Rossinis
letzte Oper ist eine echte Rarität und wurde seit 1932 nicht mehr an der
Pariser Oper gegeben. Nicht nur in Frankreich, auch sonstwo, wird der
“Tell” nicht viel gespielt. Seit der “Wiederentdeckung” (in einer Gründgens–Inszenierung)
1952 beim Maggio Musicale in Florenz (mit Tebaldi, Becchi und Baum, unter
Mitropoulos oder Serafin), ist es auch nicht viel besser geworden. Vor
fünfzehn Jahren gab es ein paar sehr gute Vorstellungen von “Tell” mit
Lafont, Cuberli und Merritt im Théâtre des Champs Elysées. Und in Wien
wurde “Tell” vor zwei Jahren in einer sehr schönen Besetzung, aber läppischen
Inszenierung gebracht.
“Guillaume
Tell” ist – nicht ganz – ein “Grand Opéra” (im Französischen ist “Opéra”
männlich), denn er hat nur vier Akte, und nicht fünf. “Tell” ist nicht
Rossinis beste Oper, wenngleich es einige prächtige Stellen gibt, angefangen
mit dem Kuhreigen der Ouvertüre. Das Libretto von Victor-Etienne de Jouy,
bereits drei Jahre später von Hippolyte Bis “verbessert”, ist dramatisch
eher schwach. Die Premiere mußte mehrmals verschoben werden, da Mlle.
Laure Cinti-Damoureau, die Sängerin der Mathilde, schwanger war. “Guillaume
Tell” wurde schließlich am 3. 8. 1829 in der brillantesten Besetzung (Dabadie,
Cinti-Damoureau, Nourritt) in der Salle Pelletier in Paris uraufgeführt,
aber in 41 Jahren nur 128 Mal gespielt (im Vergleich dazu wurde der zwei
Jahre später uraufgeführte “Robert le Diable” Meyerbeers in der ersten
Saison 61 Mal gespielt!). Der für Rossini schwache Erfolg des “Guillaume
Tell” bewirkte, daß der Schwan von Pesaro mit 37 Jahren das Komponieren
praktisch aufgab (er lebte seit 1824 in Paris) und in den nächsten, fast
vierzig Jahren bis zu seinem Lebensende nur noch die “Petite Messe solemnelle”
und ein paar Melodien schrieb, von seinen – reichlichen – Tantiemen lebte
und … kochte.
Lange
Strecken von Rezitativen und Ariosi helfen kaum der Bühnen-Wirksamkeit
der Oper. Der Titelheld hat keine einzige wirkliche Arie zu singen, sondern
ist nur in Duetten, Terzetten und Ensembles zu hören, weshalb sich nur
wenige Baritone um die Rolle reißen. Der Rollenträger muß eine außergewöhnliche
Bühnenpersönlichkeit sein. Die weibliche Hauptrolle der Mathilde ist nicht
zu schwer, braucht aber eine sehr ausdrucksvolle Sängerin, um die Rolle
vor der Verkitschung zu retten. Der Tenorpart des Arnold ist absolut mörderisch
mit hohen “C” und “Cis” gespickt (für Adolphe Nourritt geschrieben!),
was nicht jedem Tenor gegeben ist und daher der Zahl der Aufführungen
nicht sonderlich behilflich ist. “Guillaume Tell” aufzuführen ist also
ein riskantes Unternehmen.
