Die
etwas düstere Handlung von Totschlag, Verrat und Verschwörung im Genua
des 14. Jahrhunderts gab Francesco Maria Piave den Rahmen für eine der
schönsten Opern Verdis der mittleren Periode. Der Erfolg ließ aber zu
Wünschen übrig: die Premiere in Venedig 1857 war ein Flop. Verdi lag jedoch
das Werk besonders am Herzen, und zwanzig Jahre später überarbeitete Arrigo
Boïto das mehr als konfuse Libretto, wobei Verdi große Teile neu schrieb
(vor allem den ganzen, großartigen Schluß des 1. Akts).
Das
Libretto ist zwar noch immer nicht ganz klar (weshalb wird Simones verlorene
Tochter in einem Palast unter dem Namen Amelia Grimaldi von Fiesco - ihrem
unwissenden, als Andrea verkleideten Großvater - bewacht?), aber das Resultat
ist eine der tiefgehendsten Werke Verdis, mit patriotischen und pazifistischen
Anklängen (Große Szene "Piango su voi" am Ende des 1. Akts). Daß dabei
fest intrigiert, gemordet und entführt wird, was an faschistische Methoden
erinnert, hat den Regisseur Nicolas BRIEGER bewogen, die ganze Handlung
mit dem Aufstieg des italienischen Faschismus in Parallele zu stellen.
Daß Boccanegra durch einen Staatsstreich der genuesischen Plebejer zur
Macht kommt, legt diese Interpretierung nahe. Das ist zwar nicht sonderlich
originell, aber durchaus vertretbar. Deshalb sind die Plebejer in Breeches
und schwarzen oder dunkelgrünen Hemden gekleidet (Kostüme Nicole GÉRAUD).
Nur die Hauptpersonen entkommen diesem Vorurteil und tragen passende,
ja prächtige Kostüme. Alejandro STADLER leitete die Sänger durch diese
Wiederaufnahme der zehn Jahre alten Inszenierung und die dunklen Bühnenbilder
und die bisweilen trockene Szenographie von Gisbert JÄKEL. Konrad LINDENBERG
beleuchtete passend.
Welch
erfreuliche Überraschung die musikalische Seite! Eine perfekte "Repertoireaufführung",
mit sehr bekannten Sängern, ja Stars, die aber nicht sich in den Vordergrund
drängten. Die Aufführung war hörbar sehr gut geprobt, und das ist in erster
Linie der sehr aufmerksamen und überaus durchsichtigen Leitung Pinchas
STEINBERGs zu verdanken. Er hat uns bereits mehrere sehr schöne Opernabende
beschert, hat sich aber hier selbst übertroffen: keine Hetzerei, kein
Krach und Klamauk, die Lyrismen warm und schwelgend, die rubati dort,
wo sie sein sollen. Das PARISER OPERNORCHESTER folgte dem Dirigenten mit
hörbarer Begeisterung in echter italianità. Steinberg brachte eine seltene
Symbiose mit der Bühne zustande. Absolut perfekt!
In
der Titelrolle konnte man erstmalig Juan PONS erleben, der die Rolle des
plebejischen Dogen mit Würde und großem Ausdruck gestaltete. Er ist stimmlich
überaus überzeugend, sowohl als jugendlicher Hitzkopf, als auch als alternder
Weiser. Sein Gegenspieler Jacopo Fiesco war mit Ferrucio FURLANETTO perfekt
besetzt. Er war zwar anfangs hörbar belegt, sang sich aber rasch frei
("Il lacerato spirito" war sehr ergreifend) und drückte den gekränkten
Stolz des genuesischen Patriziers ebenso ergreifend aus wie das verspätete
Verzeihen. Hinreißend! Die beiden Szenen zwischen Simone und Fiesco (im
Prolog und im 3. Akt) waren dramatische und gesangliche Sternstunden.
Barbara
FRITTOLI gab Simones wiedergefundene Tochter, der falschen Amelia Grimaldi,
die idealste Darstellung, die man sich vorstellen kann; sie singt nicht
nur himmlisch, sie sieht auch blendend aus und trägt ihre Roben wie eine
Patrizierin. Vincenzo LA SCOLA als Gabriele Adorno war richtig am Platz,
wenngleich er bisweilen ein wenig halsig singt und stemmt. Vassili GERELLO
war ein stimmgewaltiger Schurke Paolo Albani. Seine kleine Statur gab
ihm zusätzliche Verschlagenheit für den Emporkömmling. Nicolas TESTÉ war
ein passender Handlanger Pietro.
Der
CHOR unter Peter BURIAN kam im Vorspiel etwas zu spät, sang aber dann
in den Massenszenen sehr überzeugend. Ein prachtvoller Abend! wig.
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