"SEMELE"- 8. Februar 2004

Händels „Semele“ ist ein eigentümliches Werk. Halb Oper, halb Oratorium, wurde „Semele“ eine als englisches Oratorium verkleidete neapolitanische Oper genannt, was auch stimmt. Händel schrieb seine letzte Oper 1744 nach einer Serie von 36 italienischen Opern und ebenso vielen Jahren praktisch ungeteilter Herrschaft über die Londoner Opernszene. Von den Vertretern der englischen Musik (vor allem John Gay und Richard Steele) angegriffen, die das Kastratentum und die melodische italienische Sprache verabscheuten, schwenkte Händel auf biblische Texte in englischer Sprache um und schuf das englische Oratorium (u.a. „Judas Maccabaeus“, „Messias“).

Er konnte sich aber nicht über seinen Schatten springen und schreib eine mythologische Oper mit halsbrecherischen Koloraturen und einem Kastraten auf einen englischen Text, eben diese „Semele“. Das ursprünglich von William Congrave nach Ovids „Metamorphosen“ für einen gewissen John Eccles gebastelte Libretto (dessen „Semele“ nie aufgeführt und erst im 20. Jahrhundert entdeckt wurde), ist dieses allerdings eines der Absurdesten, das je über die Bretter gegangen ist (im Vergleich dazu, ist „La Forza del destino“ eine glasklare Geschichte.). Die Götter agieren hier sehr menschlich, ein Seitenhieb auf das nicht sonderlich hoffähige Leben des Königs George II., der mehr bei seiner Mätresse in Hannover als in London weilte.

Jupiter wirft sich, nach seinen Abenteuern mit Europa, auf ihre Nichte Semele, die gerade den etwas beschränkten Prinzen Athamas heiraten soll, auf den aber partout ihre Schwester Ino scharf ist. Juno ist natürlich wieder einmal sehr sauer auf ihren Göttergatten. Sie nimmt deshalb die Form der nicht sonderlich klugen Ino an, um Semele zu überreden, daß sie von Jupiter verlangen solle, in seiner ganzen göttlichen Pracht und Herrlichkeit zu erscheinen, was aber natürlich einer Sterblichen nicht gut bekommt. Deshalb will sie auch gleich unsterblich werden. Semele verbrennt am Anblick Jupiters und schließlich kommt Apollo, um Ino dem unbeholfenen Athamas zu zuführen.

Dieses dramatisch einigermaßen chaotische Hybrid zwischen Oper und Oratorium zu inszenieren, ist keine einfache Angelegenheit. Die Pariser Produktion spielte in einem Einheitsbühnenbild, das von Sir Christopher Wren (Erbauer der Saint Paul’s Cathedral) entworfen hätte sein können: Tanya McCALLIN baute einen weißen Halbrund einer klassischen Kuppel mit einem Balkon rund herum (auf dem der Priesterchor oft agiert) und einigen Versatzstücken. In diesem einfachen Dekor führt David McVICAR die Sänger und den sehr aktiven Chor übersichtlich und kohärent mit Geschick und Geschmack, wobei die gelungene Beleuchtung von Paule CONSTABLE hilft. Brigitte REIFFENSTUEL entwarf die hinreißend schönen Rokoko-Kostüme - Ino und Iris sind besonders brillant gekleidet.

Jupiter war Richard CROFT, der seinen stupenden Tenor dem nicht sonderlich geschickten Göttervater lieh und die irren Koloraturen brillant sang. Die etwas kopflose Semele war bei Annick MASSIS bestens aufgehoben. Sicher eine der schwierigsten Koloraturrollen überhaupt, die Arien reihen sich wie auf einer Perlenketten. Stimmlich umwerfend, war sie darstellerisch etwas geziert, was aber hier aber nicht stört.

Die neidige Schwester Ino fand in Charlotte HELLEKANT eine meisterhafte Interpretin, die von Sarah CONNOLLY als Juno bisweilen „doubliert“ wird. Beide waren in ihren violett-goldenen Kostümen eine Augenweide. König Cadmus, der von den Vorgängen etwas überraschte Vater, war David PITT-SINGER, dessen warmer und gut geführter Baß der Rolle passende Akzente gab. Er sang auch die kleine Rolle des Somnus (dessen dramatische Funktion nicht sonderlich klar ist) mit einer schönen Arie.

Der Countertenor Stephen WALLACE hatte die Partie des tollpatschigen Prinzen Athamas inne und wurde den Anforderungen blendend gerecht (schöne synkopierte Arie „Your tuneful voice“). Die entzückende schwarze Sopranistin Claron McFADDEN in brillanter Robe sang und spielte die auch nicht klar definierte Rolle der Iris sehr hübsch. Marion HAROUSSEAU als Cupido, als kleiner Marquis in weinrotem Brokatkostüm verkleidet, sang zwar hinreißend, mußte aber die Blindheit des Liebesgottes durch Taumeln darstellen, wobei man eher an Trunkenheit dachte. Andrew TORTISE kam am Schluß als Deus-ex-machina ganz in Gold vom Himmel herunter und sang gut seine Arie.

Das ganze Spektakel war unter der Leitung von Marc MINKOWSKI. An der Spitze seiner Truppe LES MUSICIEN DU LOUVRE - GRENOBLE übertrafen sie sich selbst. Das Orchester meisterte die sehr differenzierte Partitur, der CHOR (alle in Frack) sang und spielte brillant. Große Begeisterung des Publikums, wenngleich die Oper an ihrer Länge leidet (fast 4 Stunden), die durch Reduzierung der da capo-Wiederholungen behoben werden könnte. Wig.