Händels
„Semele“ ist ein eigentümliches Werk. Halb Oper, halb Oratorium, wurde
„Semele“ eine als englisches Oratorium verkleidete neapolitanische Oper
genannt, was auch stimmt. Händel schrieb seine letzte Oper 1744 nach einer
Serie von 36 italienischen Opern und ebenso vielen Jahren praktisch ungeteilter
Herrschaft über die Londoner Opernszene. Von den Vertretern der englischen
Musik (vor allem John Gay und Richard Steele) angegriffen, die das Kastratentum
und die melodische italienische Sprache verabscheuten, schwenkte Händel
auf biblische Texte in englischer Sprache um und schuf das englische Oratorium
(u.a. „Judas Maccabaeus“, „Messias“).
Er
konnte sich aber nicht über seinen Schatten springen und schreib eine
mythologische Oper mit halsbrecherischen Koloraturen und einem Kastraten
auf einen englischen Text, eben diese „Semele“. Das ursprünglich von William
Congrave nach Ovids „Metamorphosen“ für einen gewissen John Eccles gebastelte
Libretto (dessen „Semele“ nie aufgeführt und erst im 20. Jahrhundert entdeckt
wurde), ist dieses allerdings eines der Absurdesten, das je über die Bretter
gegangen ist (im Vergleich dazu, ist „La Forza del destino“ eine glasklare
Geschichte.). Die Götter agieren hier sehr menschlich, ein Seitenhieb
auf das nicht sonderlich hoffähige Leben des Königs George II., der mehr
bei seiner Mätresse in Hannover als in London weilte.
Jupiter
wirft sich, nach seinen Abenteuern mit Europa, auf ihre Nichte Semele,
die gerade den etwas beschränkten Prinzen Athamas heiraten soll, auf den
aber partout ihre Schwester Ino scharf ist. Juno ist natürlich wieder
einmal sehr sauer auf ihren Göttergatten. Sie nimmt deshalb die Form der
nicht sonderlich klugen Ino an, um Semele zu überreden, daß sie von Jupiter
verlangen solle, in seiner ganzen göttlichen Pracht und Herrlichkeit zu
erscheinen, was aber natürlich einer Sterblichen nicht gut bekommt. Deshalb
will sie auch gleich unsterblich werden. Semele verbrennt am Anblick Jupiters
und schließlich kommt Apollo, um Ino dem unbeholfenen Athamas zu zuführen.
Dieses
dramatisch einigermaßen chaotische Hybrid zwischen Oper und Oratorium
zu inszenieren, ist keine einfache Angelegenheit. Die Pariser Produktion
spielte in einem Einheitsbühnenbild, das von Sir Christopher Wren (Erbauer
der Saint Paul’s Cathedral) entworfen hätte sein können: Tanya McCALLIN
baute einen weißen Halbrund einer klassischen Kuppel mit einem Balkon
rund herum (auf dem der Priesterchor oft agiert) und einigen Versatzstücken.
In diesem einfachen Dekor führt David McVICAR die Sänger und den sehr
aktiven Chor übersichtlich und kohärent mit Geschick und Geschmack, wobei
die gelungene Beleuchtung von Paule CONSTABLE hilft. Brigitte REIFFENSTUEL
entwarf die hinreißend schönen Rokoko-Kostüme - Ino und Iris sind besonders
brillant gekleidet.
Jupiter
war Richard CROFT, der seinen stupenden Tenor dem nicht sonderlich geschickten
Göttervater lieh und die irren Koloraturen brillant sang. Die etwas kopflose
Semele war bei Annick MASSIS bestens aufgehoben. Sicher eine der schwierigsten
Koloraturrollen überhaupt, die Arien reihen sich wie auf einer Perlenketten.
Stimmlich umwerfend, war sie darstellerisch etwas geziert, was aber hier
aber nicht stört.
Die
neidige Schwester Ino fand in Charlotte HELLEKANT eine meisterhafte Interpretin,
die von Sarah CONNOLLY als Juno bisweilen „doubliert“ wird. Beide waren
in ihren violett-goldenen Kostümen eine Augenweide. König Cadmus, der
von den Vorgängen etwas überraschte Vater, war David PITT-SINGER, dessen
warmer und gut geführter Baß der Rolle passende Akzente gab. Er sang auch
die kleine Rolle des Somnus (dessen dramatische Funktion nicht sonderlich
klar ist) mit einer schönen Arie.
Der
Countertenor Stephen WALLACE hatte die Partie des tollpatschigen Prinzen
Athamas inne und wurde den Anforderungen blendend gerecht (schöne synkopierte
Arie „Your tuneful voice“). Die entzückende schwarze Sopranistin Claron
McFADDEN in brillanter Robe sang und spielte die auch nicht klar definierte
Rolle der Iris sehr hübsch. Marion HAROUSSEAU als Cupido, als kleiner
Marquis in weinrotem Brokatkostüm verkleidet, sang zwar hinreißend, mußte
aber die Blindheit des Liebesgottes durch Taumeln darstellen, wobei man
eher an Trunkenheit dachte. Andrew TORTISE kam am Schluß als Deus-ex-machina
ganz in Gold vom Himmel herunter und sang gut seine Arie.
Das
ganze Spektakel war unter der Leitung von Marc MINKOWSKI. An der Spitze
seiner Truppe LES MUSICIEN DU LOUVRE - GRENOBLE übertrafen sie sich selbst.
Das Orchester meisterte die sehr differenzierte Partitur, der CHOR (alle
in Frack) sang und spielte brillant. Große Begeisterung des Publikums,
wenngleich die Oper an ihrer Länge leidet (fast 4 Stunden), die durch
Reduzierung der da capo-Wiederholungen behoben werden könnte. Wig.
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