"Die
Frau ohne Schatten" ist sicher das schwierigste Werk von Richard Strauss,
schon wegen des besonders labyrinthischen Textbuchs Hofmannsthals. Die
gewollte Parallele "Nozze di Figaro" - "Zauberflöte" und "Rosenkavalier"
- "Frau ohne Schatten" ist durch die symbolistische Handlung und Sprache
Hofmannsthals dem durchschnittlichen Hörer schon schwer zugänglich. Die
Sache wird besonders kompliziert, wenn der Regisseur/Bühnenbildner sich
einbildet, seinen Kren dazu reiben zu müssen.
Dies
ist in der neuen Pariser Inszenierung durch Robert (Bob) WILSON patent.
In seiner üblichen Art, d.h. so gut wie leere Bühne mit einfärbigen bläulichen
oder gelblichen Hintergründen, einige symbolische Versatzstücke und scharfe
Farben, sowie nicht offensichtlichen Transpositionen, ist das Werk dem
Neuling praktisch verschlossen. Die größte Schwierigkeit ist wohl, daß
Wilson - der ja immer sein Bühnenbild und seine Beleuchtung selbst macht
- einige wesentliche Punkte entweder verschleiert oder völlig verdrängt.
Die Farbentypisierung der Kostüme von Modele BICKEL setzt die symbolistische
Sicht fort: die Überirdischen, Kaiserin und Kaiser, sowie der Geisterbote
sind in schwarz oder stahlgrau, die Amme in einem schwarzweißen Mantel,
Barak ist dunkelblau gekleidet, die Färberin in einem mohnroten großen
Abendkleid, die drei Brüder in geflickten, gelblichen Jacken. Die Kaiserin
trägt langes platin-weißes Haar, die Amme hat eine helmartige weiße Frisur.
Das gibt sehr ästhetisch ansprechende Bilder, nur etwas kühl… Das für
eine der dichtesten, intensivsten Partituren der Operngeschichte!
Da
die Oper "Die Frau ohne Schatten" heißt und mehrmals "Die Frau wirft keinen
Schatten, der Kaiser muß versteinern!" gerufen wird, könnte man glauben,
daß der Lichtfanatiker Bob Wilson mit der ausgeklügelten Beleuchtungstechnik
der Bastille-Oper diese Charakteristik der Kaiserin sozusagen "als Aufhänger"
verwendet würde. Dem ist jedoch nicht so. Die Kaiserin wirft ständig einen
Schatten, zumal es meistens stockfinster auf der Bühne ist, und nur die
einzelnen Personen ausgeleuchtet sind.
Ein
weiterer Stein des Anstoßes ist die Erscheinung des Jünglings im 2. Akt.
Kurz vorher singt der "Chor der Ungeborenen" hinter der Szene und wird
von einigen Kindern gemimt, von denen ein kleines Mädchen mohnrot wie
die Färberin und ein kleiner Junge auch rot orientalisch gekleidet sind.
Diese beiden erscheinen auf einem Podest aus der Versenkung und mimen
die "Verführung". Wenn immer der Falkenruf ertönt, erscheint ein Tänzer
in feuerrotem Trikot mit einer 3-m-langen Stange horizontal über seinen
Schultern. Eine Cellistin erscheint aus der Versenkung, um das Cellosolo
für den Auftritt des jagenden Kaisers vor dem Falkenhaus zu begleiten.
In der Gerichtsszene wird eine monumentale Stiege von rechts herein geschoben
und dadurch "belebt".
Die
Hütte Baraks ist ein transparentes Haus, vor dem ein Gatter diagonal die
Bühne teilt. Wenn immer eine Person zur Hütte geht, versinkt ein Stück
der Trennung. Diese aufwendige Spielerei ist eine einigermaßen komplizierte
Art, die psychologische Trennung zwischen Barak und seiner Frau zu charakterisieren.
Diese ganze vom Nô-Theater beeinflußte ästhetisierende Symbolik, gekuppelt
mit einer steifen, feierlichen Gestik, wirkt, trotz (oder wegen) der spärlichen
Beleuchtung und leeren Bühne, mit der Zeit etwas ermüdend. Solche Statik
ist bei der Erscheinung des versteinerten Kaisers im 3. Akt ("Wenn das
Herz aus Kristall zerbricht.") vor einem gefrorenen Wasserfall allerdings
sehr passend. Beim Schlußquartett glaubt man sich ins 19. Jahrhundert
zurückversetzt: Auf der pechschwarzen Bühne singen Barak und die Solisten,
aufgefädelt in einer Riege, an der Rampe "Nun will ich jubeln, wie keiner
gejubelt hat!". Ein etwas gedämpfter Jubel für den Triumph der Liebe!
So
kühl die Szene war, so intensiv waren die Leistungen im Orchestergraben
und der Sänger. Ulf SCHIRMER dirigierte nicht nur mit größter Präzision,
sondern auch mit ungewöhnlicher Durchsichtigkeit die ungeheuer dichte
Partitur, ohne jemals die Sänger zuzudecken. An der Herausarbeitung, ja
Ziselierung der verschiedenen Stimmen kann man die intensive Probenarbeit
hören. Das PARISER OPERNORCHESTER war auch sichtlich sehr bei der Sache.
In
der heute praktisch einzigen Besetzung stach vor allem der Barak von Jean-Philippe
LAFONT hervor. Seine ungewöhnlich gutes Deutsch - für einen Franzosen
(!) - und seine perfekte Diktion erlaubten ihm die Menschlichkeit der
Rolle herauszustreichen. Nicht nur die Kaiserin, auch das Publikum litt
mit diesem Gerechten. "Mir anvertraut" sang er mit einer Wärme und Intensität,
die zu Herzen ging. Eine gewisse Enttäuschung war seine Frau, die Färberin,
von Luana DE VOL zwar ausgezeichnet gespielt, aber die amerikanische Sängerin
ist der mörderischen Rolle derzeit stimmlich nicht gewachsen. Ein sehr
ausgeprägtes Tremolo in den höheren Registern zwingt sie bisweilen zum
Schreien.
Als
Amme war Jane HENSCHEL absolut perfekt, die Zauberin in Person, stimmlich
völlig überzeugend und darstellerisch ergreifend, ersteigt sie zu Beginn
der Oper wie Erda aus einer Grube. Als Kaiser konnte Thomas MOSER wieder
voll überzeugen, eine Rolle, die für ihn geschrieben scheint. Susan ANTHONY
in der Titelrolle verkörperte die Menschlichkeit, die die Kaiserin sucht.
"Ich trinke nicht!" war erschütternd.
Bjarni
Thor KRISTINSSON war ein wenig furchterregender Geisterbote. Jochen SCHMECKENBECHER,
Scott WILDE und Doug JONES sangen die drei Brüder mit schönen Stimmen
und guter Diktion., die wie Figuren der Comedia del Arte behandelt wurden
(man denkt an Ping, Pang und Pong in "Turandot"). Karen WIERZBA (Stimme
des Falken und Hüter der Schwelle des Tempels) und Johannes CHUM (Erscheinung
des nicht erscheinenden Jünglings) passend. Kristinsson, Schmeckenbecher
und Jones in schwarzen Kutten sangen die Wächter vom 1. Balkon sehr sprachdeutlich.
Peter BURIAN hatte den CHOR DER PARISER OPER bestens einstudiert, denn
man verstand jedes Wort.
Das
Publikum war sichtlich etwas befremdet von den Geschehnissen auf der Bühne
und spendete - trotz der meist fabelhaften musikalischen Leistungen -
nur kurz Beifall. wig.
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