Zur
Saisoneröffnung der neuen Direktion, hat Gérard Mortier Debussys „Pelléas
et Mélisande“ angesetzt. Diese Produktion ist zwar seit 1997 im Repertoire
der Garnier-Oper und auch bei den Salzburger Festspielen gezeigt worden,
daher ist die Nützlichkeit des Umzugs der Garnier-Produktion in die Bastille
Oper nicht offenbar.
Der
Großteil der Kompositionen Debussys sind Klavier- oder reine Orchesterwerke,
denn er hat sich immer vor dem gesprochenen Wort gehütet. Daß sich Debussy
mit dem überschwenglich symbolistischen Text Maeterlincks befreundet hat,
ist überraschend. Maeterlincks Theaterstück ist zwar weitgehend sehr poetisch,
bisweilen etwas pompös, aber der penetrante Symbolismus und die dramatischen
Ungereimtheiten machen den Text schwer zugänglich. Die Minimalisierung
der Musik ist auch mit dem Text schwer vereinbar. „Pelléas et Mélisande“
ist deshalb eines der schwierigsten Werke
der Opernliteratur und für jeden Regisseur eine Herausforderung.
Robert
WILSON (Regie und Bühnenbild) hat beschlossen, die Ökonomie der Musik
auch auf die Bühne zu bringen. Das ist zwar interessant, aber äußerst
riskant. Es ist bereits erfreulich, daß die Oper nicht in einen Hinterhof
eines Sozialbaus oder in eine Fabrikruine transponiert wurde und weder
faschistische Uniformen, noch Elendskleidung die Bühne bevölkern. Man
kann aber nicht von Handlung und Text abstrahieren und die Oper in ein
Vakuum transponieren! Das Resultat ist daher wenig überzeugend, denn die
Verständlichkeit der komplexen Handlung leidet darunter sehr. Das völlige
Fehlen der obsessiven Symbolik Maeterlincks macht es schwierig zu folgen,
selbst wenn man das Werk gut kennt; für jemanden der es das erste Mal
hört, muß es völlig unverständlich sein.
Die
absolut essentiellen Symbole fehlen: die Fontäne und der Ring, Mélisandes
Haare, Golauds Schwert. An der Fontäne beginnt und endet das eigentliche
Drama, denn hier verliert Mélisande den Ring, denn hier trifft sie Pelléas
zum letzten Mal, denn hier ermordet ihn Golaud. Der Ring, das Symbol der
vermeintlichen Untreue Mélisandes, wird nur als Projektion gezeigt. Mélisandes
Haare sind das Zentralthema des Werks und dominieren mehrere Szenen (in
der Turmszene wickelt sich Pelléas in 10 m Abstand in Mélisandes nicht
vorhandenen Haare oder im 4. Akt, reißt Golaud in seiner Eifersucht Mélisande
an den ebenso nicht vorhandenen Haaren hin und her). Schließlich das Schwert,
das Golaud im 4. Akt holt und auf Pelléas‘ Mord bereits anspielt. Die
Grotte (3. Szene des 2.Akts) ist dafür überraschend bildlich, denn in
der Felskulisse kann man Tierbilder erahnen. Der Katafalk à la Canova,
auf dem Mélisande im 5. Akt gebettet ist, paßt noch am ehesten zu Maeterlincks
Symbolik.
