Die
dreiaktige Oper "Edgar", Puccinis zweite Oper von 1889, ist keine Nummernoper
mehr, sondern verwendet schon die offene Form von "Tosca" oder "Butterfly".
Wer zu den Opernfreunden gehört, für den die Glaubhaftigkeit von "Forza
del Destino", "Fanciulla del West", "Trovatore", "Frau ohne Schatten"
oder "Lohengrin" zu wünschen übrig läßt, der kennt nicht "Edgar". Das
Libretto hat auch hier wie in den "Villi" Sig. Fontana auf dem Gewissen,
nur hat er hier nicht komprimiert, sondern sich ausgetobt; an Unsinn könnte
"Edgar" leicht das "Guinness Book of Records" machen!
Es
ist eigentlich eine ähnliche Geschichte wie "Le Villi", diesmal in Flandern
im 14. Jahrhunderts: der recht charakterschwache Tenor Edgar ist mit einer
eher weißen Gans verlobt (die noch dazu Fidelia heißt!); er wird hier
von einem geilen Luder (passend Tigrana benannt) verführt, nachdem sie
seinen baritonalen Freund Frank stehen gelassen hat. Die beiden Männer
haben natürlich nichts klügeres zu tun als sich um das blonde Gift zu
keilen, die sie dazu noch aufhetzt. Edgar verzieht sich darauf mit Tigrana
- er hat vorsichtshalber noch das väterliche Haus abgebrannt - und gibt
sich mit ihr dem Lasterleben hin (sie singt ständig: "A ti darà di voluttà,
la mia beltà."). Natürlich bereut er bald das alles in einer großen Tenor-Arie
im 2. Akt, im Stil von "Qu'ella mi creda" (Fanciulla). Das folgende Duett
mit Tigrana ist von Lehar'scher Sentimentalität. Doch da erscheint sein
ehemaliger Nebenbuhler Frank mit einem Regiment Soldaten, was Edgar bewegt,
sich von Tigrana los zu reißen und sich den Soldaten anzuschließen.
Der
3. Akt übertrifft den bis daher erlebten Unsinn noch um einiges. Es beginnt
mit einem pathetischen Trauerzug des gefallenen Ritters Edgar mit einem
sehr dramatischen Chor "Requiescat in pace! Ora pro eo!". Frank und der
als Mönch verkleidete (!!) Edgar folgen dem Katafalk. Fidelia singt eine
sehr schöne, ergreifende Arie auf ihren Edgar, passend vom Chor kommentiert.
Der Mönch beginnt nun in mehreren Strophen die Ehre Edgars zu bezweifeln,
denn der hat ja vorher ein schauerliches Lotterleben geführt. Nach einigen
dieser Inkantationen beginnt das Volk auch an dessen Biederkeit zu zweifeln,
und in einer großen Steigerung schreit der Chor "Ai corvi il suo cadavere!"
Fidelia schreitet ein und beschreibt ihre Kindheit mit Edgar in einer
sehr mit Harfe begleiteten, etwas schmalzigen Arie, die jedoch an "Vissi
d'Arte" gemahnt. Nach Abgang Fidelias und des Volks, erscheint Tigrana,
um vor dem Katafalk Edgars zu beten. Die beiden Kumpane, Edgar und Frank,
wollen sich aber an ihr rächen, und nach einem höchst dramatischen Terzett
betet sie kniend vor dem aufgebahrten Ritter. Jetzt kommt der Knüller!
Mönch Edgar offeriert Tigrana ein Perlencollier, das er mit ihren Tränen
vergleicht, um seiner Rache zu dienen. Als plötzlich die Soldaten und
Fidelia erscheinen - natürlich unter lautem Trompetenschall - stellt er
an Tigrana die Frage, ob Edgar sein Land für Gold habe verraten wollen.
Als Tigrana das bejaht, stürzt sich das Volk auf den Katafalk und kann
nur feststellen, daß eine leere Rüstung darauf liegt. Edgar reißt seine
Kutte auf und stellt sich der Menge. In der allgemeinen Verwirrung will
er Tigrana umbringen, die aber schnell unter den Soldaten verschwindet.
Edgar umarmt Fidelia, und man wartet auf das Happy End. Man soll sich
nicht zu früh freuen! Tigrana schleicht sich katzenartig an Fidelia heran
und ersticht sie! "Orror! E' morta!" ist alles, was der Chor zu stammeln
im Stande ist. Edgar stürzt über Fidelias Leiche zusammen und mit atemberaubendem
Krach endet diese höchst fidele Oper. Kein Auge bleibt trocken!
Puccini
war sich der Lächerlichkeit und Absurdität des Librettos bewußt, denn
er versuchte mehrmals Sig. Fontana zu überreden, dieses zu ändern, allerdings
ohne jeglichen Erfolg. Er schrieb später über "Edgar": "E un organismo
deficiente". Es ist wohl diese üble Erfahrung, die in späteren Jahren
die manische Pedanterie Puccinis seinen Librettisten gegenüber erklärt,
die er ja schrecklich schikaniert hat.
Yoel
LEVI dirigierte auswendig (!) das ORCHESTRE NATIONAL DE FRANCE (das 1.
Radioorchester, in Höchstform) hinreißend und - in den Grenzen des Möglichen
- differenziert. Die sehr geforderten Bläser und Schlagzeuger sind besonders
zu loben, ohne aber dem großen Streicherapparat Abbruch zu tun. Der CHŒUR
DE RADIO FRANCE unter Norbert BALATSCH hatte sehr viel zu tun und sang
herrlich von pianissimo bis fünffachem forte. Toni RAMON hatte bestens
den Kinderchor ( MAÎTRISE DE RADIO FRANCE) einstudiert.
Die
ganze Aufführung war durch die Teilnahme von Julia VARADY als Fidelia
dominiert und erhielt dadurch natürlich eine ungewöhnlich festliche Atmosphäre.
Daß die große, leider nur mehr selten zu hörende Sängerin diese einigermaßen
larmoyante Rolle übernommen hatte, liegt an der prachtvollen Musik, die
Puccini für Fidelia geschrieben hat; ein Vorgeschmack für die vielen musikalisch
sehr dankbaren späteren Frauenrollen. Ihre wunderbare Stimme schwebte
über den großen Chören, ebenso wie ihr gehauchtes pianissimo "Edgar! Il
moi solo amor!" das Publikum berauschte.
Der
amerikanische Tenor Carl TANNER sang den Edgar mit ausdrucksvollem, kräftigem
spinto Tenor, der sich für Puccini Rollen wie Edgar, Johnson, Cavaradossi
besonders eignet. Er sang die - im Grunde dämliche - Rolle des Edgar durchwegs
mit Kraft und Schwung. Dalibor JENIS gab eine meisterhafte Darstellung
des Nebenbuhlers Frank. Sein prächtiger, voll strömender Bariton war für
diese Rolle ideal. Er leistete sich den Luxus, ein strahlendes hohes "G"
am Ende des 1. Akts zu schmettern.
Mary
Ann McCORMICK sang das blonde Gift Tigrana. Die schwierige Rolle war für
die blutjunge Amerikanerin mit verführerischem Mezzo eine gute Gelegenheit,
auf sich aufmerksam zu machen. Man wird sicher von ihr noch oft hören.
Einen Namen, den man sich merken soll! Carlo CIGNI sang den Vater Gualtiero
mit vollem Baß rollendeckend. Der Triumph für Varady färbte auf Sänger,
Dirigent, Chor und Orchester ab! Das Publikum tobte! wig.
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