Es
ist unmöglich, nicht von Monteverdis Alterswerk, der ersten historische
Oper der Musikgeschichte, fasziniert zu sein. Die Ökonomie der Instrumentierung
erlaubt dem „Oracolo della Musica“, wie er noch zu Lebzeiten genannt wurde,
eine komplexe – und reichlich lange – Geschichte in prägnanter Form zum
Ausdruck und packend auf die Bühne zu bringen. Monteverdi hat erstmalig
dynamische Variationen in den rezitierende Gesang eingeführt: „battuta
da mano“, das „parlar cantando“ Rezitativ alla breve (im 2/2 Takt) für
den normalen Fortschritt der Handlung, um dann in „cantar parlando“ (im
3/4 Takt) überzugehen, wenn Emotionen dargestellt werden sollen. Dieser
Unterschied erlaubt eine sehr einfache Dynamik im Duktus des Gesanges
und ist ungemein wirksam. Erst im 18. und 19. Jahrhundert ist die Arie
mit ihren verschiedenen Varianten (A-B-A, da capo, bis zu den sehr elaborierten
Arien Mozarts und der italienischen Romantik) zum Blüte gekommen. Dadurch
kann auch ein relativ langer Text „untergebracht“ werden, denn es gibt
wenige oder gar keine Wiederholungen des Textes. Es ist wohl diese einfache
Differenzierung und Dynamik, die Monteverdis Werke so „modern“ scheinen
lassen, denn sie sind schließlich nicht so weit vom parlando Messiaens
und dem Sprechgesang Schönbergs.
Die
Geschichte der Poppea, die nichts unversucht läßt, um an die Macht zu
kommen und Neros Frau zu werden, ist so alt wie die Menschheit. Es geht
um die menschlichen Leidenschaften, Macht, Liebe, Sex, Bestechung, Eifersucht,
Mord und wieder um Macht. Daß der Text von Gian Francesco Busenello (nach
den „Annalen“ des Tacitus) so an allem, was Macht hat, lästert, macht
diesen sehr spannend. Ein geschickter „screen writer“, der die Namen des
Textes Busenellos etwas verändert und daraus ein Filmszenario schreibt,
könnten einen Kassenreißer machen.
Die
allgemeine Gültigkeit der Handlung, die kein Ruhmesblatt der römischen
Geschichte ist, hat den schottischen Regisseur David McVICAR bewogen,
das Ganze in die Jetztzeit zu verlegen. „Na und?“, wird der blasierte
Leser fragen. Wenn man eines der Blätter, die aus Fleet Street täglich
kommen, „The Sun“ oder „The Daily Mirror“ (oder „Bild“ oder die „Kronenzeitung“)
liest, wird einem rasch klar, daß all das genau so gut unter Filmstars,
Börsenspekulanten, Zeitungsmagnaten, Industriekapitänen oder Film-Moguls
passieren könnte – und passiert. Obwohl der Schotte als „enfant terrible“
der Opernszene berüchtigt ist, hat er hier eine kohärente und packende
Inszenierung auf die Bühne gebracht, die zu allem Überfluß auch richtig
gehend schön ist. Natürlich haben die einfachen, aber sehr geschickten
Bühnenbilder von Robert JONES, ebenso wie die fabelhaft passenden Kostüme
von Jenny TIRAMANI ihren Anteil an dem erfolgreichen Unternehmen. Die
Beleuchtung von Paule CONSTABLE hat hier ebenfalls große Bedeutung.
So
ist die Idee, Nero als neurotischen Arrivisten in die Kluft und Maske
von Michael Jackson mit „dread locks“ zu stecken, ausgesprochen gelungen.
Poppea ist ein überspanntes Starlet, meist sehr leicht gekleidet. Octavia,
die verstoßene Gattin Neros, trägt meist dunkelblau oder schwarz, eine
ewige Trauerweide. Seneca als pontifizierenden Präsentator einer literarischen
Fernseh-Talkshow mit drei gleichgesinnten Kollegen filmen zu lassen, ist
ein Geniestreich. Zumal im vorhergehenden Akt der junge Valletto (in Baskets,
verkehrter Schirmmütze und T-Shirt) sich über seine etwas pompösen Konzepte
lustig macht. Merkur erscheint nur als zwei Augen auf einem großen Fernsehschirm,
während der Sänger hinter der Szene singt. Sechs riesige Drehwände geben
den Blick auf erotische Gemälde frei oder verschließen nach Bedarf den
Raum. Nur ein paar Polster, ein riesiges Recamier-Sofa und der Tisch,
an dem Seneca sitzt, (und der nachher zu Gelagen dient), sowie der schwarze
Sarg Senecas sind die einzigen Versatzstücke. Sparsamer geht’s nicht.
