Als
der Pazifist und Militärdienst-Verweigerer Benjamin Britten seine erste
Oper am 7. Juni 1945 im Londoner Saddler‘s Wells Theatre zur Uraufführung
brachte, wurde er über Nacht weltberühmt. Die Aufführung verlief jedoch
fast so grimmig wie der Inhalt der Oper, denn Orchester und Sänger waren
bis zur Premiere bei weitem nicht vom Wert des Werkes überzeugt.
Das
Libretto von Montagu Slater, nach dem Gedichtepos „The Borough“ von George
Crabbe, bietet ein ungewöhnliches Szenario eines bornierten Sonderlings,
der sich an der eben solchen Borniertheit der Bewohner eines kleinen Fischerdorfs
in Brittens Heimat Suffolk, an der Ostküste Englands, reibt und daran
zugrunde geht. Zu allem Überfluß ist die Homosexualität des Komponisten
– hier an der Grenze von Sadismus und Päderastie - kaum verschleiert eingewoben.
Die Musik war auch nicht „the cup of tea“ des damaligen englischen Publikums,
das andere Kost gewohnt war. Daß „Peter Grimes“ doch ein großer Erfolg
wurde, ist fast ein Wunder. Auch in „Wozzeck“ geht ein Einzelgänger an
der Begrenztheit seiner Umgebung zugrunde. Die unausgesprochenen Gedanken
werden in den Orchesterzwischenspielen ausgedrückt. Eben diese Zwischenspiele
drängen den Vergleich mit „Wozzeck“ auf (der damals so gut wie unbekannt
war, die „Wiederentdeckung“ fand erst 1951 in Salzburg statt). Man muß
auch sonst oft an Bartok und Berg denken. Der Chor ist, wie immer bei
Britten, sehr viel eingesetzt, wird ganz besonders behandelt und bietet
daher sehr eindrucksvolle Massenszenen.
Die
Pariser Aufführung in der Inszenierung von Graham VICK von 2001 wurde
von Alejandro STADLER wieder einstudiert. Die Regie versucht – im Großen
und Ganzen erfolgreich – in dem einfachen, aber überladenen und unklaren
Bühnenbild von Paul BROWN (der auch für die bewußt banalen Kostüme zeichnete)
die Sänger und den ausgezeichneten Chor (Chormeister Peter BURIAN) durch
all den Ramsch zu führen, die oft schwer den Weg finden. Eine quer gestellte
Plastikwand dient als Fenster der Schule oder als Trennwand für Wäscherinnen.
Es ist völlig vertretbar, die Handlung in die Jetztzeit zu versetzen,
denn Gemeinheit und üble Nachrede sind ja kaum zeitgebunden. Zeitgemäß
sind Autos auf der Bühne, der Advokat Swallow fährt einen großen Ford,
die Lehrerin Ellen Orford nur einen kleinen Polo, die Jugend flotte Motorräder,
Grimes wohnt in einem schäbigen Wohnwagen, Hobson chauffiert den Tiefkühllaster
der Fischkonservenfabrik (der am Schluß auch als Aunties Bar dient). Dabei
besteht eine sehr gute Beleuchtung von Matthew RICHARDSON.
Von
den drei Hauptdarstellern ist in erster Linie Anthony Dean GRIFFEY in
der Titelrolle (für Peter Pears geschrieben) zu nennen, der die sehr anstrengende
Partie hinreißend sang. Der intelligente Sänger ist ein Spezialist für
zeitgenössische Musik; er zeigte große Musikalität und sehr eindrucksvolles
Spiel. Sein großer Monolog „Now the Great Bear and Pleiades“ war erschütternd,
ebenso wie sein letzter Auftritt, wo die Meute der Dorfbewohner hinter
der Szene „Peter Grimes!“ plärrt, um ihn zu lynchen. Die unmögliche Liebe
der Lehrerin Ellen Orford zu Grimes brachte Brigitte HAHN sehr intensiv
zur Geltung. Zwischen Frust und Mitleid ist sie sich der Aussichtslosigkeit
ihres Engagements bewußt, läßt sich aber nicht von der Verzweiflung überwältigen.
Peter
SIDHOM lieh seinen warmen Bariton dem Captain Balstrode, dem einzigen
Mann im Dorf, der zu Grimes hält, und gab ihm das richtige Profil und
die menschliche Wärme des alten Seebären, der viel gesehen hat. Zum Schluß
zieht er die Konsequenz und rät Grimes den Selbstmord „… and sink the
boat!“. Claire POWELL als Auntie führte mit fester Hand und guter Stimme
das Lokal „Zum wilden Eber“, halb Kneipe, halb Bordell. Die beiden kurz
gekleideten „Nichten“, Carolyn SAMPSON und Valérie CONDOLUCI, belebten
diese Kaschemme passend. Ian CALEY sang und spielte mit der nötigen Hypokrisie
den ständig predigenden Methodisten Bob Boles, der aber dann betrunken
eine der Nichten auf einer Bank vergewaltigen will („I want her!“).
Ebenso
ist der Anwalt Swallow den fleischlichen Gelüsten mit beiden Nichten nicht
abhold, von Michael DRUIETT am Schluß sehr expressiv (auf der Kühlerhaube)
dargestellt. Della JONES war als Laudanum-süchtige Mrs. (Nabob) Sedley,
die nur schnüffelt und ihre Mitbürger vernadert („Murder is my passion!“),
absolut perfekt. Neil JENKINS als Dorfpfarrer Horace Adams war pompös
würdig. Den jungen Ned Keene, den Schönling des Dorfes, spielte Jason
HOWARD sehr passend, ebenso wie Lynton BLACK dem Hobson die rauhen Manieren
des Lastfahrers gab. In den kleineren Rollen waren Christian NEDJEL, Pascal
MESLE, Ghislaine ROUX zu hören. Der junge Constantin JOPECK spielte sehr
passend den verschreckten Lehrling auf Grimes‘ Schiff.
Roderick
BRYDON leitete mit Umsicht und sichtlicher Liebe die, dank der zahlreichen,
bei keinem Orchester beliebten, Tempowechsel, ausgesprochen schwierige
Partitur. Das ORCHESTER DER OPÉRA zog sich mit Panache aus der Affäre.
Das
selten gespielte Werk Brittens fand ein begeistertes Publikum. Wig.
|