Hugues
Gall hat für seine letzte Saison als Direktor der Pariser Oper ein sehr
ehrgeiziges Programm zusammengestellt, das auch drei Strauss-Opern einschließt
(„Salome“, „Ariadne auf Naxos“ und „Capriccio“). Es ist allerdings nicht
klar, weshalb eine neue Produktion nötig war, denn die von André Engel
und Nicky Rieti von 1994 war nicht schlecht, wenngleich etwas unbewohnt,
denn der arme Tetrach Herodes mußte sich selbst das Geschirr für sein
Gelage holen. Daß Auslagerungen heute sehr gefragt sind, beweist allerdings
auch diese Premiere von „Salome“, denn auch hier ist das Personal gekündigt
worden.
Man
hat Lev DODIN und sein Team (David BOROVSKY, Bild und Kostüme, Mikail
STRONIN, Dramaturgie) geholt. Man befürchtete aber „Schreckliches wird
geschehen“, nach der „Pique Dame“ im Irrenhaus vor zwei Jahren. Die Befürchtungen
waren jedoch unbegründet, denn Dodin stellte eine „zahme“, gut durchdachte
Inszenierung auf die Bühne. „Salome“ spielt in einer heute ähnlichen Zeit
der großen Umwälzungen, und das ist ein vertretbares Konzept. Das Bühnenbild
erinnert an Böcklin. Es ist ziemlich dunkel auf der Terrasse des Palast
des Herodes, zwei Zypressen im Hintergrund tragen zu der düsteren Atmosphäre
bei, links eine große Treppe, darunter das Gitter eines riesigen, etwa
6 m hohen, 1 m breiten Käfigs der dann mit dem gefangenen Jochanaan langsam,
nicht enden wollend, heraus rollt.
Der
Mond kommt bei Salomes Auftritt hervor und zieht während der Handlung
quer über den Himmel nach links (er zieht allerdings nur in der südlichen
Hemisphäre nach links). Beim Schlußgesang tritt eine Mondfinsternis ein
(ausgezeichnete Beleuchtung Jean KALMAN). Aber wiederum, leere Bühne,
das Fest des Herodes ist eher eine Affäre der „Gartenlaube“ Zeit, Herodes
und Heriodias sitzen auf der Gartenbank, während Salome tanzt. Herodes
hat keine Gäste, kein Personal, auch Ozias und Manasse sind entlassen
worden. Das alles riecht eher nach kleinbürgerlicher Dekadenz im Pensionistenheim.
Karita
MATTILA ist eine an die Perfektion grenzende Salome, stimmlich perfekt
(bis auf die große Tiefe „wie ein Grab“), mit ungeheurer Präzision in
Ausdruck und Phrasierung, außerdem versteht man jedes Wort. Seit Welitsch
habe ich keine solche Salome erlebt. Es fehlt ihr nur noch das sinnliche
Schillern in der Stimme, aber das wird auch noch kommen. Auf dem erwähnten
Käfig kann sie herumturnen, wüten, den Täufer becircen. Sie spielt mit
unglaublicher Intensität, springt katzenhaft auf den Käfig. In dem von
Yuri VASSILIKOV blendend choreographierten, laszieven Schleiertanz blättert
sie von ihrem schwarz-goldenen Rock einen Schleier nach dem anderen ab,
bis sie schließlich fast nackt zusammenbricht. Sicher einer der gelungendsten
Schleiertänze, die ich je gesehen habe.
Als
furchterregender, sehr stimmgewaltiger Prophet Jochanaan, drängte Falk
STRUCKMANN Salome an die Grenze der Bekehrung. Seine stimmliche Modulationsfähigkeit
ist beeindruckend, von seinem wütenden Fluch „Wo ist sie?“ und „Tochter
der Herodias! Niemals!“ bis zum zarten lyrischen „auf einem See in Galiläa“
war er absolut hinreißend. Als psychopathischer Herodes spielte Chris
MERRITT, mit Weintrauben gekrönt, den abergläubischen und von seiner Frau
eingeschüchterten Tetrarchen sehr eindrucksvoll. Es ist erfreulich, daß
der frühere tenore di grazia den Übergang zum heldischen Zwischenfachtenor
geschafft hat.
Seine
bösartige Gattin Herodias war Anja SILJA, die vor dreißig Jahren in Paris
in einer Wieland Wagner Produktion Salome sang. Sie stellte blendend die
orientalische, etwas perverse Hetäre mit distanzierter Eleganz dar. William
BURDEN bot einen stimmlich sehr ansprechenden Naraboth und war ein stattlicher
Leutnant.
Das
Juden-Quintett, fast choreographisch geführt, bestand aus den vier Tenören
in großen schwarzen Hüten, Wolfgang ABLINGER-SPERRHACKE, Martin FINKE,
Scott WYATT und dem dicken Robert WÖRLE, sowie dem Baß Ulrich HILSCHER
als Rabbiner, und war sowohl stimmlich, als auch darstellerisch ganz ausgezeichnet.
Blendend! Stanislav SCHWETS als 1. Nazarener kündigt den fünf Juden und
dem Ehepaar Herodes (sonst ist ja niemand anderer da!) die Ankunft des
Messias an, von Mihaljo ARSENSKI sekundiert. Michelle BREEDT war ein besorgter
Page. Kristof KLOREK, Scott WILDE und Jean-Loup PAGESY rundeten die Besetzung
ab.
James
CONLON dirigierte sehr symphonisch, bedacht auf die Bühne, aber sehr dem
ORCHESTER zugewandt, das die schillernde Partitur mit hörbarer Begeisterung
spielte. Ein prächtiger Abend mit viel Applaus. wig.
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