Die
Pariser Oper bringt jedes Jahr ein Auftragswerk zur Uraufführung. Es ist
sehr verdienstvoll, nach zwei Jahren das Werk auch wieder in den Spielplan
aufzunehmen. Und man stellt fest, daß man gewisse Dinge bei der Uraufführung
überhaupt nicht „bemerkt“ hat. Es war deshalb interessant, Manourys Oper
„K…“ (nach Kafkas „Prozeß“) wieder zu hören. Philippe Manoury (geb. 1952)
ist einer der wichtigsten französischen Komponisten der jüngeren Generation
und beschäftigt sich seit 1981 mit elektronischer Musik, obwohl er auch
„klassisch” komponiert. Bereits seine erste Oper „60ème Parallèle“ (Châtelet,
1997) enthielt elektronische Komponenten.
In
„K…“ sind beide Formen der Musik effektvoll verschmolzen. Die Zerlegung
der Obertöne in „Stimmatome“ erlaubt die Analyse eines komplexen Tones
mit einem Computer. Dieser elektronischen Analyse kann umgekehrt eine
Synthese folgen, die - auf Instrumente, Gesangs- oder Sprechstimme angewandt
- erlaubt, mittels eines Spatialisators mit 16 Kanälen, eine ungehörte
Raumverteilung zu kreieren. In einer totalen, multidimensionalen Tonkulisse
wird dies im, mit Lautsprechern gespickten, Saal der Bastille ausgestrahlt.
Schon in der 1. Szene der Oper wird diese sehr effektvolle, oft beängstigende,
im Saal verteilte Elektronik als Gemurmel, Keuchen, Grunzen, Getuschel
und Raunen verwendet, das die Angstträume des K... wiedergibt. Ebenso
führt in der Szene beim Maler Titorelli, der von einer Meute hysterischer
Gören umschwärmt wird, die Auftrennung und Selektion der Obertöne zu einem
virtuellen Chorensemble, das an Möwen- Gekreische und Vogel- Gezwitscher
erinnert.
Die
Orchesterbehandlung ist der Wiener Schule verpflichtet, und man denkt
of an Berg oder Webern. Der viel verwendete Sprechgesang weist auch in
diese Richtung. Die Verwebung von elektronischen und klassischen Klängen
ist auch von anderen (z. B. Stockhausen und besonders Ligeti) bereits
verwendet worden, aber die ostinaten Flächen, mit eingesprengten Bläser-Schreien,
sind Manourys Marke. Formal denkt man natürlich an „Wozzeck“, da die zwölf
kurzen Szenen der neunzigminütigen Oper durch Orchester- Intermezzi verbunden
werden; unter Verwendung von Elektronik, viel Blech und Schlagzeug. Die
Szenenübergänge finden während der kurzen Zwischenspiele nahtlos statt.
Wie
vor zwei Jahren wurde die Aufführung von Dennis RUSSEL-DAVIES musikalisch
geleitet. Er führte das PARISER OPERNORCHESTER mit großer Präzision durch
das Dickicht der Partitur - wahrlich kein leichtes Unternehmen. Der Komponist
sorgte persönlich für die Tonprojektion, umgeben von einer Truppe von
Toningenieuren des IRCAM.
André
ENGEL ist hier direkt beteiligt, als Regisseur und als Librettist, denn
er hat mit dem Schriftsteller Bernard Pautrat das (deutsche) Libretto
geschrieben. Er zeichnete eine sehr flüssige und dynamische Personenführung.
Fünf geschmackvolle Bühnenbilder von Nicky RIETI im Stil des ausgehendem
19. Jahrhunderts bildeten den Rahmen: das Büro des K..., in dem auch das
Verhör stattfindet; ein Gang in einem Hotel; ein Saal, der sowohl als
Gerichtssaal, Kathedrale und Treffplatz dient; ein Dampfbad als Domizil
des Advokaten für verschiedene Treffen; und schließlich das Atelier des
Malers Titorelli mit einer überdimensionalen Stkulptur. Die sehr kleidsamen
Kostüme von Chantal de LA COSTE MESSELIERE waren perfekt. Alles war passend
ausgeleuchtet von André DIOT.
Unter
den Sängern dominierte Andreas SCHEIBNER in der Titelrolle, hier ein Bariton
und kein Heldentenor wie in Einems „Prozeß“. Seine stimmliche Leistung
und Diktion waren absolut vorbildlich und seine zwischen Realität und
Halluzination oszillierende Darstellung ist einfach erschütternd, bis
zur blutigen Hinrichtung mit einem Schlachter- Messer. Jeanne-Michèle
CHARBONNET in den Rollen der geilen Frauen (als Leni, die alle Angeklagten
schön findet und verführt, und als Frau des Gerichtsdieners, die mit dem
Studenten und dem Richter schläft) stach stimmlich und durch ihre realistische
Darstellung hervor.
Gregory
REINHART lieh seinen schwarzen Baß dem Untersuchungsrichter und vor allem
sehr eindrucksvoll dem Gefängniskaplan. Kenneth RIEGEL als Maler Titorelli
sang am meisten, sein Tenor ist nach wie vor strahlend. Sehr gut Eva JENIS
als Fräulein Bürstner, Robert WÖRLE als dicker Onkel, Wilfried GAHMLICH
und Ian THOMPSON als die beiden Spitzel Franz und Willem, und Yuri KISSIN
als Aufseher und Prügler, eine richtige Kapo-Figur.
Louise
CALLINAN als die Frau, Wolfgang ABLINGER-SPERRHACKE als Gerichtsdiener
und gedemütigter Block, Laurent NAOURI als zynischer Advokat und stellvertretender
Direktor sowie Sergei STILMACHENKO als Auskunftgeber waren durchwegs vorzüglich.
Viel
Applaus für den Komponisten und alle Künstler nach dieser letzten Vorstellung,
die mit Jugendlichen „aufgefüllt“ war, die zwar anfangs etwas unruhig,
aber dann gefesselt waren. wig.
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