Die
neue Produktion war Francesca ZAMBELLO anvertraut worden. Von böse Zungen
wegen ihrer Vorliebe für die Bühnenmaschinerie der Bastille Oper “Cecile
de Mille der Oper” genannt, strapazierte sie diesmal die Technik nicht
sehr. Sehr überarbeitet hat sich Frau Zambello nicht. Da sie sehr gefragt
ist (sie hat im Februar an der Met Berlioz‘ “Les Troyens” inszeniert,
wahrlich keine Kammeroper), hat sie sich in Paris (mit zwei Regieassistenten)
aufs Wesentliche beschränkt. Die Chöre wurden sichtlich bevorzugt und
die Solisten eher sich selbst überlassen, was man bemerkte. Der Rütli-Schwur
beschränkte sich auf Fahnenschwingen. Die symbolistischen Bühnenbilder
von Peter DAVISON bestehen essentiell aus Latten, zusammengeklebt werden
Bäume heraus geschnitten, in Flächen genagelt werden daraus Wände. Von
einem besonders häßlichen grünen Hügel beobachten die Schweizer Tells
Rettung. Daneben steht auf einem ca. fünf Meter hohen, unglücklichen Gestell
ein winziges Bauernhaus (man denkt an eine Kuckucksuhr!), das im 4. Akt
abbrennt, um das Zeichen für den Aufstand zu geben.
Die
nicht immer passenden Kostüme von Marie-Jeanne LECCA, sind einzig für
die Schweizer tragbar. Mathilde erscheint im 2. Akt in einem eleganten
grünen Jagdkleid im Stil von 1830 zu ihrem Stelldichein mit Arnold. Weshalb
sie im 3. Akt in einem goldenen Renaissancekleid erscheint, ist nicht
klar. Oder warum tragen die pechschwarz gekleideten Sturm-Truppen Gesslers
Feuerwehrhelme? Die Choreographie von Blanca LI war einfallsreich, amüsant
und passend folkloristisch. Jean KALMAN steuerte die passende Beleuchtung
bei.
Zum
Glück war ein Rossini-Spezialist am Pult, Bruno CAMPANELLA, der hörbar
mächtig geprobt hatte und aus dem ORCHESTER den größtmöglichen Einsatz
herausholte. Aber auch hier stellte sich bald eine gewisse Müdigkeit ein.
Der großartige CHOR der Pariser Oper unter der Leitung von Peter BURIAN
war der große Triumphator des Abends und wurde auch am Schluß entsprechend
gefeiert.
Die
Sänger waren gut, aber kaum umwerfend. Selbst Thomas HAMPSON in der Titelrolle
habe ich schon in besserer stimmlicher Verfassung erlebt. Er gab jedoch
mit seiner hühnenhaften Statur dem Tell die nötige szenische Substanz.
Eher enttäuschend war die Mathilde der Armenierin Hasmik PAPIAN, die mit
wenig interessanter Stimme zwar alle Noten sang, aber darstellerisch und
ausdrucksmäßig kaum überzeugen konnte.
Die
schreckliche Rolle des Arnold war für Marcello GIORDANI viel zu anstrengend.
Er hat außerdem die arge Tendenz, zu tief zu singen, was in der großen
Arie des 4. Akts “Asile héréditaire” die Grenzen des Erträglichen erreichte.
Schade! Sehr positiv fiel dafür der französische Nachwuchs auf, in der
Person zweier junger Sängerinnen.
Gaële
LE ROI war ein quicklebendiger Jemmy, der keine Angst vom Apfelschuß hatte
(der Apfel explodierte buchstäblich); sie sang auch blendend mit glockenheller
Stimme. Der ausgesprochen undankbaren Rolle der Hedwige gab Nora GUBISCH
stimmlich und darstellerisch ungewöhnliches Profil, was das Publikum am
Ende mit tobendem Beifall quittierte.
Zu
Beginn sang Toby SPENCE mit angenehmem, gut geführtem Tenor sein hübsches
Fischer-Lied. Überbesetzt war Rudolf, der Hauptmann der Schlägertruppe,
mit Janez LOTRIC. In den letzten Vorstellungen wird er aber den Arnold
singen. Eindrucksvoll und stimmkräftig war Alain VERNHES als Melchthal.
Jeffrey WELLS war ein ausnehmend brutaler Gessler, Gregory REINHART ein
rustikaler Leuthold, Wojtek SMILEK war rollendeckend als Walter.
Leider
enttäuschend! wig.
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