In
Wilsons Regie sind asiatische Einflüsse unverkennbar: die hieratische
steife Gestik der Sänger, Wilsons Marke, ist an vielen Stellen völlig
deplaziert: Mélisande kommt meistens rückwärts schreitend auf die Bühne;
zu Beginn des 4. Akts mit ausgestreckten, abweisenden Armen wie Lady Macbeth
in der Schlafwandel-Szene. Der Hirt ist ein ägyptischer oder persischer
Priester (ohne Schafe) und erscheint nur als indonesischer Schatten; die
Klageweiber in der letzten Szene könnten balinesische Tempeltänzerinnen
sein und sind auch nur Schatten. Die Kostüme von Frida PARMEGGIANI sind
sehr widersprüchlich und uneinheitlich, da sie quer durchs historische
Kostümfeld laufen: Pelléas in schneeweißem Anzug erinnert an Fitzgeralds
Great Gatsby; bei Arkel in einem grauen Kaftan mit langem weißem Bart
denkt man an Konfuzius; Mélisande sieht aus wie Catherine Deneuve und
liegt im letzten Akt auf dem weißen Katafalk, von dem sie sich, nach Abgang
aller anderen Personen, erhebt und die Bühne verläßt; Golaud war in einer
undefinierbaren schwarzen Kluft; Yniold trug in einen dunkelroten Pagenanzug
mit spanischen Pluderhosen. Die Beleuchtung Wilsons (mit Heinrich BRUNKE)
war wie gewohnt stockfinster, bzw. bläulich fahl, unterbrochen durch diverse
Projektionen.
Die
Aufführung war musikalisch auf ausgezeichnetem Niveau. Sylvain CAMBRELING
hat vielleicht noch nicht den Kontakt mit dem ORCHESTER DER OPÉRA, wenngleich
die Musiker mit spürbarem Enthusiasmus bei der Sache waren. Die Aufführung
war sehr ausgeglichen und die Details der schillernden, traumhaften Musik
Debussys bestens ausgefeilt, nur etwas menschliche Wärme fehlte noch.
Peter BURIAN hatte den kleinen SEEMANSCHOR gut und diskret einstudiert.
Die
Sänger kann man pauschal loben, denn sie waren ausnahmslos hervorragend,
vor allem die beiden Titelhelden. Mireille DELUNSCH bringt ihre strahlende
Stimme für Mélisande, nicht so „weiß“ wie bei vielen Besetzungen; trotz
ihrer immer mehr extremen Rollenwahl (Elsa, Rosalinde, Barock, Traviata
usw.) ist sie der Mélisande völlig gewachsen. Daß sie auch eine ausnehmend
schöne Frau ist, kommt der Rollengestaltung sehr zugute. Simon KEENLYSIDE
(mit perfektem Französisch) als Pelléas hat genau die richtige Stimme
des tenoralen Baritons, die diese schwierige Rolle bedarf.
Für
José VAN DAM war Golaud kein Rollendebüt, denn er hat die Rolle vermutlich
schon in dutzenden anderen Produktionen gesungen. Stimmlich ist er nach
wie vor souverän und überzeugend, und er hat sich selbst in dieser Inszenierung
zurecht gefunden, wo diese Aktionsfigur des Golaud sehr statisch behandelt
wird. Besonderes Loben verdient der junge Sébastien PONSFORD, Solist des
Kinderchors der Opéra. Trotz der läppischen Kluft, sang er die schwierige
Partie mit überzeugender Professionalität und kindlicher Frische. Beim
Schlußvorhang wurde er auch besonders gefeiert.
Ferruccio
FURLANETTO als gütiger Arkel lieh seinen prachtvollen basso cantante,
um die Botschaft der Menschlichkeit zu überbringen. Außerdem war jedes
Wort perfekt verständlich. Dagmar PECKOVA als recht jugendliche Geneviève
mußte im 2. Bild den nicht vorhandenen Brief mit warmen Alt lesen. Frédéric
CATON gab dem Arzt Profil.
Eine
recht erfreuliche Saisoneröffnung; das Publikum des nicht vollen Hauses
feierte die Künstler mit großem Beifall. Es ist abzuwarten, ob das Publikum
die weitere, sehr eklektische Programmierung der Bastille-Oper bis zum
Jahresende durchhalten wird: Messiaen „Saint François“, Janacek „Katia
Kabanova“, Strauß „Ariadne auf Naxos“ plus eine Uraufführung einer Art
musikalischer Installation. wig.
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