Manche
Opern sind heute schwer auf die Bühne zu bringen. Man muß dem Châtelet
hoch anrechnen, die “Russische Saison” mit dieser polnischen Oper konzertant
vervollständigt und in einer mustergültigen Aufführung gebracht zu haben.
Die Oper wurde übrigens vor etwa zwanzig Jahren in Paris auch nur konzertant
gespielt. Ehrlich gesagt, ich kann mir schwer vorstellen, “König Roger”
auf der Bühne zu sehen, die ich vor vier Jahren bei einem längeren Besuch
in Warschau “fast” gesehen hätte, wenn nicht zwei der drei Hauptdarsteller
krank geworden wären. Die symbolistische, pantheistische Thematik, sehr
in der Jugendstil-Ästhetik verankert, ist heute etwas schwer verdaulich.
Was nicht heißt, daß es sich nicht um ein wichtiges und interessantes
Werk handelt, im Gegenteil.
Karol
Szymanowski (1882-1937) ist einer der profiliertesten und ergiebigsten
Komponisten des 20. Jahrhunderts. Er war auch Schriftsteller und schrieb
während des 1. Weltkriegs einen großen Roman “Ephebos”. Sehr weit gereist
hatte Szymanowski immer den Drang nach dem Süden gefühlt und vor dem 1.
Weltkrieg lange Reisen durch Frankreich, England, Deutschland, Österreich
und dem Mittelmeerraum gemacht, und hier besonders Italien, Sizilien,
Nordafrika und Griechenland besucht. Er hat vier Symphonien, Kantaten,
zahlreiche Lieder, Kammermusik, Ballette und mehrere Opern geschrieben.
Außerdem hatte er eine ausgesprochene Vorliebe für hellenistische und
mittelalterliche Vorlagen. Zahlreiche seiner Chorwerke sind auf griechische
oder lateinische Texte geschrieben, während er in seinen frühen Liedern
polnische, aber auch deutsche, Gedichte vertonte (u.a. von Dehmel und
Bierbaum). 1917 mußte er aus seiner ukrainischen Heimat flüchten und ließ
sich in Ielisavetgrad nieder. Hier traf er 1918 mit seinem Neffen, dem
Dichter Jaroslaw Iwaszkiewicz, zusammen, mit dem er “König Roger” konzipiert.
Am Ende der zwanziger Jahre setzte er sich für eine Erneuerung der polnischen
Musik ein, was ein Reihe typisch polnischer Werke ergab und in seinen
Lieder nur mehr polnische Texte verwandte.
Dank
seiner zahlreichen Reisen nach Paris, kam er mit Diaghilev in Verbindung
und lernte Ravel und Debussy kennen. Musikalisch ist er daher stark vom
französischen Impressionismus, dem Ballett, aber auch von Mahler und R.
Strauss beeinflußt. Der polnische Komponist hat auch dem damals – vor
allem in Italien um Respighi - verbreiten Archaismus gefrönt. Es gibt
aber keine Puccini‘schen “Ohrwürmer”. Die Anspielung im “König Roger”
auf die “Bacchanten” von Euripides ist daher ebenso wenig zufällig, wie
die auf Ravels “Daphnis” et Chloé oder Debussys “Martyre de Saint Sébastien”.
Dionysos tritt hier als Hirt auf und ein etwas irrealer Pantheismus umgibt
das Werk. Die Rolle des Königs verschleiert auch dessen Homosexualität.
Pasolini hat diese Problematik zum Paroxysmus gebracht in seinem Film
“Theorem”, in dem ein schöner Ephebe eine ganze Familie, Mutter, Vater,
Tochter und Sohn, verführt. Szymanowskis lange verdrängte Homosexualität
wurde erst in den dreißiger Jahren offenbar. Er starb erst fünfundfünfzigjährig
in einer Klinik in Lausanne an Tuberkulose.
“König
Roger” ist Szymanowskis reifstes Bühnenwerk. Er war von König Roger II.
von Sizilien fasziniert und schrieb selbst das originale Libretto mit
Jaroslaw Iwaszkiewicz, der sich aber bald vom Symbolismus abwandte und
das Handtuch warf. Der Komponist schrieb den Text des 3. Akts alleine.
Die nur 90-Minuten Oper wurde im August 1924 fertiggestellt, und die Uraufführung
in Warschau fand am 19. Juni 1926 statt. Drei Hauptpersonen - König Roger,
seine Frau Roxana und der Hirt - beherrschen die statische und einigermaßen
krause Handlung. Ein besonders sturer Erzbischof und eine ziemlich hysterische
Äbtissin, die den Hirten der Häresie bezichtigen, umgeben sie, sowie ein
maurischer Weiser Edrisi, der den König beruhigen will.
