Die
wirkliche Sensation des Mariinski-Gastspiels war natürlich Rubinsteins
“Dämon”! In Paris wurde diese Oper nämlich nur ein einziges Mal 1911 auf
Französisch im Théâtre Sarah Bernhardt (jetzt Théâtre de la Ville, gegenüber
vom Châtelet) gespielt. Außerhalb Rußland sind uns nur zwei Produktion
in den letzten Jahren bekannt – vor einigen Jahren bei den Festivals in
Wexford und Bregenz.
Anton
Rubinstein (1829-1894) war ein Wunderkind, und mit zehn Jahren triumphierte
er als Pianist auf Konzertreisen nicht nur in Rußland, sondern auch in
ganz Europa und Amerika (über 200 Konzerte in acht Monaten!!). Mendelssohn
und Meyerbeer bewunderten ihn. Er studierte Komposition in Berlin bei
Siegfried Dehn, der schon Glinkas Lehrer gewesen war. Als er 1849 mit
zwanzig nach Petersburg zurückkehrte, rief er zur Bildung eines russischen
Konservatoriums auf, denn um Komposition zu studieren, mußte man ins Ausland
gehen. Er erreichte das schließlich und das Petersburger Konservatorium
wurde 1862 gegründet. Einer der ersten Schüler war Tschaikowski. Rimski-Korsakoff
war einer der ersten Professoren für Komposition und Harmonielehre. Konservatorien
wurden auch in Moskau und anderen Städten gegründet. Seinem Bruder, dem
Pianisten und Dirigenten Nikolai Rubinstein, vertraute er die Direktion
des Moskauer Konservatoriums an, der dort u.a. die Uraufführung von “Eugen
Onegin” leitete.
Rubinstein
schrieb als wirklicher Kosmopolit Werke in allen Sprachen und Stilen und
hat sehr viel komponiert, u.a. siebzehn Opern, sechs Symphonien, sechs
Klavierkonzerte, symphonische Dichtungen, Kantaten, über hunderfünfzig
Lieder (in allen Sprachen), Klaviermusik usw.. Nicht alles ist jedoch
erhalten und wenig ist im Repertoire geblieben. Er näherte sich der “Gruppe
der Fünf” erst spät. Cesar Cui sagte bösartig, Rubinstein sei kein russischer
Komponist, sondern ein Russe, der komponiert. “Der Dämon” wurde am 13.
Jänner 1875 in Petersburg mit riesigem Erfolg uraufgeführt, gefolgt von
mehren, sehr erfolgreichen Opern, u.a. ein “Néron” für die Pariser Oper
und “Ein Steppenkind” oder “Unter Räubern” für Wien.
Das
Thema der Erlösung durch Liebe beschäftigte die ganze Romantik (man denke
an “Faust”, “Holländer” oder “Parsifal”). Heute sagt uns der Weltschmerz
der Liebespaare in “Onegin” schon nicht mehr sehr viel. Die Unbefriedigung
mit dem Leben in eine diabolische Geschichte verpackt, ist an der Grenze
des Lächerlichen. In dem auf einem dramatischen Gedicht des siebzehnjährigen
(!) Lermontov beruhenden orientalisierenden Libretto wimmelt es von höllischen
und himmlischen Heerscharen, es trieft von sentimentaler Religiosität
und sehr larmoyanter Erlösung durch die Liebe (wo sich der Schutzengel
einmischt!). Man muß sich bisweilen sehr zurückhalten, um nicht zu lachen.
Die Oper ist heute praktisch nicht inszenierbar, wie andere, im 19. Jahrhundert
sehr beliebte, Teufelsgeschichten (z.B. “Freischütz”, “Robert le Diable”,
ja selbst die verschiedenen “Faust” Fassungen).
Die
Partitur Rubinsteins ist stark von der deutschen Romantik beeinflußt und
vereint romantische Intensität (viel Verwendung der Holzbläser), mit bisweilen
chromatischen Läufen. Es gibt auch sehr bombastische Ausbrüche, ja richtigen
Klamauk. Anderseits ist russische Folklore in die Chöre eingeflochten.
Die
beiden Hauptrollen, die Prinzessin Tamara und der Dämon, ein Luzifer ähnlicher
gestürzter Engel, sind sehr gut konzipiert und haben prächtige Arien und
Szenen. Die Oper spielt in Georgien zur Zeit der Tataren-Einfälle. Im
Prolog wird bereits der Rahmen gesetzt: nach dem Kampf der bösen und guten
Geister in einem riesigen, sehr lauten meyerbeerhaftem Chor, tritt der
Dämon auf und singt einen großen Monolog “Freudlos suche ich das Übel!”.
