Neun
Jahre nach der Uraufführung seiner Oper "Das Gesicht im Spiegel" im Cuvilliés-Theater
überließ die Bayerische Staatsoper dem Komponisten Jörg Widmann (geb.
1973) nun das große Haus für sein neues Werk. Und damit auch alle technischen
und musikalischen Möglichkeiten, die dieses bietet.
"Babylon"
heißt die Oper, und das Libretto stammt von keinem geringeren als dem
Philosophen Peter Sloterdijk. Dieser versucht sich an einer Mischung aus
ergreifender Liebesgeschichte à la Orpheus und dem großen mythologischen
Überbau mit Turmbau und Sintflut.
Tammu
steht zwischen zwei Frauen. Der Seele, mit der er brüderlich verbunden
ist, und der Priesterin Inanna, die für freie Liebe und Wollust steht.
Inanna gewinnt ihn für sich, verliert ihn aber durch ein Opferritual an
den Tod. Als nun wirklich Liebende begibt sie sich in die Unterwelt, um
ihn zurückzuholen. Das gelingt ihr, und nachdem der babylonische Turm
zusammengebrochen ist, eine neue Weltordnung sich im Entstehen befindet,
verlassen die Liebenden in einem Raumschiff die Erde.
Die
sieben Bilder, in denen Babylon erzählt wird, bieten reichlich Stoff für
die Regie von Carlus PADRISSA - LA FURA DELS BAUS. Immer wieder werden
Türme errichtet (Bühne Roland OLBETER), großflächige Videoprojektionen
überblenden die Szene, Tierfiguren werden zitiert, Kostüme leuchten im
Dunkeln (Kostüme Chu UROZ) und unzählige Statisten bevölkern die Bühne.
Ein Ansturm auf die Sinne, der selten Ruhe bietet, aber dennoch fasziniert.
Was
aus dem Graben kommt steht dem in nichts nach. Widmann läßt spätromantische
Fülle erklingen, in einem Orchesterapparat, der sich bis in die Seitenlogen
erstreckt. Viel Schlagwerk, aber auch Harfen, Akkordeon, Celesta, Klavier
und Orgel. Und auch die Stimmführung erinnert zuweilen an Schreker oder
Zemlinsky. Dabei schreckt Widmann weder vorm Volkstümeln zurück (in München
steht ein Hofbräuhaus), noch verweigert er sich dem Kitsch, im wiederkehrenden
Liebesduett von Inanna und Tammu. Kent NAGANO und sein BAYERISCHES STAATSORCHESTER
beherrschen jede Nuance dieser Musik, besser kann man das kaum spielen.
In
den überbordenden Bildern bleibt den Sängern oft nur eine gewisse Statik.
Das tut der Leistung allerdings keinen Abbruch. So gelingen Anna PROHASKA
als Inanna lyrische Passagen, zauberhaft betörend in ihrem Diskurs mit
Schwester Tod, wunderbar dekadent urig von Willard WHITE dargeboten, der
auch den Priesterkönig singt. Claron MCFADDEN als Seele mit ihrer enorm
hohen Partie leistet Beeindruckendes, Jussi MYLLYS als Tammu tut sich
bei so viel Frauenpower schwer.
Gabriele
SCHNAUT als Euphrat leidet darstellerisch sichtlich unter der ihr auferlegten
Bewegungslosigkeit, so wie August ZIRNER als Ezechiel in schwingender
Höhe an Höhenangst. Kai WESSEL als Skorpionmensch fällt positiv auf, wie
auch der CHOR DER BAYERISCHEN STAATSOPER einmal mehr Hervorragendes leistet.
Nach
knapp dreieinhalb Stunden bleibt ein etwas disparater Eindruck zurück.
Rauschende Bilder, füllige Musik, tolle Stimmen und dennoch, irgendwas
fehlt. Vom Publikum gab's lang anhaltenden Applaus bei dieser vorerst
letzten, ausverkauften Vorstellung. KS
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