Wenngleich
weniger „bekannt“ als Belá Bartók, kennen doch viele Musikfreunde dessen
Freund Zsoltan Kodály und seine Orchestersuite „Háry János“. Aber kaum
die „Oper“, auf der die Suite beruht – wenn man dieses Werk eine Oper
nennen kann. Denn dieses Werk ist ein musikalisches Unikum, ein Hybrid
zwischen Kantate, Volksliedsammlung, Singspiel, Melodrama, Tanz, Pantomime
und in der Musikliteratur ziemlich einzig dastehend.
Die
Geschichte der geträumten oder erfundenen (?) Abenteuer des Háry János
ist voll Poesie und menschlicher Güte, trotz Aufschneiderei und Hochstapelei.
Diese Historie ist in ungarische Volksmusik eingebettet und stark von
einem etwas naivem ungarischem Patriotismus getränkt (der unglaubliche
Chor, der den Kaiser bittet, sich um seine Ungarn zu sorgen!). Niemand
glaubt natürlich, daß Háry die Erzherzogin Marie-Louise aus der russischen
Gefangenschaft errettet oder Napoleon vor den Toren Mailands gefangen
genommen habe.
Das
ganze Werk ist in eine traumhaft, irreale, ja, exotische Atmosphäre getaucht,
die durch die weite Verwendung des Cymbalums noch unterstrichen wird.
Diese Irrealität gibt aber dem Werk seinen eigentlichen Charme. Von den
acht verwendeten Volksliedern ist das erste (das Nagybony-Lied) von Bartók
gesammelt worden, die sieben anderen von Kodály. Sie werden den Gesangssolisten
- Háry und seiner Geliebten Ilka - und dem Chor anvertraut.
Im
Rahmen des alljährlichen „Festival des Régions“ wurde heuer die Oper Montpellier
eingeladen. Friedemann LAYER und das ORCHESTRE NATIONAL DE MONTPELLIER
brachten für das ungewöhnliche Werk große Liebe und Aufmerksamkeit auf.
Selbst echte Ungarn werden das nicht oft finden.
Das
Orchester aus dem Languedoc wurde sekundiert durch Jean-Paul SCARPITTA
und seine träumerische Inszenierung (auch Bühnenbild, Kostüme, Beleuchtung
und zahlreiche Projektionen). Scarpitta hatte sich mit dem Werk sichtlich
intensiv beschäftigt. Mit Hilfe des Schriftstellers Florian ZELLER wurden
die gesprochenen Texte des ursprünglichen Theaterstücks von Béla Paulini
und Zsolt Harsányi in einen französischen Text für zwei Sprecher umgearbeitet,
einserseits Háry und anderseits alle anderen Personen zusammengefaßt in
der Figur des „Studenten“. Diese Lösung ist ganz gelungen, denn sie bietet
ein gutes Verständnis der Handlung.
Eine
Truppe von Tänzern und Akrobaten vervollständigte die folkloristische
Seite, von Georges MOMBOYE brillant choreographiert. Die unglaubliche
Molly SAUDEK schwirrt wie eine Libelle hin und zurück über eine 2 m hohe
waagrechte Stange. Während der Episode der Zähmung des wilden Pferdes
Luzifer durch Háry János macht Maxime PERVAKOV halsbrecherische Sprünge
auf einen Trampolin. Hinreißend!
Der
Erfolg der Aufführung war durch Gérard DEPARDIEU, den Sprecher des Háry
János, garantiert, der dem Aufschneider Format verlieh und abwechselnd
tobend, abwechselnd bittend seine Abenteuer vortrug. Micha LESCOT spielte
den Studenten, der zwischen Zweifel und Bewunderung diese andächtig anhört.
Bela PERENCZ als stimmgewaltiger und liebevoller Háry und Nora GUBISCH,
die der Ilka ihren samtenen Mezzo lieh und liebevoll auf ihren Háry wartete,
stachen unter den Sängern hervor.
Auch
die kleinen Rollen waren gut besetzt: Zita VÁRADI, Lucia M. SCHWARTZ,
Erik FREULON und Istvan ROZSOS. Der CHOR DER OPER MONTPELLIER (Leitung
Christophe TALMONT) und der Kinderchor (Leitung Valérie SAINTE AGATHE)
trugen bestens zu der sehr gelungenen Aufführung bei. wig.
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