Im
Jahre 1738 wurde in Stuttgart ein Mann hingerichtet, der sich Dinge zu
schulden hatte kommen lassen, die andere am Hof des Herzogs auch begangen
hatten. Gier, Machtstreben, Fälschung und Intrigen. Der Unterschied zu
den anderen bestand darin, daß der Verurteilte Joseph Süß Oppenheimer
Jude war. Und für einen solchen war es unverzeihlich, sich mit den Christen
anzulegen. Die Geschichte des Jud Süß, wie er fortan hieß, ist bekannt.
Sie gipfelte in dem gleichnamigen Nazi-Propaganda-Film von Veit Harlan.
Nun war es nicht mehr wichtig, daß die Christen sich genauso verhielten.
Süß wurde zu einem Abziehbild für den geballten Hass der Nazis.
Der
Komponist Detlev Glanert (geb. 1960) rückt das Bild in seiner Oper "Joseph
Süß" wieder zurecht. Nein, Süß ist kein Unschuldslamm, aber auch nicht
schlechter als andere. Und wie er da in seinem Verließ aus Goldbarren
sitzt (Bühne und Kostüme Peter SYKODA), über sein Leben reflektiert, aber
nicht von der Gier lassen kann, ist beinahe aktuell.
Genauso
wie die Judenwitze, die Regisseur Guy MONTAVON zu Beginn erzählen läßt,
und die einem der Premierenbesucher doch tatsächlich ein herzliches Lachen
entlocken. Die Zeitlosigkeit setzt sich im Bühnenbild fort. Zwar herrscht
Barockkleidung vor, aber die Szene besteht aus dunklen bühnenhohen Stelen,
die nichts von barocker Lebenslust und Machtentfaltung haben. Eine dunkle
Epoche damals wie heute.
Eine
barocke Figur dagegen ist der Herzog, feist und ohne Scham dargestellt
vom alles gebenden Stefan SEVENICH. Er will Geld, egal woher, er will
Frauen, egal welche, und er will Prunk. Da läßt man ein Opernhaus für
die Geliebte (Karolina ANDERSSON mit vielen Koloraturen) bauen, ist aber
gelangweilt, sobald es fertig ist. Ein schwieriges, aber ertragreiches
Feld für die Hofschranzen. Als da ist Weissensee, Sprecher der Landstände
und Christ. Seine Intrigen stehen denen des Juden Süß ist nichts nach,
beide opfern jedes menschliche Gefühl, in diesem Fall ihre Töchter, für
ihre Ziele. Mark BOWMAN-HESTER gibt den Weissensee als graue Eminenz,
puritanisch gekleidet, aber mit dem Ohr an der Wand. Gary MARTINs Süß
ist der aktivere von beiden, aber auch er ohne Selbstzweifel bis zum Schluß,
trotz der Warnungen des treuen Magus (sehr gut Tobias SCHARFENBERGER),
dem orthodoxen Lehrer der Tochter.
Die
beiden jungen Frauen sind hier bloß Spielbälle der Männer. Magdalena,
Weissensees Tochter, die Süß liebt (überzeugend Thérèse WINCENT), ihn
aber nicht zur Flucht überreden kann trotz Schwangerschaft. Denn selbst
der Tod der Tochter (mit schönen lyrischen Passagen Carolin NEUKAMM) nach
Vergewaltigung durch den Fürsten kann Süß nicht stoppen. Ein Unsympath,
den Gary Martin aber auch als weichen Mann darstellt, der in seiner Situation
gefangen ist.
Glanerts
Musik hat oft schroffe Klänge mit viel Schlagwerk. Mild wird es nur, wenn
die jungen Frauen zu Wort kommen. Ihrem Schicksal gilt offensichtlich
alle Sympathie. Roger EPPLE am Pult des ORCHESTERS DES STAATSTHEATERS
AM GÄRTNERPLATZ weiß Akzente zu setzen und scharfe Linien zu zeichnen.
Gerade
durch die dezente Zeitlosigkeit der Darstellung wird der Abend zu einer
Mahnung, ohne den moralischen Zeigefinger und ohne historischen Plüsch.
Eine gelungene Münchner Erstaufführung für dieses Werk. KS
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