Die
Attraktion der Wiederaufnahme von „Otello“ war natürlich Valery GERGIEV
am Pult. Man konnte befürchten, daß der Chef des Mariinski Theaters in
St. Petersburg einen heillosen Klamauk aus Verdis Altersoper machen werde.
Natürlich gab es im Sturmchor Donner und Blitz – wo denn sonst? Aber sonst
war die Aufführung fast perfekt, denn ORCHESTER und CHOR folgten begeistert
dem Dirigenten, mit Ausnahme eines Ausrutschers im Feuerchor. Seit sehr
langer Zeit hat man nicht das Schluß-Septett des 3. Akts - wo es leicht
ist, die Solisten unter Orchester- und Chor- Massen untergehen zu lassen
- so perfekt ausgeglichen und selten so differenziert gehört. Prachtvoll!
Auch der diskret zurückhaltende, leicht in Sentimentalität auswuchernde
Schlußakt war von seltener dramatischer Dichte. Man hat Gergiev schon
mehrmals im Châtelet und im TCE in Konzerten und russischen Opern gehört,
aber sein Debüt an der Pariser Oper bewies wieder, daß er einer der großen
Dirigenten unserer Zeit ist. Seinen „Tristan“ im Herbst kann man mit Interesse
erwarten!
Die
erstklassige Besetzung war dem „Steppenwolf“ (wie er in Paris liebevoll
genannt wird, obwohl er aus dem Kaukasus stammt, d.h. aus dem gebirgigen
Ossetien) gewachsen. Vladimir GALOUZINE ließ sich zwar zu Beginn entschuldigen,
war er in der Titelrolle prachtvoll – mit Ausnahme einiger schwacher Momente.
Er spielte zwar, wie im vergangenen Sommer, den „wilden Mann“, der wegen
jeder Kleinigkeit alles vom Tisch fegt, war aber stimmlich überzeugend.
Obwohl man nach dem „Esultate“ zitterte, war sogar das piano des „Viens..
Venere splende“ am Schluß des 1. Akts wunderschön. Otellos Tod waren stimmlich
und darstellerisch restlos überzeugend.
Interessant
war Carlos ALVAREZ als Jago. Obwohl seine Stimme nicht sehr groß ist,
wirkt diese aber, dank des sehr dunklen Timbres, besonders ausdrucksvoll.
In allen Registern perfekt ausgeglichen, hat Alvarez im intensiven „Credo“
keine Schwierigkeiten mit den Höhen und seine sehr tragende Tiefe und
Mittellage ist besonders passend für diesen verlogenen Missetäter, der
seine Verbrechen oft sotto voce vorträgt (wie in der kurzen Szene, in
der Jago Emilia das Fazoletto entreißt, hier musikalisch bestens realisiert).
Er spielt auch den intrigierenden Fallotten sehr passend.
Soile
ISOKOSKI war diesmal Desdemona, das Opfer der naiven Leichtgläubigkeit
Otellos. Jede Sängerin, die diese schwierige und zwiespältige Rolle übernimmt,
läuft unweigerlich Gefahr als „weiße Gans“ zu erscheinen. Frau Isokoski
besitzt die musikalische Intelligenz und szenische Persönlichkeit, um
der Rolle der Desdemona gerecht zu werden, und diese in eine menschliche
Person zu verwandeln. Die intensive Darstellung, gepaart mit einer stimmlich
perfekten Leistung, muß besonders erwähnt werden. Ekaterina GUBANOVA war
das zweite Opfer: eine junge, stimmkräftige und gut spielende Emilia.
Die
Nebenrollen waren weniger aufregend. Der blutjunge Gordon GIETZ als Cassio
in weißer Paradeuniform und mit etwas rauher Stimme ist nicht reif für
die Rolle, die mehr Brillanz und Einsatz bedarf. Rodrigo GARCIA als Herold
sah aus wie ein Feldmarschall! Wie im Sommer war Sergio BERTOLOCCHI ein
etwas fassungsloser Rodrigo. Als Lodovico war Riccardo ZANELLATO passend
pompös, und René SCHIRRER ein adäquat verletzter Montano.
„Otello“
war die letzte Produktion in der Bastille der Direktion von Hugues Gall.
Die in die Vittorio-Emmanuele-Zeit verlegte Inszenierung von Andrei SERBAN
wurde durch die einfachen, aber sehr effizienten Bühnenbilder von Peter
PABST ergänzt. Die luxuriösen Kostüme – besonders der Damen - von Graciela
GALÁN waren überaus passend und eine Augenweide. Diese zeitlich verschobene
Inszenierung war und ist weiterhin sehr schön anzusehen, wenn man auch
nach einem zweiten Besuch nicht alles begreift. Es ist nicht einzusehen,
weshalb sich das Liebesduett des 1. Akts zwischen den Beinen eines umgeworfenen
Tisches abspielt oder weshalb Jago ständig mit einem Totenkopf spielt.
Es ist weiterhin unklar, weshalb Otello ständig mit Dolchen herumfuchtelt,
weshalb Jago im 3. Akt den ohnmächtigen Otello mit einem dicken roten
Strick von Rodrigo zerren läßt, oder weshalb Otello vor dem Mord im 4.
Akt schwarze Federn um das Bett streut. Trotzdem, ein sehr schöner Abend!
Der Applaus war ein Triumph für alle Künstler! wig.
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