"Giulio
Cesare" ist die erste Oper der großen "mittleren" Trilogie, mit "Tamerlano"
und "Rodelinda", die alle drei 1724/25 für das Londoner Haymarket-Theater
geschrieben wurden. "Giulio Cesare" ist sehr lang (mit Pause über 4 Stunden,
diesmal aber fast 5 Stunden - siehe unten), aber, im Gegensatz zu den
"Geschwistern", weniger trocken und musikalisch ansprechender. Nicht nur
Holzbläser, sondern auch Hörner werden hier eingesetzt.
Das
ursprüngliche Libretto des Dichters Bussani wurde bereits 1677 für Antonio
Sartoris "Cesare in Egitto" (mit über 60 Nummern!) geschrieben. Händels
Librettist Nicola Francesco Haym hat schon heftigst gekürzt, aber es sind
immer noch 40 Nummern, essentiell da capo-Arien. Aber es gibt einige Duette
und sogar richtige Ensembles. Zumal die Intrige (Cäsars Sieg bei Pharsala,
die Ermordung des Pompeius und die folgende Liebschaft mit Cleopatra)
höchst kompliziert ist und Stoff für mehrere Opern abgeben könnte. Die
Rollen sind hier ausgesprochen brillant, mit halbrecherischen Koloraturen
und oft sehr exponiert gesetzt. Wie in "Tamerlano" und "Rodelinda", liegt
die Neuigkeit in der weiten Verwendung des recitativo accompagnato, das
mehrfach zu Ariosi ausgebaut wird. Das erste große Arioso Cäsars, "Alma
di gran Pompeo", ist in dieser Richtung ein Meisterwerk und läßt bereits
Glucks "Alceste" voraus ahnen.
Die
Wiederaufnahme der Produktion von 1987 als Saisoneröffnung des Palais
Garnier war von viel Prominenz besucht, u. a. dem neuen Minister für Kultur,
Jean Jacques Aillagon, in der Mitte des erhöhten Parterres. Die Vorstellung
begann ganz normal, aber nach etwa einer halben Stunde hörte man im Hintergrund
in den Piano-Stellen eine Sopranistin Koloraturen singen, hörbar auch
Händel. Zuerst dachten viele, daß die Cleopatra, die ihr Haus-Debüt gab,
ihre Koloraturen übte. Aber dann hörte man auch ein Orchester und einen
Countertenor. Die Musik wurde lauter, bis ein Zuschauer am Ende einer
Szene rief, daß man doch etwas unternehmen solle.
Dirigent
Minkowski ging ab und kam nach ein paar Minuten zurück und ersuchte das
Publikum um absolute Stille um die Quelle zu lokalisieren. Die Musik kam
hörbar aus dem Zuschauerraum, rechts aus den Galerie-Logen. Minkowski
ging nochmals ab und wiederholte das Spiel. Der Zwischenrufer schlug schließlich
vor, daß man doch ein Pause einlegen solle, um das Problem zu lösen. Das
geschah auch. Nach 20 Minuten Pause wurde das Publikum wieder ins Haus
geläutet. Mit kaum verhaltener Wut kam Direktor Hugues Gall persönlich
vor den Vorhang und teilte mit, daß es nicht das "Phantom der Oper" war,
sondern ein übelwollender Spaßvogel, gegen den er bereits Anzeige erstattet
habe. Die Vorstellung ging dann ohne weitere Probleme zu Ende, nur verließ
man das Haus erst knapp vor Mitternacht. Anscheinend hatte der Störenfried
eine andere Fassung des "Giulio Cesare" in einer Loge abspielen lassen.
Die Beweggründe dieses Streichs wissen wir - noch - nicht. Ein Kabale
gegen Minkowski? Oder Gall?
