Direktor
J. P. Brossmann des Théâtre du Châtelet kann stolz sein auf seine sehr
erfolgreiche und hoch interessante „Russische Saison“. Diese endete mit
einem Gastspiel der Oper Bordeaux im Rahmen des alljährlichen „Festival
des Régions“ mit dieser im Westen so gut wie unbekannten Oper Rimski-Korsakows.
Rimski-Korsakow
hat nicht nur den „Hummelflug“ und „Scheherazade“ geschrieben, sondern
auch symphonische Dichtungen, zahllose Lieder und dreizehn Opern. Die
neunte Oper „Die Zarenbraut“ ist eine Abkehr von seinen nationalistischen
Freunden der „Gruppe der Fünf“ und eine Rückkehr zur Nummern-Oper. Tschaikowski
hatte in der russischen Opernliteratur diese Form zum Höhepunkt geführt.
Die entschiedene Abkehr vom deutschen Einfluß - keine Leitmotive mehr
- ist durch die betont russische musikalische Sprache unterstrichen. Die
sehr ausdrucksvolle und ausgefeilte Instrumentierung, mit weitgehend solistischer
Verwendung der Holzbläser, ist auch durch ausdrucksvolle musikalische
Ideen gekennzeichnet, wie das synkopierte, absteigende Schritt- Motiv
des Duetts Liubacha - Grigorii des 1. Akts. „Die Zarenbraut“ ist zwar
keine folkloristische Oper, doch die Chöre sind sehr von russischer Volksmusik
beeinflusst. Wenn immer der Zar erwähnt wird, ertönt die Zarenhymne „Slava“,
bisweilen nur kurz angedeutet. Wenn noch notwendig, ist der Beweis erbracht,
daß Rimski-Korsakows Opern denen seiner Zeitgenossen völlig ebenbürtig,
in vielen Fällen haushoch überlegen sind.
Das
melodramatische Libretto vereint geschickt volkstümliche Liebesgeschichte
und historische Handlung. Die Geschichte der jungen Marfa, die am Tag
ihrer Verlobung vom Zaren zur Frau gewählt wird, und die dann an den Intrigen
des Bojaren Grigori Griaznoi und dessen Mätresse Liubacha zu Grunde geht,
gibt den Rahmen der Oper. Die Begebenheiten unter dem Zaren Ivan dem Schrecklichen
(er erscheint kurz im 2. Akt nur als stumme Person), der mit Folter, Gift
und Mord ein von Aberglauben und Terror verschrecktes Volk von skrupellosen
Bojaren unterdrücken ließ, dienen als Hintergrund der Handlung. Rimski
schrieb mit Ilya Tiumenev selbst den Text nach einem Stück von Lev Mey,
der schon 25 Jahre vorher für seine erste Oper „Pskovityanka“ (oder „Ivan
der Schreckliche“) den Stoff geliefert hatte.
„Die
Zarenbraut“ wurde im Sommer und Herbst 1898 komponiert und am 22. 10.
1899 in der Privatoper des Mäzens Savva Mamontov uraufgeführt. Im Mai
1911 wurde „Die Zarenbraut“ im Pariser Théâtre Sarah Bernhard im Westen
erstmals aufgeführt (damals wurde auch Rubinsteins „Dämon“ erstmalig gegeben)
und hier nie mehr wieder gespielt. Es ist keine Kleinigkeit, diese Oper
auf die Bühne zu bringen und reisefertig zu machen. Das Bühnenteam, Temur
TSCHKEIDZE (Regie), Georgi ALEXI-MESKHISHVILI (Bühnenbilder und Kostüme)
und Nicolas SIMONIN (Beleuchtung) löste das Problem durchaus zufriedenstellend.
Die fast leere, immer von einer Ikone oder einem drohenden Zarenbild beherrschte,
Bühne war mit angedeuteten Zwiebeltürmen und einfachen Versatzstücken
vervollständigt. Die prächtigen Kostüme waren einfach „folkloristisch“,
ohne kitschig zu sein. Die Opritchniki – Ivans GPU – in feuerroten Mänteln
waren besonders eindrucksvoll. In diesem Rahmen konnten sich die Sänger
und Chöre passend bewegen, und das Drama konnte durchaus glaubhaft dem
Besucher nahe gebracht werden.
Der
österreichische Dirigent Hans GRAF ist der musikalische Direktor der Oper
in Bordeaux. Er ist wie wenige Dirigenten im Westen prädestiniert für
russische Musik, da er in Wien und Leningrad studiert hat und in Leningrad
mehrere Jahre Assistent bei der berühmten Philharmonie war. Er kennt seither
diese Musik bestens und spricht auch fließend russisch. Diese Liebe und
perfekte Kenntnis wußte Graf in der Aufführung dem ORCHESTRE NATIONAL
DE BORDEAUX-AQUITAINE mitzuteilen, das seinem Chef sehr willig durch die
ungewohnte Partitur folgte. Der CHOR DER OPER BORDEAUX (Leitung Jacques
BLANC) verteidigte seine rollentragende Funktion sehr vorteilhaft, sowohl
in den schönen Frauenchören als auch in den Trinkliedern der Opritchniki.
In
der Titelrolle brillierte die junge Olga TRIFONOVA, die bereits zu Weihnachten
im „Goldenen Hahn“ triumphiert hatte. Ihr perfekt geführter Koloratursopran
ist für die Marfa ideal. Sie spielte auch die Rolle perfekt, zuerst das
charmante junge Mädchen, dann ungemein erschütternd die Wahnsinnsszene
im 4. Akt. Mikhail DAVIDOFF sang ihren Bräutigam, den jungen Bojaren Ivan
Lykov ausdrucksvoll mit heldischem Tenor, besonders wenn er im 1. Akt
seine Erlebnisse in Deutschland schildert.
Der
einzige Nicht-Russe war Ludovic TÉZIER, der den bösen Bojaren Grigori
Griaznoi mit seinem Prachtbariton höchst eindrucksvoll gestaltete. Seine
verlassene Mätresse Liubascha war bei der imposanten Elena MANISTINA (auch
schon mehrmals diese Saison zu hören) in besten Händen. Ihr trauriges
a-capella Lied des 1. Akts war erschütternd in seiner Einfachheit. Ihr
wunderbar dunkler Mezzosopran war für die Ausbrüche der Verzweiflung und
des Hasses der Liubascha perfekt, vor allem in der traurigen Arie zu Ende
des 2. Akts.
In
den Nebenrollen war Denis SEDOV ein sehr unterwürfiger, stimmgewaltiger
Sobakin, der Vater Marfas, Albert SCHAGIDULLIN ein ebenso stolzer Opritchnik
Skuratov. Dem machiavellischen Arzt Bomelius, den Lykov aus Deutschland
mitgebracht hatte, lieh Felix LIVSCHITZ seinen klaren Tenor. Irina DOLCHENKO
als Saburova sang mit Humor und angenehmem Sopran die nicht enden wollende
Beschreibung der Audienz beim Zaren. Nona JAVAKHIDZEs warmer Mezzo war
für die Rolle ihrer Tochter Duniacha passend.
Drei
Tage vorher, am 24. Juni, mußte die Vorstellung kurz vor Ende des 2. Akts
wegen einer elektrischen General-Panne abgebrochen werden. Es war umso
erfreulicher diese schöne Oper komplett zu sehen und den durchschlagenden
Erfolg des Gastspiels aus Bordeaux bei der letzten Vorstellung zu erleben.
Das dankbare Publikum feierte die Künstler mit lang anhaltendem Beifall
und vielen Vorhängen. wig.
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