Die folgende, sehr schöne Chorszene der Prinzessin Tamara zu Beginn des
1. Akts verwendet ein georgisches Volkslied über den Fluß Argava und dem
darin lebenden goldenen Fisch. Das Duett des 3. Akts erinnert an das Duett
Senta - Holländer. Es ist nicht überraschend, daß der Dämon zu Schaljiapins
Paraderollen zählte. Auch die Nebenrollen sind gut gezeichnet, wie der
Prinz Sinodal (der nicht sehr lang auf der Bühne steht, er wird im 1.
Akt ermordet), der eine prächtige, sehr ausdrucksvolle Arie hat.
Valery
GERGIEV konnte die ganze Palette seines ORCHESTERS zeigen, die samtene
Seite, ebenso wie die rauschhafte Macht der an Grand Opéra erinnernden
großen Finales und Chorszenen. Der CHOR DES MARIINSKI unter Andrei PETRENKO
hat hier sehr viel zu tun und bestach wieder durch die Pracht und Präzision
der Stimmen.
Evgeny
NIKITIN dominierte in der Titelrolle. Der junge Sänger besitzt einen Baß-Bariton
von ungewöhnlicher Dichte und Ausdruck, mit der Tiefe eines schwarzen
russischen Basses und einer beeindruckenden Höhe. Sicher eine der prachtvollsten,
ausgeglichensten Stimmen, die seit Jahren aus Rußland gekommen ist. Sein
verhaltenes Spiel gibt dem Dämon einen fast sympathischen Zug. Marina
MESCHERIAKOVA besitzt die strahlende Stimme für die etwas überspannte
Prinzessin Tamara. Sie dominierte spielend die großen Chöre und drückt
die lyrischen Ergüsse mit großer Wärme aus.
Ilya
LEVINSKY hat auch hier (wie im “Goldenen Hahn”) die Kurzrolle des bald
ermordeten Prinzen Sinodal und meisterte die Traumszene mit angenehmen,
ausdrucksvollem Tenor. Der etwas lächerlichen Rolle des Schutzengels wurde
Natalia EVSTAFIEVA mit schönem angenehmem Mezzo gerecht. Nikolai OKHOTNIKOVs
prächtiger Baß war perfekt für den alten Diener des Prinzen Sinodal.
Olga
MARKOVA-MIKHAILENKO ist anscheinend für Ammenrollen abonniert, denn auch
hier lieh sie ihren warmen Mezzo der Amme Tamaras. Tamaras Vater, der
nicht sonderlich aktive Prinz Gudal, wurde von Guennady BEZZUBENKOV passend
ausgedrückt. Alexander TIMCHENKO war der Bote, der Sinodals Tod ankündigt
und der dann den resignierten Prinzen Gudal mit frischem Tenor dazu bringt,
seinen ermordeten Herrn Sinodal zu rächen.
In
Paris hatte Lev DODIN “Pique Dame” in der Bastille-Oper in ein Irrenhaus
verlegt. Ein ähnliches Fiasko war daher zu befürchten. Dodin behandelt
aber das Thema als eine menschliche Tragödie, die des in der Welt herumirrenden
Luzifer, des durch Stolz gefallenen Engels. Die düsteren oder folkloristischen
Bühnenbilder von David BOROVSKY werden innerhalb eines Rahmens einer ausgeschnittenen
russischen Kirche mit einen ausgeleuchteten Kirchturm im Hintergrund angeordnet.
Chloé OBOLENSKY steuerte die recht passenden, nicht sonderlich phantasievollen,
aber nicht überladenen Kostüme bei. Jean KALMAN zeichnete für die gute
Beleuchtung. Diese Produktion wurde im Châtelet kreiert und wird nun ins
Repertoire der Petersburger Oper aufgenommen.
Die
Personenführung Dodins ist zurückhaltend, außer wenn Tamara nach dem Tod
Sinodals völlig hysterisch durchdreht und ins Kloster geht. Der 3. Akt
im Kloster mit der Konfrontierung zwischen Tamara und dem Dämon ist sehr
gelungen, da etwas ruhiger. Die Sänger können hier ihre Persönlichkeiten
und Stimmen am besten entfalten. Vom völlig unmögliche Epilog rede man
besser nicht: Tamara liegt in einem mit weißer Seide ausgeschlagenem Sarg,
umgeben von weißen blühenden Bäumen. Ihre Seele fährt unter Engelschören
in den Himmel auf! Furchtbarer Kitsch! Wie bereits gesagt: wenn selbst
ein “enfant terrible” wie Dodin, keine Lösung findet, heißt dies, daß
die Oper uninszenierbar ist! Übrigens, hat jemand schon einen erträglichen
“Freischütz” in den letzten Jahren gesehen (außer den von André Engel
in Strasbourg und Savolinna)?
Das
Gastspiel des Mariinski Theaters war ein beispielloser Triumph. Wir hoffen
auf ein weiteres Gastspiel, mit anderen, weniger bekannten russischen
Opern. Der Direktion kann man nur gratulieren, dieses Experiment gewagt
zu haben! wig.
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