Diese
Neuinszenierung von Verdis Altersoper war keine zwingende Notwendigkeit.
Die Produktion vor mehr als zehn Jahren hätte gereicht, zumal sie bei
der Weltausstellung in Sevilla gezeigt wurde. Da es in Sevilla zu einem
schweren Unfall kam (das Chorpodest brach ein und zwei Chormitglieder
wurden dabei getötet und mehrere, teils schwer, verletzt), ist vermutlich
diese neue Inszenierung gemacht worden.
Jedenfalls
ist diese Produktion von Andrei SERBAN recht gelungen – was man nicht
von allen seinen Inszenierungen sagen kann. Die Bühnenbilder von Peter
PABST sind im Stil Vittorio Emmanueles und die prachtvollen Kostüme von
Graciela GALAN sind zur Zeit des Risorgimentos; besonders die Uniformen
sehen sehr nach Vittorio Emmanuele aus. Joël HOUBEIGT beleuchtete sehr
differenziert die sehr unterschiedlichen Situationen.
Zum
Sturmchor - alle in schwarzen Plastikmänteln - werden wilde Wellen auf
einen Gazevorhang projiziert, es blitzt überall, wirklich zum Fürchten.
Zum “Eviva” sieht man einen pompösen Palast im Hintergrund. Zu Otellos
“Esultate” verschwindet der Palast und gibt den Blick auf den Hafen frei,
mit einer großen Palme in der Mitte. Bei der Trinkszene wird mit rot-weißen
Stangen eine Arena ausgespart, so daß alle in diesem Viereck ihren Sauflüsten
nachgehen können, während große Feuerwerke im Hintergrund abgehen. Otello
kann bei der Degradierung Cassio in schneeweißer Gardeuniform die Epauletten
abreissen. Nicht ganz klar ist weshalb Otello bei “Venga la morte” mit
zwei großen Dolchen herumfuchtelt.
Im
2. Akt sitzt Jago hinter einem gigantischen Regence-Schreibtisch und spielt
mit einem Totenkopf. Ab hier ist ein Säulengang allgegenwärtig, entweder
wie hier rechts, oder wie im 3. Akt, im Hintergrund. Als interessantes
Detail steht rechts vorne Otellos Renaissance-Rüstung, gekrönt von Desdemonas
Schleier. Ein Pope betet mit Desdemona im Hintergrund zu Jagos Credo.
Die Auseinandersetzung zwischen Jago und Emilia wegen des Fazolettos ist
regiemäßig sehr gut gelöst. Während des Schwurduetts zerreißt Otello den
genannten Schleier von der Rüstung. Wie überhaupt Otello als der “Wilde”
schlechthin gezeichnet ist, der ständig etwas zertrümmert, vom Schreibtisch
fegt oder seine Umwelt brutalisiert.
Während
Desdemona in den beiden ersten Akten in großem weißem Abendkleid erscheint,
trägt sie im 3. Akt ein prächtiges bordeauxrotes Ballkleid. Das macht
auch einigen Eindruck auf die venezianische Delegation, die auch die Presse
mitbringt – Fernsehen gab’s noch nicht - Fotograf (im Smoking) und Stenographierdame
(wie alle Chordamen in unglaublich eleganten, meist braunen oder schwarzen
Kleidern von 1880; und die Hüte!!). Zum Schluß des Akts hängt Jago dem
zusammengesunken Otello einen dicken roten Strick um den Hals, mit dem
Rodrigo ihn wegzerren will.
Im
4. Akt ist die Bühne fast leer, bis auf einen japanischen Futon und drei
halb-durchsichtige Paravents, die Otello bei seinem Auftritt einen nachdem
andern mit seinem großen Sarazener-Dolch zerschneidet. Nachdem er Desdemona
geküßt hat, streut er schwarze Rabenfedern um das Bett. Weshalb? Als Lodovico,
Montano und alle anderen hereinstürzen, bedroht Otello sie mit einer Standarte,
dreht sie dann um und ersticht sich damit. Er torkelt bis zur Palme und
stirbt. Kein Zweifel, die Inszenierung ist packend, wenngleich etwas “too
much”.
