Wohl
die am wenigsten gespielte von Puccinis mittleren Opern (UA 1917 in Monte
Carlo), hat der große italienische Dirigent Gianandrea Gavazzeni mit Recht
dessen „Rosenkavalier“ genannt. Als Puccini 1913 zur Premiere seiner „Fanciulla
del West“ nach Wien kam, wurde er vom Direktor des Carl-Theaters angesprochen,
eine Operette für sein Haus zu schreiben. Puccini nahm das sentimentale
Libretto der beiden Haus-Librettisten Alfred Maria Willner (Libretto für
Lehárs „Graf von Luxemburg“ und für Leo Fall tätig) und Heinz Reichert
(beteiligt am „Dreimäderlhaus“, später am Broadway erfolgreich) und machte
„La Rondine“ daraus. Obwohl die Oper in Paris und an der Côte d’Azur spielt,
ist es eine Mischung von Wiener Volkstheater, „Traviata“, „Fedora“ und
„Bohème“. Die Musik ist reinster Puccini - mit einem Walzer-Überguß. Weshalb
diese Oper so selten gespielt wird, ist völlig unbegreiflich: ein sehr
geschickt gezimmertes Libretto zwischen Sentimentalität und Tragik, prachtvolle,
sehr einfallsreiche Musik Puccinis, für die Sänger ausgesprochen dankbare
Rollen. Eine Kuriosität ist auch, daß das Eingangslied des Prunier von
der Titelheldin in einer zweiten Strophe „fertig gesungen“ wird. Ich habe
diesmal „La Rondine“ zum ersten Mal gesehen – nach ca. 40 „Tosca“- bzw.
„Turandot“-Aufführungen und selbst vier oder fünf „Fanciulla del West“.
Das
„Capitole de Toulouse“, eine der ältesten Bühnen Frankreichs mit einer
langen Tradition, hat diese Rarität zusammen mit Covent Garden herausgebracht,
die nun im Rahmen des alljährlichen „Festival des Régions“ im Châtelet
zu sehen war. Die angekündigte Angela Gheorghiu hat – wie erwartet - abgesagt
und man konnte die ausgezeichnete Katie van KOOTEN in der Titelrolle der
Magda sehen (die beiden ersten Vorstellungen sang Inva Mula). Eine sehr
attraktive junge Frau, mit einer prachtvollen großen Stimme und einem
außergewöhnlichem Schauspiel-Talent, gibt sie der halbseidenen Kokotte
eine sehr glaubhafte Darstellung.
Ihr
zur Seite sind gleich zwei Tenöre. Der Dandy ist der Dichter Prunier,
von Marius BRENCIU passend snobistisch gespielt, der sein Eingangslied
„Chi il bel sogno di Doretta“ mit angenehmem lyrischem Tenor sang. Der
wirkliche Liebhaber ist jedoch Ruggero Lastouc, von Giuseppe FILIANOTI
sehr erfolgreich gespielt und prachtvoll gesungen. Seine kraftvolle spinto-Stimme
ist für die Rolle ausgezeichnet, und er verwendet sie bestens. Nur der
arme Ruggero ist in Wirklichkeit ein Muttersöhnchen: er fragt sofort bei
Mama und Papa an, ob er seine Magda heiraten darf, was in einer sehr sentimentalen
Briefszene zum Ausdruck kommt. Da tritt aber bei der Titelheldin Panik
ein und sie kehrt mit einer sehr nostalgischen Arie zu ihrem reichen Rambaldo
Fernandez zurück, der sie in einem luxuriösen Haus aushält, von Alberto
RINALDI mit Eleganz dargestellt.
Lisette,
ihre Kammerzofe ist mit Prunier durchgegangen und „wollte zur Bühne“ mit
katastrophalem Erfolg, eine Figur direkt aus einer Posse Nestroys. Die
junge Annamaria dell’OSTE gab dem liebenswerten Plappermäulchen eine sehr
temperamentvolle Darstellung, mit hübschem, gut geführtem Koloratursopran.
In den Nebenrollen der Gäste und Freunde waren die Damen Oriana KURTESHI,
Nicole FOURNIÉ und Elsa MAURUS in traumhaften Kleidern sehr passend, ebenso
wie die befrackten Herren Frédéric CATON, Jean-Pierre LAUTRÉ und Thierry
FELIX. Thierry VINCENT was ein würdiger, brummiger Maître d’Hotel.
Der
CHOR DES CAPITOLE (Leitung Patrick Marie AUBERT) stand im der Caféhausszene
des 2. Akts wacker seinen Mann.
Marco
ARMILIATO leitete das ORCHESTRE NATIONAL DU CAPITOLE mit genau dem richtigen
Gleichgewicht von Sentimentalität und dramatischer Kraft. Die Finessen
der bisweilen recht avantgardistischen Melodik, die bereits auf „Turandot“
weist, sowie die richtig veristischen Passagen, kamen hervorragend zur
Geltung. Das Orchester spielte blendend den Walzer im 2. Akt und schwelgte
im schmalzigen Verismus. Das Publikum war begeistert, da in Frankreich
veristische Musik so gut wie überhaupt nicht mehr gespielt wird.
Der
Intendant des Capitole, Nicolas JOEL, hat selbst inszeniert und sich die
Mitarbeit des großen Bühnenbildners Ezio FRIGERIO und dessen ständiger
Mitarbeiterin Franca SQUARCIAPINO für die Kostüme gesichert. Vinicio CHELI
unterstützte ihn effizient mit passender Beleuchtung. Man muß sich einen
großen Saal des Hauses eines steinreichen Mannes um 1910 vorstellen, das
von Gustav Klimt ausgestattet wurde. Das ist der phantastischen Jugendstil-Rahmen
dieser Produktion, die man, ohne Übertreibung, als genial bezeichnen kann.
Die Klimt’schen Wände und Pfeiler werden in der 2. Akt in Bulliers Kneipe
etwas zurückgesetzt und geben Platz für den Tanzplatz frei. Der 3. Akt
spielt vor einer großen Jugendstil- Glasveranda mit sehr elaborierten,
prachtvollen Baumgemälden und stilisierten Säulen. Die Kostüme waren ebenso
ungewöhnlich passend, dekadent und bildschön. In diesem luxuriösen Rahmen
konnte Joel seine Künstler leiten, wie es ihm einfällt, und das ist perfekt
gelungen.
Ein
phantastischer Abend mit viel Applaus, wo ein fast unbekanntes Werk unter
optimalen Bedingungen dem Vergessen entrissen wurde. wig.
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