1833
gab Alfred de Vigny Berlioz die Autobiographie Cellinis zu lesen. Er war
so begeistert, daß er das Libretto für „Béatrice et Bénédicte“ liegen
ließ, das er erst fast 30 Jahre später vertonen sollte. Die sehr ausgeschmückte
Autobiographie des genialen Florentiner Goldschmieds und Libertines, der
mit seinem Lotterleben absolut nicht in die Gesellschaft seiner Zeit paßt,
war für Berlioz natürlich ideal. Er leistete sich dabei auch seinen eigenen
Ego-Trip und beendete bereits anfangs 1837 die Oper. Das neue Opern-Genre
über die Unabhängigkeit des freischaffenden Künstlers sollte viele weitere
Beispiele zeitigen, über „Meistersinger“, das Vorspiel zu „Ariadne auf
Naxos“, Pfitzners „Palestrina“ bis Hindemiths „Mathis“, „Cardillac“ und
die letzte Kepler-Oper „Die Harmonie der Welt“.
Die
Pariser Premiere lief – wie gewohnt – unter eher schwierigen Bedingungen
ab. Es gab Scherereien mit der Direktion, der Zensur (ein Papst durfte
nicht auf der Bühne erscheinen!) und den Sängern (Gilbert Duprez, der
erste Cellini, verlangte eine zusätzliche Arie), was bewirkte, daß die
Oper erst im September 1838 aufgeführt wurde – und prompt durchfiel. Franz
Liszt und Hans von Bülow brachten „Benvenuto Cellini“ im Herbst 1852 in
Weimar in sehr gekürzter Form (in deutscher Sprache) zur deutschen Erstaufführung,
bei der Berlioz aber nicht anwesend war. Als er bei der Wiederholungs-Serie
im Frühjahr 1853 nach Weimar kam, mußte er sich wohl oder übel mit den
Kürzungen der Weimarer Fassung abfinden. Im Juni 1853 kam dann „Cellini“
(auf italienisch) auch in London heraus. Fazit: es gibt vier Fassungen,
an denen sich die modernen Aufführungen mit mehr oder weniger Glück inspirieren.
Da
die Pariser Oper die – recht gelungene - Inszenierung von „Benvenuto Cellini“
von 1993 nicht wieder aufgenommen hat, setzte am 200. Geburtstag Berlioz‘
die französische Radiogesellschaft Radio France Berlioz‘ „Künstleroper“
in einer musikologischen Aufführung aufs Programm. Es wurde eine sozusagen
„komplette“ Form der Oper gebracht, die Paris-1 Fassung (d. h. die Berlioz
1837 der Pariser Oper geliefert hatte) mit den Erweiterungen der Paris-2
Fassung (die in der Pariser Oper aufbewahrte „Schlußfassung“, mit beiden
Romanzen Cellinis, Teresas große Romanze und das charmante Lied Ascanios
im 4. Bild, die Berlioz für die Pariser Aufführungen dazu komponiert hatte),
sowie einige kleinere Zusätze der Weimarer Fassung. Das ergibt alles in
allem für die Oper über drei Stunden Musik; in anderen Worten, „die Oper
hat Längen, gefährliche Längen.“
Schon
die zwanzigminütige Ouvertüre (mit Papsthymne und die Hymne der Nobili,
die beide auch von Wagner im „Rienzi“ verwendet wurden) vertrüge einige
Striche. Zahlreiche Nummern dieser neuesten Fassung haben selbst geübte
Opernliebhaber noch nie gehört. Der Orchesteraufwand ist gigantisch: 18
erste Geigen usw., vierfaches Blech, dreifaches Holz, eine enorme Schlagzeugriege
(u.a. 7 Pauken!), plus ein Riesenchor. Ein Kanonenschuß vom Castello Sant’Angelo
beschließt den „Carneval romain“; in der Szene des Gusses der Perseus-Statue
explodiert die Esse Cellinis – mit entsprechendem Krach! Es geht also
hoch – und sehr laut - her! Trotzdem ist das Werk von großer Überzeugungskraft
– aber in dieser kompletten Fassung auf einer Bühne praktisch nicht aufführbar.
Die geplante Aufnahme dieser Aufführung ist jedoch für jeden Berlioz-Freund
ein „Must“!
Radio
France ließ sich nicht lumpen und brachte eine hochkarätige Aufführung.
„Admiral“ John NELSON, der amerikanische Dirigent, der seit fünf Jahren
das Ensemble Orchestral de Paris mit kluger Hand führt, steuerte diesmal
das ORCHESTRE NATIONALVON RADIO FRANCE durch die stürmische See der Berlioz’schen
Musik. Er tat das mit einer Liebe und Begeisterung, die französische Dirigenten
anscheinend nicht aufbringen können (Berlioz ist seit Jahrzehnten fest
in anglo-sächsischer Hand). Nelson wußte sowohl die bombastischen Szenen
zur Geltung zu bringen, als auch die lyrischen, oft sehr romantischen
Arien und kleinen Ensembles auszufeilen.
Auch
ein Ensemble erstklassiger Sänger war zur Hand. Statt Roberto Alagna,
übernahm Gregory KUNDE kurzfristig die Titelrolle und war einfach umwerfend.
Er sang bereits das Gebet zu Beginn des 2. Bilds „La gloire était ma seule
idole“ mit ungewöhnlichem Ausdruck und Schmelz. Ebenso war die Erzählung
seiner Flucht sehr spannend gestaltet. Patrizia CIOFI war seine Geliebte,
Teresa. Die zierliche Italienerin, die bereits mehrmals in Paris angenehm
aufgefallen ist, sang mit ausdruckvollem, warmem Sopran die einigermaßen
halsbrecherische Rolle, schon in der Romanze „Ah, que l’amour“ zu Beginn
der Oper; ein kleines Abgleiten am Ende der Arie tat der glänzenden Leistung
kaum Abbruch.
Ihren
Vater Balducci sang Laurent NAOURI mit sehr handfestem Baß. Obwohl anfangs
etwas belegt, sang er sich rasch frei und gab der väterlichen Rolle Rahmen
und Statur. Den abgewiesenen Werber Fieramosca, der sich dann Cellini
anschließt, sang der junge Kanadier Jean-François LAPOINTE mit schönem
Kavaliersbariton, was jedoch eine ausnehmend tragende Tiefe nicht ausschloß.
Vor allem seine Rachearie, vor dem „Carnaval Romain“, war eine eindrucksvolle
Leistung.
Cellinis
Gehilfe Arcanio war mit Joyce DI DONATOs angenehmen und breiten Mezzo
bestens gedient. Ihre hübsche, lustige Pasticcio-Arie zu Beginn des 4.
Bilds „Tra la la la …“ sang sie mit spitzbübischem Charme. In den weiteren
kleineren Rollen waren durchwegs junge, sehr gute Sänger zu hören. Renaud
DELAIGUE besitzt den richtigen schwarzen Baß für den Papst, Eric HUCHET
war ausgezeichnet als Wirt, der Cellini die Kosten seiner Saufgelage vorrechnet.
Eric SALHA und Marc MAUILLON waren als Francesco und Bernardini rollendeckend,
die beiden Gehilfen Cellinis, ebenso wie Ronan NÉDÉLEC als intrigierender
Pompeo, der von Cellini rasch ins Jenseits befördert wird.
Der
CHOR VON RADIO FRANCE unter der Leitung von Philip WHITE gab sein Bestes
und war bereits im Juweliers-Chor sehr überzeugend. Trotz der späten Stunde,
tobte das Publikum – völlig in Einklang mit der Musik. wig.
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