Alles ist sehr konsequent durchgezogen.
In
dieser Atmosphäre von Laster und Tyrannei musizierte René JACOBS mit seinem
seit 1978 bestehenden COLLEGIUM MUSICUM das Vermächtnis aus Mantua, für
dessen Hof das Werk geschrieben war. Die gewohnte Perfektion Jacobs‘ ist
hier in einem kleinen Ensemble (ganze 22 Instrumentalisten) noch ausdrucksvoller,
da viel transparenter. Es gibt daher auch der ganzen Handlung auch einen
moderneren Ausdruck. Jacobs hat eine Schar außergewöhnlicher Sänger um
sich gesammelt, die er nach Bedarf durch weitere Künstler bereichert.
Da
die Oper etwa zwei Dutzend Personen „beschäftigt“, singen die meisten
Sänger mehrere Rollen. Bereits im Vorspiel treten Fortuna, Virtù und Amore
auf, von Patrizia CIOFI, Anne Sofie von OTTER und Amel BRAHIM-DJELLOUD
in luxuriösen Phantasie-Kleidern dargestellt. Alle drei haben auch noch
weitere wichtige Rollen inne. Patrizia Ciofi ist Poppea, eine in jeder
Hinsicht anstrengende Rolle. Die junge Italienerin ist hier in ihrem Element,
denn sie singt nicht nur hinreißend, sondern bringt auch ihr außergewöhnliches
Spieltalent voll zur Geltung. Anne Sofie von Otter als die verstoßene
Octavia, die nur mehr auf Rache an Nero sinnt, war die „grande dame“ des
Barockgesangs. Amel Brahim Djelloud sang auch den Valletto, den jungen
aufmümpfigen Schüler Senecas, der dann von der Damigella (Poppeas Dienerin),
der reizenden Mariana ORTIZ-FRANCÉS, in einem entzückenden Duett im 3.
Akt in die Geheimnisse der Liebe eingeführt wurde.
Den
Nero sang und spielte absolut umwerfend Anna Catarina ANTONACCI. Diese
außergewöhnliche Sängerpersönlichkeit hat bereits als Cassandre in den
„Troyens“ im Chatelet einen ungeheuren Eindruck hinterlassen. Sie hat
hier wieder ihr außergewöhnliches Talent zur Schau gestellt. Laurent ZAZZO
stellte seinen perfekten Countertenor dem Ottone, dem unglücklichen, ausgebooteten
Liebhaber Poppeas, zur Verfügung. Er spielt auch ausnehmend überzeugend
die Rolle des verzweifelten Mannes, der sich den Rachegelüsten Octavias
beugt und dann doch erwischt wird. Antonio ABETEs profunder Baß gab dem
bebrillten Seneca den gelehrten Ausdruck und die stoische Ruhe des Philosophen.
Der Drusilla, die sein langer Zeit auf Ottone spitzt, gab die reizende
Carla di CENSO die richtiger Mischung von Ehrgeiz und femininer Grazie.
Zwei
komische Rollen gibt es auch: die „Nutrice“, die Amme Octavias, die Dominique
VISSE in seiner gewohnten umwerfenden Komik mit hellem, sehr differenziertem
Countertenor darstellte. Er sang auch in der Fernsehszene eine der Bekannten
Senecas. Arnalta, die Amme Poppeas, sang und spielte der Tenor Tom ALLEN.
Da er um einen Kopf größer als alle anderen ist, wirkte er in seinem rosaroten
Abendkleid einfach hinreißend. Er sang auch den Merkur hinter der Szene.
In
den kleineren Rollen hatte Finnur BJARNASON nicht weniger als vier Partien
inne: als Lucanius war er der schwule Spielgenosse Neros, weiters ein
Freund Senecas in der TV-Szene, als Konsul und schließlich als schlafender
Soldat wurde er von seinem Kollegen rauh geweckt, was Enrico FACINI mit
schönem Tenor tat, bevor er ihm aus der Zeitung die schlechten Nachrichten
aus Pannonien und Armenien vorlas. Letzterer hatte aber noch zwei Rollen,
als Tribun und Liberto, der das Todesurteil Neros an Seneca überbringt.
René LINNENBANK als Lictor , als ein dritter Freund Senecas und ein weiterer
Tribun zu hören. Alle drei erledigten sich ihrer zahlreichen Tätigkeiten
bestens.
Das
TCE hat wieder einen Volltreffer gelandet. Die Produktion wird nach einer
konzertanten Aufführung in London, im Frühjahr 2005 in Straßburg, an der
STO Berlin (Feber 2006) und an der „Monnaie“ in Brüssel (März 2006) zu
sehen sein. Das Publikum täuschte sich nicht und feierte die Künstler
stürmisch. wig.
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