"BENVENUTO CELLINI"- 11. Dezember 2003

1833 gab Alfred de Vigny Berlioz die Autobiographie Cellinis zu lesen. Er war so begeistert, daß er das Libretto für „Béatrice et Bénédicte“ liegen ließ, das er erst fast 30 Jahre später vertonen sollte. Die sehr ausgeschmückte Autobiographie des genialen Florentiner Goldschmieds und Libertines, der mit seinem Lotterleben absolut nicht in die Gesellschaft seiner Zeit paßt, war für Berlioz natürlich ideal. Er leistete sich dabei auch seinen eigenen Ego-Trip und beendete bereits anfangs 1837 die Oper. Das neue Opern-Genre über die Unabhängigkeit des freischaffenden Künstlers sollte viele weitere Beispiele zeitigen, über „Meistersinger“, das Vorspiel zu „Ariadne auf Naxos“, Pfitzners „Palestrina“ bis Hindemiths „Mathis“, „Cardillac“ und die letzte Kepler-Oper „Die Harmonie der Welt“.

Die Pariser Premiere lief – wie gewohnt – unter eher schwierigen Bedingungen ab. Es gab Scherereien mit der Direktion, der Zensur (ein Papst durfte nicht auf der Bühne erscheinen!) und den Sängern (Gilbert Duprez, der erste Cellini, verlangte eine zusätzliche Arie), was bewirkte, daß die Oper erst im September 1838 aufgeführt wurde – und prompt durchfiel. Franz Liszt und Hans von Bülow brachten „Benvenuto Cellini“ im Herbst 1852 in Weimar in sehr gekürzter Form (in deutscher Sprache) zur deutschen Erstaufführung, bei der Berlioz aber nicht anwesend war. Als er bei der Wiederholungs-Serie im Frühjahr 1853 nach Weimar kam, mußte er sich wohl oder übel mit den Kürzungen der Weimarer Fassung abfinden. Im Juni 1853 kam dann „Cellini“ (auf italienisch) auch in London heraus. Fazit: es gibt vier Fassungen, an denen sich die modernen Aufführungen mit mehr oder weniger Glück inspirieren.

Da die Pariser Oper die – recht gelungene - Inszenierung von „Benvenuto Cellini“ von 1993 nicht wieder aufgenommen hat, setzte am 200. Geburtstag Berlioz‘ die französische Radiogesellschaft Radio France Berlioz‘ „Künstleroper“ in einer musikologischen Aufführung aufs Programm. Es wurde eine sozusagen „komplette“ Form der Oper gebracht, die Paris-1 Fassung (d. h. die Berlioz 1837 der Pariser Oper geliefert hatte) mit den Erweiterungen der Paris-2 Fassung (die in der Pariser Oper aufbewahrte „Schlußfassung“, mit beiden Romanzen Cellinis, Teresas große Romanze und das charmante Lied Ascanios im 4. Bild, die Berlioz für die Pariser Aufführungen dazu komponiert hatte), sowie einige kleinere Zusätze der Weimarer Fassung. Das ergibt alles in allem für die Oper über drei Stunden Musik; in anderen Worten, „die Oper hat Längen, gefährliche Längen.“

Schon die zwanzigminütige Ouvertüre (mit Papsthymne und die Hymne der Nobili, die beide auch von Wagner im „Rienzi“ verwendet wurden) vertrüge einige Striche. Zahlreiche Nummern dieser neuesten Fassung haben selbst geübte Opernliebhaber noch nie gehört. Der Orchesteraufwand ist gigantisch: 18 erste Geigen usw., vierfaches Blech, dreifaches Holz, eine enorme Schlagzeugriege (u.a. 7 Pauken!), plus ein Riesenchor. Ein Kanonenschuß vom Castello Sant’Angelo beschließt den „Carneval romain“; in der Szene des Gusses der Perseus-Statue explodiert die Esse Cellinis – mit entsprechendem Krach! Es geht also hoch – und sehr laut - her! Trotzdem ist das Werk von großer Überzeugungskraft – aber in dieser kompletten Fassung auf einer Bühne praktisch nicht aufführbar. Die geplante Aufnahme dieser Aufführung ist jedoch für jeden Berlioz-Freund ein „Must“!

Radio France ließ sich nicht lumpen und brachte eine hochkarätige Aufführung. „Admiral“ John NELSON, der amerikanische Dirigent, der seit fünf Jahren das Ensemble Orchestral de Paris mit kluger Hand führt, steuerte diesmal das ORCHESTRE NATIONALVON RADIO FRANCE durch die stürmische See der Berlioz’schen Musik. Er tat das mit einer Liebe und Begeisterung, die französische Dirigenten anscheinend nicht aufbringen können (Berlioz ist seit Jahrzehnten fest in anglo-sächsischer Hand). Nelson wußte sowohl die bombastischen Szenen zur Geltung zu bringen, als auch die lyrischen, oft sehr romantischen Arien und kleinen Ensembles auszufeilen.

Auch ein Ensemble erstklassiger Sänger war zur Hand. Statt Roberto Alagna, übernahm Gregory KUNDE kurzfristig die Titelrolle und war einfach umwerfend. Er sang bereits das Gebet zu Beginn des 2. Bilds „La gloire était ma seule idole“ mit ungewöhnlichem Ausdruck und Schmelz. Ebenso war die Erzählung seiner Flucht sehr spannend gestaltet. Patrizia CIOFI war seine Geliebte, Teresa. Die zierliche Italienerin, die bereits mehrmals in Paris angenehm aufgefallen ist, sang mit ausdruckvollem, warmem Sopran die einigermaßen halsbrecherische Rolle, schon in der Romanze „Ah, que l’amour“ zu Beginn der Oper; ein kleines Abgleiten am Ende der Arie tat der glänzenden Leistung kaum Abbruch.

Ihren Vater Balducci sang Laurent NAOURI mit sehr handfestem Baß. Obwohl anfangs etwas belegt, sang er sich rasch frei und gab der väterlichen Rolle Rahmen und Statur. Den abgewiesenen Werber Fieramosca, der sich dann Cellini anschließt, sang der junge Kanadier Jean-François LAPOINTE mit schönem Kavaliersbariton, was jedoch eine ausnehmend tragende Tiefe nicht ausschloß. Vor allem seine Rachearie, vor dem „Carnaval Romain“, war eine eindrucksvolle Leistung.

Cellinis Gehilfe Arcanio war mit Joyce DI DONATOs angenehmen und breiten Mezzo bestens gedient. Ihre hübsche, lustige Pasticcio-Arie zu Beginn des 4. Bilds „Tra la la la …“ sang sie mit spitzbübischem Charme. In den weiteren kleineren Rollen waren durchwegs junge, sehr gute Sänger zu hören. Renaud DELAIGUE besitzt den richtigen schwarzen Baß für den Papst, Eric HUCHET war ausgezeichnet als Wirt, der Cellini die Kosten seiner Saufgelage vorrechnet. Eric SALHA und Marc MAUILLON waren als Francesco und Bernardini rollendeckend, die beiden Gehilfen Cellinis, ebenso wie Ronan NÉDÉLEC als intrigierender Pompeo, der von Cellini rasch ins Jenseits befördert wird.

Der CHOR VON RADIO FRANCE unter der Leitung von Philip WHITE gab sein Bestes und war bereits im Juweliers-Chor sehr überzeugend. Trotz der späten Stunde, tobte das Publikum – völlig in Einklang mit der Musik. wig.