Er
hätte in diesem Jahr mit Mozart beginnen können. Aber Markus Müller, neuer
Generalintendant im Staatstheater Oldenburg, hat sich bei seinem Einstand
mit Schostakowitsch für einen anderen Jubilar entschieden. Und mit "Moskau,
Tscherjomuschki" auch noch für ein überaus selten gespieltes Werk.
Das
Stück läßt sich nicht einordnen. Ist es eine Operette, eine musikalische
Komödie oder gar eine Art Musical in Stil eines Stephen Sondheim? Vielleicht
hat gerade diese Schwierigkeit den Siegeszug verhindert, den das Werk
nach seiner Uraufführung 1959 in Moskau verdient hätte. Dabei hat "Moskau,
Tscherjomuschki" alles, was gutes Musiktheater ausmacht oder machen kann.
Eine (leider) zeitlose Geschichte, Liebesleid und -lust, eingängige Melodien,
gebrochene Walzerseligkeit, Tempo und Tiefsinn.
Die
hoffnungslose Wohnungsnot in Moskau soll bekämpft mit einem Neubauprojekt,
mitten in der Peripherie, geplant am Reißtisch. Trotzdem gibt es in ihrer
Not viele Anwärter, nur als die vor Ort ankommen, treffen sie auf den
grantigen Hausmeister, der die Schlüssel nicht herausrückt, kleine zellenartigen
Wohnungen, die bei Bedarf von den Reichen annektiert werden, oder die
bei der ungeplanten Einweihungsparty gleich ganz zusammenbrechen. Am Ende
bleibt den Bewohnern nur ihr Zaubergarten, der zwar kein Dach über dem
Kopf bietet, aber eine lebenswerte Umgebung darstellt, in der nicht gelogen
und leer geredet werden kann, kurz Utopia.
Regisseur
David HERMANN und seine Ausstatter Thomas GEORGE und Christof HETZER zeigen
Menschen, die schon im Vorhinein die Wabenform annehmen, die ihre späteren
Wohnungen prägt. Alle in Weiß und mit den holprigen Bewegungen der Teletubbies.
Mit diesen Menschen kann man alles machen. Nicht so mit den Protagonisten:
mit Sascha und Mascha, die zwar seit sechs Monaten verheiratet sind, aber
noch keine gemeinsame Wohnung haben, mit Ljusja, die eifrig mitbaut und
dabei fast die schüchternen Liebesbekundungen von Sergej übersieht. Mit
Boris, der endlich eine Frau finden will, und dabei auf Lidotschka trifft,
die, obwohl sie mit ihrem alten Vater lebt, auch sucht. Oder mit Architekt
Drebedjow, der seine junge Frau Wawa nur mit einerVier-Zimmer zufrieden
stellen kann.
Olaf
WIEGMANN und das OLDENBURGISCHE STAATSORCHESTER gelingt es an diesem Nachmittag
jede Jahrmarktplattitüden zu vermeiden und Schostakowitschs Musik fein
ausdifferenziert zu präsentieren. Ein Genuß, dieser ständige Wechsel zwischen
schnellen Tempi und leisen Liebesliedern. Nur mit dem Tanzen tut sich
Regisseur Hermann schwer. Vielleicht war das ihm doch zu nah an der Operette.
Die
Sänger, allen voran Urgestein KS Fritz VITU als fieser Hausmeister, aber
auch Daniel OHLMANN als schüchterner Sergej, Irina WISCHNIZKAJA als seine
Angebetete, beide stimmlich sehr souverän, James BOBBY, Mareke FREUDENBERG,
Nathalie SENF, KS Bernard LYON, Katerina HEBELKOVA und Paul BRADY überzeugten
als Ensemble.
Ein
gewagter aber sehr gut gewählter Einstieg für den Intendanten, der mit
Werken von Adams, Kagel und Poulenc ein großes Gewicht auf modernes Musiktheater
legen wird. Hut ab. KS
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