Mit
einem antikisierenden byzantinischen Chor (in lateinischer Sprache) zieht
der König und sein Gefolge in die Kathedrale von Palermo ein, sofort gefolgt
von der Anklage der beiden Kirchengrößen. Der schöne Hirten-Ephebe verteidigt
sich, daß er nur Schönheit und Liebe predige: “Mein Gott ist auch so schön
wie ich!” Roxana ist sichtlich von ihm angezogen. Auch Roger kann sich
einer Attraktion nicht erwehren. Er schickt den Hirten zurück in seine
Berge, lädt ihn aber noch für den Abend in seine Burg. Zu Beginn des 2.
Akts bittet Roxana für den Hirten in einem strahlenden Nachgesang mit
Chor, der in seiner Dramatik an “Elektra” erinnert. Der Hirt kommt vor
den König und berichtet ihm, daß sein Kult bereits bis Indien reiche:
“Sie glauben an meiner Augen Glanz, den Du fürchtest.” Ein orgiastischer
Tanz seiner Jünger im 6/8-Takt, dem sich Roxana anschließt, verweist auf
Szymanowskis Pariser Zeit – Ravel und Debussy sind nicht weit. Auf Rogers
Befehl wird der Hirt gefesselt, der aber sofort die Fesseln sprengt mit
dem Ruf “Wer frei ist, folge mir!” Alle – einschließlich Roxana - ziehen
tanzend ab, nur Roger und Edrisi verbleiben. Roger wirft Krone und Szepter
weg und beschließt, den Bacchanten zu folgen. Der 3. Akt beginnt mit einem
großen Monolog Rogers vor einem brennenden Opferaltar, in dem er sich
über den Sinn der Macht fragt. Er ruft Roxana, die nach beklemmendem Schweigen
unter leichtem Trommelwirbel und Streicher-Glissandi antwortet. Nach einem
sehr dichten Duett zwischen dem Herrscherpaar erscheint der spurlos verschwundene
Hirt als Dionysos, der Gott von Schönheit, Freuden, Lust und Freiheit.
Er ruft zum ewigen Rausch auf. Der Chor der Bacchanten und Mänaden, von
denen Roxana eine ist, fällt in einem riesigen Ensemble ein. Nach dem
Erlöschen des Feuers schließt die Oper in einem ergreifenden Gesang Rogers
an die Sonne mit einem tiefen C-Dur Akkord.
Die
Koproduktion mit der französischen Rundfunkstation wurde vom ORCHESTRE
PHILHARMONIQUE DE RADIO FRANCE und den RADIO-CHÖREN bestritten. Jukka-Pekka
SARASTE hatte vorbildlich die schillernde Sensualität der Musik herausgearbeitet.
Er brachte ebenso die sinnlichen Stellen, wie die großen Ausbrüche bestens
zur Geltung. Norbert BALATSCH hatte den Chor und Toni RAMON den Kinderchor
brillant einstudiert – alles auf Polnisch!
Für
Thomas Hampson, der kurzfristig abgesagt hatte, sprang Wojtek DRABOWICZ
ein. Er war zufällig in Straßburg tätig und hatte die Rolle bereits auf
der Bühne gesungen. Er war wahrlich keine Enttäuschung, zumal er in seiner
Muttersprache sang, was sicher auch ein Vorteil war. Seine große, breite,
sehr kultivierte und ausgeglichene Stimme füllte mühelos das Theater auch
bei den fortissimo Stellen. Die zwiespältige Rolle der Roxana, die sich
Dionysos anschließt, wurde von Tatiana Maria POZARSKA mit prächtigem jugendlich-dramatischem
Sopran sehr ergreifend und dramatisch dargestellt.
Ryszard
MINKIEWICZ sang die mörderische Tenorrolle des Hirten Dionysos, wie Richard
Strauss sie hätte schreiben können (Bacchus oder Apollo). Der polnische
Tenor entledigte sich mit feiner Intelligenz und sehr kultivierter Stimme
der Aufgabe. Er erinnert in seiner Art sehr an den unvergessenen Julius
Patzak. Den arabischen Weisen Edrisi sang der slowakische Tenor Stefan
MARGITA, in Paris als Spezialist für slawischen Rollen geschätzt, mit
schönen Akzenten und beruhigender Stimme.
Jadwiga
RAPPé lieh ihren schönen Alt sehr passend mit bösartigen Schreien der
hysterischen Äbtissin. Sie sekundierte den fanatischen Erzbischof von
Rafal SIWEK, der mit schwarzem Baß dem Hirten seine Flüche entgegen schleuderte.
Das
Publikum war sichtlich begeistert von dem ungewöhnlichen Werk und feierte
die Künstler triumphal. Was beweist, daß man auch eine wenig bekannte
polnische Oper erfolgreich spielen kann! wig.
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