Nicholas
HYTNER hatte sich 1987 eine Inszenierung ausgedacht, um die etwas langatmige,
schwerfällige Handlung und pompöse Atmosphäre etwas aufzulockern. Der
englische Regisseur hatte es sich natürlich nicht verbeißen können, eine
Parallele zwischen Cäsars Feldzug nach Ägypten mit dem Napoleons über
1800 Jahre später zu ziehen (in beiden Fällen war es auch das Ende der
respektiven Demokratien!). Dieser ironische Seitenhieb schlägt sich in
den napoleonischen Bühnenbildern und Kostümen von David FIELDING nieder:
Mumien; eine riesige barocke Sphinx; Schlangen und Krokodile im Zoo (denen
Tolemeo Fleischstücke zuwirft, auf die sich die Biester stürzen); die
Römer in beigen Kniehosen und Zweispitzen spielen bisweilen Karten; die
Ägypter als Beduinen mit Kefieh und wallenden weißen Gewändern. Bisweilen
artet das aber in Kitsch aus, wie die schrecklichen, mit Leuchtkäfern
bestückten Kostüme des Geigers, der in der Szene der Liebesarie Cäsars
die Solovioline spielt. Cleopatra wird von ihrem Bruder nicht in ein Verlies
eingesperrt, sondern in einem Käfig-Wägelchen herein gerollt, das kürzlich
noch beim Hauptpostamt für den Pakettransport gedient hatte. Die Spielzeug-Pyramiden
und -Paläste werden am Ende in große, "SPQR" markierte, Kisten verpackt.
Ähnlich wie es später Napoleon tat, der ja auch Ägypten plünderte, wie
der Obelisk auf der Place der la Concorde oder die gigantische - und sehr
sehenswerte - ägyptische Sammlung im Louvre bezeugen.
Musikalisch
war die Aufführung überragend. Wenn Mark MINKOWSKI sich nicht in die Romantik
verirrt, ist er in seinem Element, umgeben von seinen MUSICIENS DU LOUVRE-GRENOBLE,
welche völlig auf den Dirigenten eingespielt sind und erstklassig die
barocke Atmosphäre mit Subtilität und Brillanz boten.
Als
Cäsar debütierte der amerikanische Countertenor David DANIELS. Er singt
nicht nur brillant die mörderische Rolle (bereits die Auftrittsarie "Empio,
diro, tu sei" ist hinreißend), er sieht auch gut aus und spielt ausgezeichnet.
Mit einer bei Countertenören seltenen Modulationsfähigkeit grenzt seine
Phrasierung an Perfektion. Als Cleopatra debütierte die junge Australierin
Danielle de NIESE, die nicht nur brillant singt, sondern auch das für
die Rolle notwendige Aussehen beisteuert. Wenn sie auf einem Fuß einer
Pharaonenstatue ihre Arie "V'adoro pupille" singt, bleiben Cäsars Soldaten
natürlich nicht kalt. Ihr sehr lyrisches Largo "Piangeró" im Käfig-Wagerl
singt sie mit erschütterndem Ausdruck.
Der
amerikanische Countertenor Bejun MEHTA stellte ihren Bruder Tolemeo als
versnobten Playboy dar, der den Freuden des Lebens frönt und sich mehr
für seinen Harem, als für die Pharaonen-Krone Ägyptens interessiert. Stephanie
BLYTHE als Cornelia, Witwe des ermordeten Pompeo, singt sehr gut einige
prächtige, eher larmoyante Arien, obwohl ihre Stimme für diese Musik schon
zu schwer ist Anderseits kann man sich schwer eine bessere Besetzung als
Anne Sofie von OTTER für den Sesto denken, eine Rolle, wo sie ihre große
Kunst der Phrasierung und des mezza voce zeigen konnte.
Sehr
gut war Franck LEGUÉRINEL als Verräter Achillas, der auf Cornelia scharf
ist, sie aber doch nicht kriegt. Dominique VISSE als Cleopatras Vertrauter
Nireno turnt in drei Meter Höhe auf der Sphinx herum und ist auch sonst
absolut umwerfend, vor allem in seiner Arie, wo er abwechselnd mit Kopf-
oder Bruststimme singt. Curio, den Vertrauten Caesars, sang und spielte
Kevin GREENLAW passend.
Ein
herrlicher Abend, trotz des Zwischenfalls! wig.
|