Tschaikowski
war 1891 auf dem Höhepunkt seines Ruhms. Nach einer sehr erfolgreichen
Konzertreise durch die Vereinigten Staaten, der Wahl in die französische
“Académie des Beaux Arts” und einem Ehrendoktorat der Universität Cambridge
schien alles im besten Licht. In dieser Verfassung schrieb Tschaikowski
“Iolanta”, die einzige seiner Opern ohne Bösewicht und mit positivem Ausgang
auf ein Libretto seines Bruders Modeste nach einen Theaterstück des dänischen
Dichters Henryck Herz. Tschaikowski schrieb seine letzte Oper gleichzeitig
mit dem Ballett “Nußknacker”. Beide Werke wurden auch am 6. Dezember 1892
im Theater Mariinski uraufgeführt.
Die
Tochter des König René der Provence, Iolanta, ist seit Geburt blind. Es
ist allen unter Todesstrafe verboten, ihr diese Blindheit zu eröffnen.
Sie ist als Kind mit Robert, dem Herzog von Burgund, verlobt worden, der
sie nie gesehen hat und sich aber inzwischen in eine andere verliebt hat.
Er kommt mit seinem Freund, dem Comte Vaudémont, um seine Verlobung zu
lösen. Vaudémont sieht die schlafende Iolanta und verliebt sich bis über
die Ohren. Als sie erwacht und Vaudémont mit ihr spricht, entdeckt er
ihr Handicap. Als sie fragt “Was ist Licht?”, erklärt er es ihr. Die beiden
werden überrascht, und René erfährt zu seinem Schrecken, dass Vaudémont
ihr vom Licht gesprochen hat. Doch der maurische Arzt Ibn-Hakia verspricht,
sie zu heilen, wenn sie genesen will. Da König René droht, an Vaudémont
die Strafe zu vollziehen, entschließt sich Iolanta zu der Behandlung.
Nach kurzer Zeit erhält Iolanta das Augenlicht, und Robert löst seine
Verlobung, so daß Iolanta für Vaudémont frei ist. Die Oper endet in allgemeinem
Jubel.
Interessant
ist der poetische Text und die psychologische Situation Iolantas: das
Problem der “Mitarbeit” des Kranken, der Wunsch zur Heilung wird ja heute
in medizinischen Kreisen sehr viel diskutiert. “Du brauchst nur brennend
wünschen, das Licht zu sehen”, erklärt der maurische Arzt, aber redet
sich auch auf Allah aus, doch eine Bemerkung läßt an die Psychoanalyse
denken: “Alles ist Fleisch und Geist und weiter Nichts ist rein physisch,
auch das Augenlicht nicht.”
Tschaikowski
schrieb eine sehr dichte, aber auch sehr durchsichtige Partitur. Die einaktige
Oper (90 Minuten) besteht aus neun Szenen und enthält nur wenige Chöre,
aber dafür einige ausgesprochen dankbare Sängerrollen. Im Gegensatz zu
seinen früheren Opern, werden wenige Leitmotive verwendet. Die Orchestrierung
ist sehr ausgefeilt, und die drei letzten Szenen sind durchkomponiert.
Umso unverständlicher ist, daß dieses besonders schöne und gelungene Werk
im Westen so wenig gespielt wird.
Diesmal
waren im Rahmen der “Russischen Saison” die PETERSBURGER PHILHARMONIKER
unter ihrem Chef Yuri TEMIRKANOW zu Gast. Es ist das älteste und berühmteste
Orchester Rußlands, das fünfzig Jahre lang (von 1938 bis 1988) von Evgeny
Mrawinski geleitet wurde. Die ungewöhnliche Homogenität des Orchesters
ist nach wie vor bestechend. Der CHOR VON RADIO FRANCE unter der Leitung
von Vladislav TCHERNUCHENKO sang die zwei kleinen Frauenchöre zu Beginn
und die große Apotheose am Schluß mit großem Einsatz.
Die
Besetzung bestand aus den besten Sängern, die Rußland heute zu bieten
hat. Die Titelrolle sang Marina MESCHERIAKOVA mit Innigkeit, aber auch
mit dramatischer Kraft in ihrem prächtigen Duett mit Vaudémont. Für die
Rolle ihres Vaters König René, sprang Sergei ALEXACHINE ein und sang mit
profundem schwarzen Baß seine wunderbare große Arie (mit Baßklarinette!),
die auf dem selben Niveau wie die Gremin-Arie in “Eugen Onegin” ist. Den
zynischen Herzog Robert sang Dmitri HVOROSTOVSKY als schöner Mann mit
viriler Kraft und einer Stimme, die allen Damen Tränen entlockte.
Gegam
GRIGORIAN war ein feuriger Graf Vaudémont. Sein Prachttenor ist der schweren
Partie völlig gewachsen, die in die selbe Kategorie wie Hermann der “Pique
Dame” gehört und sehr viel anstrengender als Lenski ist. Sergei LEIFERKUS
sang den maurischen Arzt Ibn-Hakia mit seinem ausdrucksvollen Bariton
und ernstem und weisem Ausdruck, bewußt seines Wissens. Den Boten Almeric
sang Tomasz KRYSICA mit gepflegten Tenor, während Albert SCHAGIDULLIN
dem Diener Bertrand seinen kräftigen Baß lieh. Mit schönem Alt war Elena
MANISTINA eine besorgte Amme Martha, und Ekaterina SOLOVIOVA und Irina
DOLJENKO die beiden hübsch singenden Freundinnen Iolantas.
Eine
absolut perfekte Aufführung, die das Publikum mit enthusiastischem Applaus
belohnte. wig.
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