Die
musikalische Seite war ganz ausgezeichnet. James CONLON nahm mit dieser
Serie von Otello-Vorstellungen Abschied von der Pariser Oper als erster
Dirigent des Hauses, dem er so viel gegeben hatte. Die neue Equipe Mortier-Cambreling
wird sich sehr bemühen müssen, um an das nun gewohnte Niveau heranzukommen.
Conlon zeigte mit dieser Aufführung, daß er als Operndirigent ziemlich
wenig Konkurrenz hat. Der Chef des Hauses hat sich auch bei Verdi als
äußerst profilierter Dirigent erwiesen, der sowohl die Wogen des Sturm-
oder Feuerchors, als auch das “Ave Maria” Desdemonas begleiten und die
Subtilitäten heraus arbeiten kann. Das ORCHESTER DER PARISER OPER spielte
mit Leib und Seele und bereitete ihrem Chef zum Schluß eine triumphale
Huldigung. Peter BURIAN hatte den PARISER OPERNCHO völlig in der Hand,
und es war eine Freude, die Choristen singen zu hören.
Die
Besetzung war auch nicht ohne. Vladimir GALUZIN ist derzeit der Aller-Welt-Otello,
wie Domingo vor zwanzig oder del Monaco vor vierzig Jahren. Er beginnt
allerdings auch die Unarten seiner illustren Vorgänger anzunehmen, d.
h. zu outrieren und meistens forte zu singen. Das ist außer zu Ende des
1. Akts und im 4. Akt auch ständig der Fall. Nach dem Mord an Desdemona
ist er daher auch stimmlich am Ende. Die Regieanweisung den “Wilden” zu
spielen, liegt ihm sichtlich gut, wenn er Desdemona zu Boden wirft, Jago
fast erwürgt oder mit einer Aktenmappe alles vom Schreibtisch schmeißt.
Jean-Philippe
LAFONT als Jago ist die verkörperte Schlechtigkeit, schleimig, wenn er
sich bei Otello einschmeicheln will, herrisch mit Emilia, verspielt-freundlich
mit Rodrigo und Cassio, der Teufel schlechthin. Sein Credo ist von ekelhafter
Eindeutigkeit, superb gesungen, mit diabolischem Lachen zum Schluß. Die
Chilenin Cristina GALLARDO-DOMAS hat erfolgreich den Übergang in das jugendlich-dramatische
Falcon-Fach gemeistert. Ihre wunderbar runde, perfekt ausgeglichene Stimme
trägt mühelos im großen Ensemble des 3. Akts. Das “Prega per noi!” des
Schlusses des “Ave Maria” war herzzerreißend.
Einen
ausnehmend guten Eindruck machte der junge deutsche Tenor Jonas KAUFMANN,
eine Überbesetzung für den Cassio – doch man wird sich darüber nicht beklagen.
Bereits in der Trinkszene zeigte er den Schmelz seiner prachtvollen Stimme,
die schon aus den lyrischen Tenorrollen entwachsen ist. Emilia war Nona
JAVAKHIDZE, die der, meist schlecht besetzten, Rolle stimmlichen Ausdruck
und szenische Präsenz gab. Sergio BERTOCCHI als Rodrigo wußte wohl, daß
er natürlich nicht mit dem feschen Cassio mithalten könne. Als Lodovico
überbrachte Giovanni Battista PARODI wohlklingend die Befehle aus Venedig.
Christophe FEL (mit Bersaglieri-Tschako) war ein passender Montano, und
Rodrigo GARCIA als Herold kündigte die venezianische Delegation an.
Das
überraschenderweise nicht ganz volle Haus spendete stürmischen Beifall,
mit einer Prise Nostalgie, wohl wissend, daß eine einzigartige Epoche
der Geschichte der Pariser Oper zu Ende geht. wig.
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