenor sang und den machistischen Feigling richtig darstellte.
Giorgio
GIUSEPPINI war der sture Creonte, der dem etwas ratlosen Korinther-König
mit etwas trockener Stimme die passende Figur gab. Sehr erfreulich war
die Neris von Sara MINGARDO, die mit warmem Mezzosopran das Lamento des
3. Aktes sehr ausdrucksvoll sang. Frédéric CATON als Wache kündigte martialisch
die Ankunft Medeas an. In den kleinen Rollen der beiden Dienerinnen fielen
Elena POESINA und Blandine STAKIEWICZ angenehm auf.
Evelino
PIDÒ stand am Pult und leitete das ORCHESTRE NATIONAL DU CAPITOLE mit
großem Einsatz und wußte die richtigen Akzente zu geben. Wenngleich die
Ouvertüre des 1. Akts etwas banal wirkt, ist das in den folgenden Akten
nicht der Fall. Die Herausarbeitung der zahlreichen Soloinstrumente (Horn,
Klarinette, Piccolo) war sehr gelungen und differenziert. Der CHOR DES
CAPITOLE (unter Patrick Marie AUBERT) sang nicht nur hervorragend, sondern
agierte auch sehr gut in der tragischen Handlung.
Die
Bühnengestaltung war einem Spezialisten für griechische Tragödien anvertraut,
Yannis KOKKOS, selbst Grieche, der immer alles macht (Regie, Bild, Kostüme)
und der vor zwei Jahren die hinreißenden „Troyens“ von Berlioz (mit Antonacci
als Cassandre) im selben Haus geleitet hatte, beschränkte sich hier auf
eine schwarze Wand mit zwei gold- umrahmten Toren. Zu Giasones Ankunft
öffnet sich die Wand und gibt den Blick auf ein riesiges antikes Schiff
frei. Die pechschwarzen Kostüme des Chors gaben den Hintergrund für das
nachtblaue Kleid Medeas, das weiße Kleid Glauces und die bronzenen Kriegswämse
Giasones und seiner Mannen. Im 3. Akt ist eine trichterförmige Ausnehmung
in der Wand mit einer brennende Vase zu sehen. In dieser düsteren Ambiente
bewegen sich die Choristen gemessen feierlich mit großen Perücken aus
der Zeit Ludwig XIV (Danielle und Jean-Claude MARCHIONE). Wie selten war
die bedrückende Tragik der schrecklichen Handlung zu fühlen. Ein ganz
großer Abend! wig.
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