Für
die “Russische Saison” das Mariinski Theater einzuladen, war natürlich
eine brillante Idee. Der russische Wirbelsturm des Mariinski Theaters
unter der Leitung von Valery GERGIEV mit Chor, Orchester und Kulissen
ist über Paris eingebrochen: Je fünf Aufführungen von “Onegin” und Rubinsteins
“Dämon”, eine konzertante “Pique Dame”, plus ein Konzert. All das in zwei
Wochen!
Maestro
Gergiev, in Paris liebevoll “der Steppenwolf” genannt, und sein Orchester
hatten nicht viel Zeit für Tourismus und Museen! “Eugen Onegin” war allerdings
nicht wirklich notwendig, zumal diese Oper in zwei Monaten in der Bastille-Oper
in einer – etwas tiefgekühlten - Inszenierung von Willy Decker wieder
gespielt wird. Seit der Eröffnung der Bastille-Oper vor zwölf Jahren gab
es bereits zwei Produktionen der “Pique Dame” (die letzte von Lev Dodin),
die vorige Saison gespielt wurde. Auch wenn Dalayman, Domingo und Obratsova
sangen, war diese konzertante Aufführung kaum gerechtfertigt. Eine Glinka-
oder Dagomirski-Oper, ein wenig bekannter Tschaikowski oder Rimski-Korsakoff
oder eine Prokofieff-Oper - Gergievs Paradestücke - wären interessanter
gewesen. Trotzdem hat Marschall Gergiev mit seinen Truppen Paris im Sturm
erobert.
Man
muß beobachten, wie Valery Gergiev sein ORCHESTER und die Bühne zu solchen
Triumphen führt. Er dirigiert ohne Taktstock, so daß der rechte kleine
Finger anscheinend der wichtigste ist, denn mit einem Wink dieses Fingers
kommen die perfekten Einsätze, die großen Tonkaskaden. Das Orchester beobachtet
seinen Chef ständig und folgt ihm eben mit dem kleinen Finger. Das Resultat
sind sehr straffe Tempi, wobei die Walzer und Mazurken nicht zu kurz kommen.
Nie verfällt Gergiev in die weit verbreitete, larmoyante Schmalzigkeit.
Der CHOR DES MARIINSKI THEATERS ist unglaublich homogen, die Stimmen in
perfekter Harmonie, von Andrei PETRENKO hörbar bestens geführt.
Nur
Gergiev kann sich leisten, eine Repertoire-Oper wie “Eugen Onegin” mit
sehr jungen Sängern auf die Bühne zu stellen. Die Sänger der beiden Liebespaare
waren alle vier unter dreißig und einfach hinreißend. Eigentlich sollte
die Oper ja “Tatjana” heißen (Dostojewski war schon dieser Meinung), denn
die weibliche Hauptrolle steht im Mittelpunkt des Werks. Tatiana PAVLOVSKAYA
hat alle Qualitäten dafür: ihre Briefszene war phantastisch, sie singt
mit strahlendem, aber warmem Sopran und spielt das schüchterne junge Mädchen
der Landbourgeoisie mit verhaltenem Charme, ebenso wie die Großfürstin
Gremin mit kühler Herablassung. Die Rolle ihrer Schwester Olga – sehr
oft vernachlässigt - stattete die junge Mezzosopranistin Ekaterina SEMENTCHUK
mit Persönlichkeit aus. Sie singt nicht nur prächtig, sie spielt auch
das flirtende Gänschen mit jugendlichem Charme.
Den
zynischen Dandy Onegin spielte Vladimir MOROZ im 1. Akt ebenso überzeugend,
wie den feurigen, verzweifelten Liebhaber am Ende der Oper. Seinen schönen,
warmen und ausgeglichenen Bariton führt er mit Eleganz. Der Lenski von
Daniil SHTODA besticht durch die Brillanz seines herrlichen Tenors, der
seinem Spleen und seiner Eifersucht freien Lauf läßt. Nur sein Frack war
zu eng für ihn (er war nicht in der ursprünglich vorgesehenen Besetzung).
Seine große Arie vor dem Duell wurde mit Recht gefeiert. Beide Herren
werden sicher noch mehr in diese Rollen hineinwachsen, denn bisweilen
fehlt ihnen noch die Persönlichkeit, eine gewisse Dichte der Figuren.
Den
Fürsten Gremin sang Mikail KIT mit Würde und Herz. Svetlana VOLKOVA mit
schöner Stimme war als Madame Larina eine besorgte Familienmutter, mehr
als die sonst oft farblose alte Dame. Olga MARKOVA-MIKHAILENKO war eine
gutherzige Amme Filipievna. Jean-Paul FOUCHÉCOURT war der einzige Nichtrusse,
der, mit passender Lächerlichkeit für die Rolle, dem Monsieur Triquet
seine schöne Stimme für das Couplet lieh. Mikail PETRENKO war rollendeckend
als Saretzki und Hauptmann.
Die
Inszenierung aus Sankt Petersburg hatte dort am 14. August 2002 während
des “Festivals der weißen Nächte” Premiere und wurde vom französischen
Team Patrice CAURIER und Moshe LEISER betreut. Vor allem in Lyon und Genf
tätig, waren auch mehrere ihrer Produktionen in Paris bereits zu sehen.
Sie haben sich sichtlich sehr präzise mit der Personenführung der jungen
Sänger befasst, was ein ausgezeichnetes Resultat ergab. Das einfache Bühnenbild
von Christian FENOUILLAT bestand aus zwei weißen, versetzbaren Wänden,
wenn nötig mit Türen oder Aussparungen ergänzt. Nach Bedarf liegt Schnee
(am Ende der Oper), Kronleuchter hängen vom Schnürboden (für die Ballszene)
oder ein Blick auf ein Birkenwäldchen eröffnet sich (zu Beginn der Oper);
das ist einfach und effizient und keine Firlefanz. Die Sänger sind von
Agostino CAVALCA in passende, aristokratische Kostüme gekleidet, was die
Ambiente in den richtigen eleganten Rahmen verlegt. Christophe FOREY leuchtete
die Szene passend aus.
Triumphaler
Beifall für die jungen Sänger und den großen Maestro. wig.
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