Die
Pariser Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“ wurde mit viel Medienaufwand
angekündigt und war seit Neujahr ausverkauft. Allerdings ist Peter SELLARS
eigentümlicherweise eigentlich zum selben Schluß gekommen wie Hans Graf
in Bordeaux, eben daß in „Tristan“ nicht viel zu inszenieren ist. Also,
machen wir auch hier, das was man in Frankreich so schön eine „Mise en
espace“ nennt – man kann’s auch „Bühnenmöblierung“ nennen. Die Inszenierung
selbst ist eben so einfach wie in Bordeaux, bisweilen mit gleichen Stellungen:
ein großes Bett auf der Bühne, im 1. Akt rechts, links im 2. und in der
Mitte im letzten Akt. Die Kostüme (Martin PAKLEDINAZ) sind einfach düster
und passend, keine Firlefanz. Ein Tablett mit zwei Schalen für den Todes-
und Liebestrank, ein Federmesser statt des Schwertes. Personenführung
gibt es so gut wie keine, meistens singen die Sänger an der Rampe. Das
ist alles!
Diese
Produktion wurde bereits vergangenen Herbst (in drei Abenden!) in der
Walt Disney Concert Hall in Los Angeles gezeigt. Das aber ist in Kalifornien
zu wenig - und vermutlich zu langweilig. Also, wir machen eine Video-Show
(Sellars‘ Marotte) dazu, um dem Publikum das zu erklären. Daher lud Sellars
seinen Kumpan Bill VIOLA und dessen Frau und Allround-Managerin Kira PEROV
ein, eine optische Interpretation zu bieten. Die Wichtigkeit dieser Video-Erklärung
ist durch das Kommentar Violas (im Programmheft auf Französisch, Englisch
und Deutsch gedruckt!) unterstrichen. Die Liste der über 80 (!) Video-Mitarbeiter
füllt eine ganze Seite des Programmhefts aus.
Was
Viola sagt ist nicht trivial, dumm oder übertrieben, eine etwas naive
Art einer Integration des Gesamtkunstwerks, einigermaßen verkrampft, mit
buddhistischen und hinduistischen Anspielungen. Kostproben: „Die Bilder
der drei Akte enthalten ineinander verwebte, wiederkehrende Handlungsstränge,
doch unterscheiden sie sich voneinander, wenn sie die verschiedenen Stufen
des Übergangs der Liebenden zur Loslösung widerspiegeln.“ Zum 3. Akt:
„Wenn glühende Leidenschaft und Fieber das geistige Auge blenden, und
das sinnliche Verlangen für immer unbefriedigt bleibt, ist die spiegelnde
Oberfläche erschüttert und löst sich in reines Licht, in schwebende Wellenmuster
auf. Die Liebenden steigen empor, sie entschweben, jetzt in Frieden mit
sich selbst, in ein Reich, das jenseits der Begriffspaare Mann und Frau,
Geburt und Tod, Licht und Dunkel, Anfang und Ende liegt.“ Postmoderne
New Age Philosophie. Wagners späte Schriften sind dagegen relativ einfach
und lesbar!
Das
Resultat sind sehr schöne, traumhafte Bilder, niemals direkt beschreibend:
Wellen des Pazifik, ein sich entkleidendes Paar, das nackt zur Reinigung
von zwei Acolyten mit Wasser übergossen wird, ein im Wasser sich umarmendes
Paar, wiegende Wälder, ein durchs Feuer schreitender Tristan, zum Liebestod
(„Versinken! Ertrinken!“) steigen zwei Personen im Wasser auf u. v. m..
Manche Besucher waren begeistert, manche enttäuscht, manche ablehnend
und fanden das Video Quatsch. Jedenfalls lenkt die ständige Videoprojektion
von Musik und Text ab. Daß ich persönlich für diese Art der Interpretation
nicht sonderlich empfänglich bin, ist ein Euphemismus.
Die
Aufführung war musikalisch interessant, aber wahrlich nicht umwerfend.
Das lag in erster Linie an der sehr langsamen, aber nicht sehr dynamischen
Leitung von Esa-Pekka SALONEN. Eher symphonisch als dramatisch, fehlte
die Spannung. Nicht jeder Dirigent mit langsamen Tempi ist notwendigerweise
ein Knappertsbusch oder Furtwängler ….. Bereits im Vorspiel des 1. Akts
fehlte das Drängen und nur selten gab es wirkliche Steigerungen. Noch
am ehesten im Liebesduett des 2. Akts. Selbst der Liebestod war sehr zurückhaltend,
und es fehlte die Apotheose, die Krönung dieses absoluten Meisterwerks.
Meistens begleitete das Dirigat der plätschernden Wogen des Video, statt
Wagners Musik zu folgen.
Waltraud
MEIER sang Isolde mit großem Einsatz, prachtvollem Ausdruck und sehr intensivem
Spiel. Einige Schärfen in den Höhen sind nicht überraschend und auch nicht
störend. Der Liebestod war sehr verhalten gesungen und steigerte sich
nur ganz am Schluß. Schlicht umwerfend war der sehr lyrische Tristan von
Ben HEPPNER. Die Vitalität der Stimme und seine Durchhaltekraft sind überwältigend.
Zumal er im des 3. Akt – dank eines seltenen Regie-Einfalls - zuerst auf
dem Rücken liegend und dann abwechselnd rechts oder links auf seinen Arm
gestützt sang!
Die
zweite ganz große Leistung war Franz-Josef SELIG als König Marke. Peter
Sellars erklärt im Programmheft, daß in einem früheren homoerotischen
Verhältnis Tristan Markes Geliebter gewesen sei, weshalb Marke und Tristan
sich am Ende des Monologs des Königs lange küssen! Selig sang als einziger
nicht an der Rampe. Die Erschütterung und Tragik der Rolle war intensiv
fühlbar. Sein prachtvoller Baß ist für diese Rolle ideal, seine ungemein
dramatische, ja gepeinigte Interpretation des Verzichts ist erschütternd
(„Dies Tristan mir!“), besonders wenn er am Ende auf die Knie sinkt. Großartig!
Yvonne
NAEF sang wunderschön eine sehr besorgte, fast mütterliche Brangäne, die
ihrer Schuld gefühlvollen Ausdruck gab. Jukka RASILAINEN in einem grauen
Fischer-Pullover war stimmlich ausgezeichnet, sang aber recht bieder einen
gutmütigen, nicht polternden Kurwenal. Alexander MARCO-BURMEISTER gab
Melot die richtige Hinterhältigkeit und sang passend. Ausgezeichnet war
Toby SPENCE als vollstimmiger Seemann und als Hirt. David BIZIC war ein
passender Steuermann.
Peter
BURIAN hatte den MÄNNERCHOR gut einstudiert, der vom 2. Balkon sang, was
einen beachtlichen Stereoeffekt ergab. - Viel Applaus, dem Ereignis entsprechend.
wig.
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